"Anne Will": Opel und Schaeffler:"Ausgenommen wie eine Weihnachtsgans"

Wo ist NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers? Und wo die angezählte Milliardärin Maria-Elisabeth Schaeffler? Jedenfalls nicht bei "Anne Will".

Melanie Ahlemeier

Vier Jahrzehnte lang hat sich Peter Jaszczyk für den Automobilkonzern Opel krumm gemacht. Und obwohl inzwischen längst in Rente, verteidigt der seinen einstigen Arbeitgeber noch immer, und zwar mit Verve. "GM hat Opel in den letzten Jahren ausgenommen wie eine Weihnachtsgans", echauffiert sich der rüstige Rentner, um seine Forderung, Opel müsse aus aus dem GM-Verbund herausgelöst werden, zu untermauern. Zumindest eine "Teilverstaatlichung" müsse her, sagt der Mann mit nervöser Stimme, die ihm gleich mehrfach wegbricht.

"Anne Will": Opel und Schaeffler

Moderatorin Anne Will

(Foto: Foto: AP)

"Die Job-Verlierer - lohnt der Kampf um jeden Arbeitsplatz?", hatte die Anne-Will-Redaktion ihre Sendung am Sonntagabend krawallbereit betitelt - wohl wissend, dass eine drohende Jobvernichtung in Verbindung mit dem Signalwort Verlierer immer zieht. Heraus kam eine ausgesprochen sehenswerte Sendung. Sie wurde im positiven Sinne getragen von zwei verständlicherweise sehr emotional argumentierenden Talkshow-Teilnehmern auf dem Betroffenensofa und einem Journalisten mit potentiellem Bluthochdruck, dem stellvertretenden Stern-Chefredakteur Hans-Ulrich Jörges.

"Sie erzählen Schwachsinn"

Nicht nur Opel, sondern auch der einst seriöse Mittelständler Schaeffler aus dem fränkischen Herzogenaurach befindet sich in der Krise. Letzterer selbstverschuldet. An der Continental-Übernahme, öffentlich verkündet im August vergangenen Jahres, hat sich die als "listige Witwe" bezeichnete Konzernchefin Maria-Elisabeth Schaeffler massiv verhoben. Rund zwölf Milliarden Euro Schulden weist das Geschäftskonto auf, nun ruft die von einer Großdemo ihrer Mitarbeiter zu Tränen gerührte und gerne Pelz tragende Chefin nach dem Staat.

"Tränen bei der Milliardärin - heult der Steuerzahler bald auch?", heißt es im entsprechenden Einspielfilm zur "Will"-Talkshow. Doch Paul Seren, seit 19 Jahren für Schaeffler tätig, verteidigt die Unternehmensmatriarchin. "Sie erzählen einen Schwachsinn", giftet der Schaeffler-Mitarbeiter und -Demonstrant den gerne provozierenden Journalisten Jörges als Antwort auf dessen These an, die Chefin Schaeffler verstecke sich hinter ihren Mitarbeitern.

Und die Politiker in der Talkrunde? Sie sondern - je nach Partei - die altbekannten Parolen ab.

FDP-Mann Hermann Otto Solms vertritt zwar die Herauslösung von Opel aus dem Mutterkonzern, gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass "Opel alleine nicht lebensfähig" ist, um ungefähr dreiundzwanzigeinhalb Minuten später erneut zu betonen, dass sich der Staat nicht an Opel beteiligen dürfe. "Wenn er sich beteiligt, ist er in der Gefahr, immer wieder nachzuschießen." Eine Überraschung? Ein liberaler Wandel? Mitnichten! Der Staat müsse neutral bleiben, so die Kernbotschaft des finanzpolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion.

Der Vertreter der Linken, Bodo Ramelow, erhält bei "Anne Will" ein breites Forum, um im gebührenfinanziertem Fernsehen an seine Pilgerfahrt zum Opel-Werk Eisenach zu erinnern. "Selbst die Koreaner wissen, wo Eisenach liegt", protzt er. Überraschendes vom stellvertretenden Vorsitzenden der Linken? Fehlanzeige!

