Antrittspremiere:Allgäuer Ellenbogen

Antrittspremiere: Dreimal Peer Gynt auf der Bühne in Memmingen: Jens Schnarre als blonder Businessman, Aurel Bereuter als gealterter Peer und Sandro Šutalo.

Dreimal Peer Gynt auf der Bühne in Memmingen: Jens Schnarre als blonder Businessman, Aurel Bereuter als gealterter Peer und Sandro Šutalo.

(Foto: Karl Forster)

In Memmingen eröffnet die neue Intendantin die Spielzeit mit "Peer Gynt"

Von Thomas Jordan, Memmingen

Nach der fast 20-jährigen Ära Walter Weyers war die vorherige Chefdramaturgin des Theaters Münster mit Vorschusslorbeeren in Memmingen empfangen worden. Seit Mädlers eindringlicher Inszenierung von Peter Weiss' Holocaust-Stück "Die Ermittlung" auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände eilt ihr der Ruf voraus, eine Regisseurin für politische Themen und starke, atmosphärische Bilder zu sein.

Man war gespannt, wie das mit Ibsens märchenhaftem Glücksritter Peer Gynt zusammengehen würde, der in der anbrechenden Moderne des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach sich selbst um die halbe Welt reist. Um es gleich vorwegzunehmen: Die neue Intendantin hat den nordischen Faust geradezu mustergültig aktualisiert, ihn als ebenso durchschnittlichen wie prekären Problem-Peer gezeichnet, der sich mit den Worten "Ich lauf nur noch Zigaretten holen" für die nächsten 30 Jahre von seiner Geliebten Solveigh verabschiedet. Das beweist einen Sinn für Humor im Umgang mit Theaterklassikern. Auch der Regieeinfall, den virtuos zwischen seinen Alter-Egos als Trollprinz, Sklavenhändler und Kaiser der Verrückten jonglierenden Tausendsassa auf drei Schauspieler aufzuteilen, ist aufgegangen.

Am Landestheater ist Peer zu Beginn ein linkisch-dicklicher Sozialfall, der mit seiner Mutter Aase am Rande der Gesellschaft haust. Sandro Šutalo erinnert dabei in seinen besten Momenten inbrünstiger Weltverzweiflung an den ehemaligen Münchner Kammerspielschauspieler Benny Claessens. Als Weltreisender wird Peer dann zum kaltschnäuzigen Soziopathen (Jens Schnarre als blondgescheitelter Businessman), der am Ende seines Lebens den hintergründigen Leisetreter (Aurel Bereuter) gibt. Mädler zahlt allerdings einen Preis dafür, dass sie Ibsens charmanten Lügenbaron zum sozialen Problem-Peer macht: Indem sie sich auf die ebenso raue wie banale Umwelt des Bauernsohnes konzentriert, bleibt für spielerische Eleganz und die fantastische Innerlichkeit des Protagonisten kaum Platz.

Mareike Delaquis-Porschkas Bühnenbild erteilt dabei von vornherein allen Höhenflügen Peers eine Absage. Der Bauernhof, den Mutter und Sohn nach dem Tod des Vaters alleine bewohnen, ist bei ihr eine abgestürzte Skigondel, über der nachlässig eine Lichterkette hängt, daneben ein Haufen schwarzer Plastikmüllsäcke. Die traurige Resterampe der Spaßgesellschaft.

Peers Lügenmärchen vom Ritt auf dem Bock, mit der er seine Mutter gleich zu Beginn um den Finger wickeln will, wird hier zur Milieustudie der Alltagsstreitereien einer frustrierten Hartz-IV-Mutter (Anke Fonferek als polternde Aase im weißen Lackmantel) mit ihrem missratenen Sohn.

Ein wenig unterkühlt wirkt Mädlers sozialrealistischer Zugriff in den intimen, emotionalen Szenen von Christian Morgensterns Übersetzung. Wenn die junge Miriam Haltemeier als Solveigh den Weltflüchtling Peer im 3. Akt in seiner Waldhütte besucht, schrumpft das zum seltsam teilnahmslosen Annäherungsversuch zweier unsicherer Gestalten zusammen, die sich nurmehr in ein teeniehaftes Geknutsche retten können.

Dagegen funktioniert die Inszenierung immer dann, wenn der Stoff es erlaubt, Peer als verzweifelten Ego-Shooter in einer knallharten Ellenbogen-Gesellschaft darzustellen. Ebenso bezwingend wie amüsant die Szene, in der Jens Schnarre seinen europäischen Geschäftspartnern Dollarbündel ins Gesicht pfeffert und dabei aus Jordan Belforts übergeschnappter Börsenzocker-Bibel "Der-Wolf-der-Wall-Street" zitiert. Das Gespür der Regisseurin für starke Bilder blitzt gleich im Anschluss auf, wenn Schnarre seiner ägyptischen "Sklavin" Anita, die ein viel zu enges, silbernes Glitzerkleidchen trägt, auf dem Bauch liegend mit den Worten "Ich bin dein Kaiser" lüstern-leidend hinterherrobbt. Peers Streben nach Höherem offenbart sich an dieser Stelle in all seiner grotesken Tragik.

Die beste Szene des Abends liefert allerdings das Schlussbild, in dem der vom Reisen gealterte Peer Gynt seine Solveigh wiedertrifft, die ihr Leben lang auf ihn gewartet hat: Wie Aurel Bereuter und Miriam Haltmeier sich nicht etwa in die Arme fallen, sondern im gegenseitigen Sich-Anbrüllen vielleicht keine Versöhnung, aber doch eine Art der Verständigung finden, ist beeindruckend konsequent. Es ist zugleich ein Statement der Intendantin für die kommende Spielzeit in Memmingen: Die Zeit der selbstbezogenen Spielereien ist vorbei. Es geht jetzt wieder um die offensive gesellschaftliche Auseinandersetzung. Für Phantasie oder Innerlichkeit war da noch nie viel Platz.

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