António Lobo Antunes: "Leben, auf Papier beschrieben":Zwei Oktopusse

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"Du bist mein Brasilien, vergiss nie, dass ich alles alles alles an Dir mag": Der Portugiese António Lobo Antunes schrieb aus dem Angolakrieg hinreißende Briefe an seine Frau.

Alex Rühle

Luma-Cassai, Cuito Cuanavale, Narriquinha - am Ende der Welt liegen klangvolle Orte. Die Natur ist hier von geradezu aggressiver Üppigkeit, "sogar die Insekten, die ich in unendlich vielen Farben und Größen gesehen habe. Im Dunkeln bewegen sich immer tausende Chitinflügel, und die Nacht wogt vor Geräuschen; die Erde ist leuchtend rot, ziegelfarben, die Gräser tiefgrün, die Haut der Menschen von einem sehr dunklen Braun, und ihre Augen scheinen keine Pupillen zu haben oder nur Pupillen zu sein, glänzend wie Linsen aus Gelatine."

Von Januar 1971 bis März 1973 war António Lobo Antunes als Militärarzt in Angola, fast täglich schrieb er in diesen 27 Monaten an seine junge Frau, die zu der Zeit in Lissabon ihr Medizinexamen machte. Die beiden hatten sich 1966 am Strand von Lissabon kennengelernt, sie hatten zwei kleine Töchter, nun sitzt der angehende Psychiater am Ende der Welt, in der hintersten Provinz der südlichsten portugiesischen Kolonie, 9600 Kilometer von Lissabon entfernt, muss in einem sinnlosen Krieg kämpfen, merkt an den langen Abenden, wie in ihm der Schriftsteller erwacht und schreibt Briefe, die ihm unter der Hand zu einer großen Kriegsreportage, einem Buch über die Liebe und einem philosophischen Werkstattbericht geraten: "Tatsächlich lebt man zweimal, in dem Augenblick, in dem man etwas erlebt, und später, und wirklich wichtig sind diese kleinen Lichter auf dem Grund der Erinnerung."

Seltsam schön

Die kleinen Lichter: Die zwei Jahre in Angola wurden zu einem dunklen Hintergrundleuchten in António Lobo Antunes' Leben und Werk. Anders als bei Claude Simon gibt es nicht die eine traumatisch erlebte Schlacht als Urszene, um die sein Werk wachsen sollte, aber in all seinen Romanen tauchen Erfahrungen, Erinnerungsfetzen, Verliererfiguren aus diesem Krieg auf, ja die Erinnerungen an Portugals verdrängten, dreckigen Krieg um die Kolonien sind das schwarze Kraftzentrum seiner Romane.

Hier in Angola, in der geradezu schrill fruchtbaren Natur der Tropen wird aus dem 29-jährigen Arzt und sporadischen Schreiber der Autor Lobo Antunes. Die Texte überkommen ihn, er fängt "mit unglaublicher Leichtigkeit" eine neue Geschichte an, die ihm unter der Hand zu einem ersten Roman gerät und wilder zu wuchern scheint als der Urwald um ihn her, er beschreibt das nicht narzisstisch, sondern staunend, als schreibe da jemand anderes aus ihm.

Besonders interessant sind hier die Reflexionen über die richtige Art wahrzunehmen, verblüfft sieht er sich dabei zu, wie er zu einem Aufnahmegerät wird, das alles registriert: "Die Hütten, ein paar Häuser auf Pfählen, der Mais, die lockeren Tücher, mit denen sich die Frauen kleiden, die ungeheure Menge von Kindern, die fabelhaften Figuren der Männer, alles ist trotz der Armut und des Elends seltsam schön und stimulierend. Ich weiß nicht, wieso, aber der Kasernenhof erinnert mich sonntags immer an den Hyde Park."

Über sich selbst berichtet er ähnlich neugierig, interessiert, beobachtend: der Krieg verändere ihn, er tue plötzlich grausame Dinge, gestern habe er ein ganzes Rudel von Hunden erschossen. Und immer wieder begibt er sich gezielt in Todesgefahr, "weil ich mich selber überwinden und den Rest von Angst ablegen muss, der mich noch verfolgt. Es ist nichts Heroisches daran, es handelt sich nur um die letzte Etappe, um mir vor mir selber Respekt zu verschaffen". Dann wieder versucht er, seine Frau in Sicherheit zu wiegen, indem er den Krieg als alberne Posse bezeichnet: gestern habe die MPLA im Radio alle portugiesischen Soldaten zum Tode verurteilt.

"Sein eigenes Todesurteil in makellosem Portugiesisch zu hören, ist äußerst merkwürdig. Wenn dies nicht lächerlich wäre, würde ich es dir nicht erzählen. Außerdem können die Kerle überhaupt nicht zielen, was also das Problem mit der Wohnung betrifft, so löse es, wie Du es für richtig hältst und in der Gewissheit, dass ich dort viele Jahre leben werde." Wunderbar, wie er hier innerhalb eines Satzes, mithilfe eines schmalen Kommas, das er nutzt wie ein Stabhochspringer, aus seiner Dschungelwüstenei in die Innenstadt Lissabons springt, in der seine Frau eine Wohnung für die junge Familie einrichtet.

Ganze Wohnblöcke erzittern

Um Wochen versetzt schreiben die beiden aneinander vorbei, Lissabonner Alltag und angolanische Grausamkeiten gehen ineinander über, Familiennickligkeiten und schrullige Tanten, Geldsorgen, Hubschraubereinsätze, Operationen in Minenfeldern: "Das ist das Ende der Welt: Sümpfe und Sand."

Vor allem aber verzehrt sich Lobo Antunes nach seiner Frau, schöner als in diesen Briefen kann man Lust kaum sublimieren. Er liebt sie mit Haut und Haaren, immer und immer wieder kommt die dringliche Versicherung, "dass ich alles alles alles an Dir mag." Zu sagen, dies seien sinnliche Briefe, wäre untertrieben. Antunes lässt allen männlichen Überdruck aus dem Füller fließen, er beschreibt erotische Phantasien, in denen ganze Wohnblöcke erzittern und legt sich ihr zu Füßen: "Du weißt genau, dass du das Beste an mir bist, meine beste Eigenschaft und mein Brasilien."

Maria José, die in dem ganze Buch keinen Namen trägt, und auch im Klappentext nur als Ehefrau und Mutter auftaucht, bat ihre Töchter vor ihrem Tod darum, die Briefe zu veröffentlichen. Die beiden Frauen, die während der Niederschrift dieser Briefe auf die Welt gekommen sind, schreiben in ihrem kurzen Vorwort: "Dieses Buch ist das Buch der Liebe unserer Eltern, aus der wir entstanden sind und auf die wir stolz sind".

Soviel Hoffnung spricht aus den Briefen, auf ein erfülltes Leben, später, wenn der Irrsinn des Krieges vorbei sein wird: "Weißt Du, ich kann dem hier standhalten, weil ich den Blick auf die unendliche Zukunft gerichtet habe, die wir beide haben werden, um uns langsam, genießerisch, sinnlich zu verschlingen wie zwei Oktopusse, die einander mit ihren Tausenden von Tentakeln aussaugen." Umso schmerzhafter ist es, zu wissen, dass Lobo Antunes sich 1978, kurz nach der Nelken-Revolution von seiner Frau trennte.

© SZ-Beilage vom 09.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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