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Das richtige Thema zur richtigen Zeit - was der Sendung jedoch fehlte.

"Ausgenommen wie eine Weihnachtsgans"

Und die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles? Die lacht sich - scheinbar beseelt vom Karneval - peinlich durch die Sendung. Mal wiegt sie skeptisch zu den Argumenten des Mittelständlers Thomas Selter ihren Kopf von links nach rechts nach links nach rechts, mal giggelt sie wie ein Schuldmädchen im Hintergrund, um nur wenige Sekunden später die Krawall-Flöte zu geben. "Wir haben doch jetzt die ganze Scheiße aufzuräumen", erbost sie sich lautstark vor der Kamera.

"Anne Will": Opel und Schaeffler: Diskutierten eine Stunde lang mit Moderatorin Anne Will (Mitte) über Staatshilfen für Opel und Schaeffler: Bodo Ramelow, Hermann Otto Solms, Andrea Nahles, Thomas Selter, Hollywood-Schauspieler Ralf Möller und Hans-Ulrich Jörges (von links nach rechts)

Diskutierten eine Stunde lang mit Moderatorin Anne Will (Mitte) über Staatshilfen für Opel und Schaeffler: Bodo Ramelow, Hermann Otto Solms, Andrea Nahles, Thomas Selter, Hollywood-Schauspieler Ralf Möller und Hans-Ulrich Jörges (von links nach rechts)

(Foto: Screenshot: ARD)

Doch wirklich Effizientes, gar Handfestes für die Automobilbau-Zukunft hat die Vorzeige-Frau der bei knapp mehr als 20 Prozent vor sich hindümpelnden Spezialdemokraten nicht parat. Stattdessen brüht sie die Phantasie eines Opel-Gesetzes in Analogie zum VW-Gesetz wieder auf.

Vielleicht hätte Nahles ihren einstigen Lebensgefährten, den Volkswagen-Personalvorstand Horst Neumann, wenigstens kurz vor der ARD-Sendung anrufen können? Dann hätte sie erfahren können, dass das in der Geschichte der Republik einmalige VW-Gesetz seit Jahren die Gerichte beschäftigt.

Fazit zur Sendung: Das richtige Thema zur richtigen Zeit, allerdings konnte die mitunter sehr lebhafte Diskussion die große Schwäche dieser "Anne-Will"-Sendung nicht übertünchen: Es saßen einfach die falschen Politiker im Studio in Berlin-Adlershof. Sie eint, dass sie derzeit alle nichts zu melden haben.

Für die perfekte Sendung erforderlich gewesen wären: Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), und natürlich Wirtschaftsminister Karl-Theodor Nichtwilhelm von und zu Guttenberg.

Politbetrieb ohne Patentrezept

Auch NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der gerade seine jährliche USA-Reise für seine Eigenwerbung zwecks Wiederwahl im Mai 2010 genutzt hat, hätte sich gerne persönlich erklären dürfen.

Auch seine Erläuterung für die Tatsache, dass er immer noch keinen Opel als Dienstwagen fährt, hätte der TV-Zuschauer am späten Sonntagabend gerne vernommen. Ach ja, und die zu Tränen gerührte Noch-Milliardärin Maria-Elisabeth Schaeffler natürlich hätte auch gerne live erklären können, wie ihr Rettungsplan für den angeschlagenen Konzern aussehen soll, für den sie nach Staatshilfe gerufen hat.

Ob die Republik - passend zum 20. Geburtstag der Wiedervereinigung - wieder einen VEB, also einen volkseigenen Betrieb, ihr Eigen nennen kann? Die Runde bei "Anne Will" blieb die Antwort schuldig.

Die Politk verfügt in dem Auto-Dilemma nicht über das Patentrezept. Nur zum "Trabant" darf Opel nicht werden.

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