Chinesischer Künstler in Berlin:Ai Weiwei und die Schönheit des Ziegelsteins

Ai Weiwei an Universität der Künste in Berlin.

Ein öffentliches Sich-Beschnuppern: Ai Weiwei an der Universität der Künste in Berlin.

(Foto: dpa)

Der chinesische Künstler stellt sich in Berlin als Gastprofessor vor. Kunst, sagt er, sei wie Sex: Man könne viel davon haben und sie trotzdem nicht definieren.

Von Jan Kedves

Für die Berliner Universität der Künste ist es ein PR-Segen sondergleichen: Der chinesische Künstler Ai Weiwei tritt mit diesem Wintersemester eine dreijährige Gastprofessur an, finanziert von der Einstein-Stiftung.

Das könnte glatt vergessen machen, dass die Kunstfakultät der UdK in den vergangenen Jahren eher für prominente Ab- denn Zugänge stand. Tony Cragg, Daniel Richter und Stan Douglas verließen die Hochschule 2006 aus Protest darüber, dass man von ihnen einen Spagat zwischen dem Ideal der freien Kunstlehre und dem wachsenden Ökonomisierungsdruck erwartete, sie nahmen woanders Professuren an.

Katharina Sieverding, lange Leiterin der legendären "Freien Klasse", ist im Ruhestand. Immer wieder hört man von unbesetzt bleibenden Stellen, Berufungs-Streits oder -Verschleppungen, verwaisten Klassen. Ja, man ist regelrecht überrascht, wenn der jährliche "Rundgang" der UdK-Studenten und -Studentinnen, bei dem Ergebnisse des Semesters präsentiert werden, einmal nicht mit Hinweis auf unhaltbare Zustände bestreikt wird.

Es könnte also durchaus interessant werden, wenn nun einige dieser protestfreudigen Studenten und Studentinnen auf einen berühmten, gerade in Berlin angekommenen Protestkünstler treffen. Oder wäre das zu kurz gedacht? 16 von ihnen jedenfalls hat der 58-jährige Ai Weiwei für seine Klasse ausgewählt, sie kommen fächerübergreifend aus den Fakultäten Kunst, Medien, Film, Design, Mode, Musik, Tanz und Philosophie.

Etwa 100 Bewerbungen seien eingegangen, heißt es, und aus diesen habe Ai Weiwei dann als allererstes diejenigen aussortiert, bei denen er den Eindruck hatte, es gehe ihnen vor allem um eines: so berühmt zu werden wie er.

Biografische Details und Anekdoten

Am Sonntag gab es im Konzertsaal der UdK nun eine Antrittsveranstaltung - keine Antrittsvorlesung, wohlgemerkt. Eher ein öffentliches Sich-Beschnuppern. Ai Weiwei, der im Juli von den chinesischen Behörden seinen Pass zurückbekommen hatte und daraufhin ausgereist war und der laut "Power 100"-Ranking des Kunstmagazins Art Review momentan die zweiteinflussreichste Kunstpersönlichkeit der Welt ist, verkündete kein Programm. Und er verlas auch keine Gedanken zur Kunstlehre.

Vielleicht wäre das auch langweilig geworden. Nein, stattdessen war er auf dem Podium umringt von Kollegen und einer Kollegin aus dem Kreis der UdK-Belegschaft. Sie redeten mindestens so viel wie er, stellten ihm Fragen oder konfrontierten ihn mit Gedanken, die Ai Weiwei mehr als einmal zum Schmunzeln brachten.

Das war unterhaltsam, auch wenn dabei kein richtiges Gespräch entstand. Eher reihten sich biografische Details und Anekdoten aneinander. Auf die Frage der Videokünstlerin Anna Anders etwa, welche Bücher er seinen Studenten empfehlen könne, antwortete er, er habe leider keine Zeit zum Lesen - auch wenn Lesen ja eigentlich das Schönste sei, weil man "durch Zeilen schauen und sich dabei in Gedanken eine Welt ausmalen" könne.

Mit der Kunst ist es für Ai Weiwei wie mit dem Sex

Warum Ai Weiwei keine Zeit zum Lesen hat, liegt auf der Hand: Er installiert eine Großausstellung nach der anderen - aktuell in der Londoner Royal Academy of Arts - und fotografiert und filmt sich dabei permanent selbst. Letzteres leitete über zur einzigen politischen Frage. Gestellt wurde sie vom Kunsttheoretiker Karlheinz Lüdeking: ob das permanente Teilen von Fotos aus seinem Alltag auf Twitter und Instagram für ihn nicht auch eine Art Lebensversicherung sei - als Schutz vor Festnahmen beispielsweise. Nein, entgegnete Ai Weiwei, der sich direkter politischer Statements derzeit enthält. Seine Fotografie bilde die Realität nicht ab, sie bilde ihre eigene Realität. Das hörte sich schön poetisch an - hätte aus dem Mund eines nicht-chinesischen, nicht berühmten Künstlers aber wohl eher banal geklungen.

Ergreifend war der Moment, in dem es um Ai Weiweis Arbeit als Architekt gehen sollte, obwohl er ja, wie Anna Anders betonte, kein ausgebildeter Architekt sei. Er nahm es zum Anlass, zurückzublicken und davon zu erzählen, wie er - während des Zwangsexils seines Vaters in der chinesischen Westprovinz - als Zehnjähriger im Arbeitslager täglich 400 Ziegelsteine backen musste.

Er hätte also jeden Grund, Ziegelsteine heute zu hassen - und doch erfreue er sich an ihrer Schönheit und arbeitet gerne mit ihnen. Dass er kein ausgebildeter Architekt sei, konterte er mit der Bemerkung, dass man, wenn man Hunger habe, eben koche. Ein Hinweis für seine Kunststudenten, sich nicht so sehr um Abschlüsse und Zertifikate zu scheren? Bei den Studenten schien Ai Weiwei großartig anzukommen. Sie johlten sogar, als er die schwerste aller Fragen, nämlich wie er denn Kunst definiere, erst überhaupt nicht beantworten wollte, dann aber, nach einigen Sekunden Bedenkzeit, doch: Mit der Kunst sei es so wie mit dem Sex - man könne sehr viel davon haben und würde trotzdem nicht schlau draus. Er selbst jedenfalls habe schon sehr viel Sex gehabt, trotzdem könne er immer noch nicht definieren, was das sei. Was in Ai Weiweis Einstein-Klasse denn nun konkret passieren soll, ließen eher seine Mitstreiter erahnen. Martin Rennert, Präsident der UdK, sagte, Ai Weiwei wolle "Seelen sensibilisieren für Gefahren in Sprache und Gedankenwelt". Und Thomas Düllo, der Prodekan der Fakultät Gestaltung, imaginierte die Ai-Weiwei-Klasse geradezu schwärmerisch als "eine sich in die UdK und die Welt nicht ganz leise einmischende Bande", die "Meilensteine" schaffen werde. "Davon werden Sie schon bald etwas mitbekommen!"

Dabei hatte Ai Weiwei nichts dergleichen gesagt, jedenfalls nicht auf dem Podium. Was er sagte, war: dass er sich darauf freut, in den nächsten drei Jahren seine Studenten zu studieren und dabei viel von ihnen zu lernen.

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