Anne-Sophie Mutter und die Kritik:Tanze Tango, Muse!

Anne-Sophie Mutter, ein Violinen-Wunderkind seit 26 Jahren, sieht sich seit ihren letzten beiden CD-Einspielungen jäher Kritik gegenüber. Das gab es noch nie. Dabei versucht ASM doch nur, ihrer unbändigen Lust am Heute neuen Wohllaut zu geben.

REINHARD J. BREMBECK

Im Juni wird sie vierzig Jahre alt werden, sechsundzwanzig davon ist sie auf den Konzertpodien der Welt zu Hause. Als sie 1977, im Alter von vierzehn Jahren, mit Herbert von Karajan bei den Salzburger Festspielen debütierte - der Meister hatte sie davor als Geigenwunder heiliggesprochen - begann eine der erfolgreichsten Musikerkarrieren der Neuzeit. Anne-Sophie Mutter setzte sich durch, trotz gewaltigem Medienrummel um das Wunderkind, weil sie technisch so souverän wie kaum jemand zu Werke geht und ihr von der Tongebung her rauschhaft beglückende Möglichkeiten zu Farbgebung und Intensität zur Verfügung stehen. Daran und an ihrem Weltrang hat sich nichts geändert.

Dieses Lachen bezaubert

Um so widersprüchlicher mutet es an, dass ihre beiden letzten kurz hintereinander erschienen CDs heftig kritisiert wurden. Während ihre zweite Aufnahme des Beethoven-Violinkonzertes der Zeitschrift Le Monde de la musique immerhin einen der begehrten "Choc" wert war, fühlte sich das deutsche Pendant Fonoforum "befremdet" und sprach von einem "manierierten Beigeschmack". Die neue Platte "Tango Song and Dance" mit Stücken von Fauré, Previn, Brahms, Kreisler und Gershwin feierte das renommierte englische Gramophone wegen ihrer "freedom of expression and, mostly, delectable results", während Fonoforum einen "Hang zu schicken Effekten" konstatierte. Die Neue Züricher Zeitung warf der Künstlerin ein "großzügiges Rubatospiel" vor, mehr noch: "Die architektonischen Proportionen des Werks geraten ins Wanken." Und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung brach unter dem Titel "Der allerletzte Tango" endgültig den Stab über ASM und verkündete ihren Niedergang: "...sie geigt nicht mehr so gut."

Was ist los? Ist der Deutschen liebste Geigerin bei den deutschsprachigen Medien in Ungnade gefallen?

ASM ist längst das Zentrum einer riesigen Werbemaschinerie, die gerade wieder auf Volltouren läuft. Im vergangenen August hat sie den Dirigenten, (Film-)Komponisten und vierfachen Oscar-Gewinner André Previn geheiratet. Schon weil ihr Mann über 30 Jahre älter ist als sie und Ehen unter Klassikstars eine Seltenheit sind, hat diese Heirat ein weltweites Medienecho gefunden. Jetzt ist sie einen Monat lang in Europas Musikzentren unterwegs und präsentiert die Stücke ihrer "Tango-Song"-Platte - und diese Konzertreihe eröffnet in der Karriere der Geigerin ein völlig neues und für sie hörbar fremdes Kapitel ihrer lebenslang so intensiv geführten Suche nach der klassischen Musik von Heute.

Diese Suche kann man bei ihr in drei Phasen einteilen. Anfangs, angeleitet von Herbert von Karajan, spielte sie die großen Werke der Tradition, stilistisch und konzeptionell noch ganz im Bann der Nachkriegszeit. Dann machte sie sich auf, unterstützt von Dirigent und Mäzen Paul Sacher, Stücke der konzertanten Avantgarde uraufzuführen: Lutoslawski, Rihm, Penderecki, Moret. Und jetzt, unter dem Einfluss Previns, geht sie daran, Traditionelles und Filmmusiknahes zu entdecken: Korngold, Ungarisches, Wienerisches, Tango.

So unterschiedlich diese Musikrichtungen auch sein mögen, sie verraten viel über die Zerrissenheiten und Zweifel dieser Musikerin. ASM treibt zweierlei um. Auf der einen Seite versucht sie einen absolut heutigen Stil im Umgang mit den alten Meisterwerken zu finden, auf der anderen will sie ein lebendig zeitgenössisches Repertoire etablieren, das den Meisterwerken zumindest ansatzweise an die Seite zu stellen wäre und das die konservative Mehrheit ihres Publikums nicht verschreckt.

Dieser Anspruch, zeitgenössisch zu sein und dabei weder die Tradition zu verraten, noch sich allzu sehr auf erprobte Wege zu beschränken, ist selbst für ein Geigengenie wie ASM schwer einzulösen. In der Unsicherheit, die solch eine Suche mit sich bringt, mag ein Grund liegen, warum sie immer wieder erfahrene Experten so intensiv konsultiert.

Wenn man den auf rekordverdächtige 27 Minuten gestreckten Kopfsatz des Beethoven-Violinkonzerts mit den klassischen Aufnahmen durch Bronislaw Huberman oder Josef Wolfsthal vergleicht, kommt man aus dem Staunen kaum heraus. Gerade weil diese Geiger rhythmisch so korrekt spielen und die eng gezogenen Grenzen akzeptieren, bringen sie es zu um so staunenswerteren Resultaten. ASM beharrt dagegen selbstbewusst auf ihrer interpretatorischen Souveränität. Sie gestattet sich deshalb die Freiheit zu Verzögerungen, Ausweitungen und Aufblähungen. So meditiert sie über Beethovens Konzert, sie spielt esoterisch anmutende Glossen dazu. Damit geht sie den recht angreifbaren Weg in eine subjektive Eigenwilligkeit, in einen Manierismus, der ihr, selbstverständlich, von vielen Kritikern verübelt wird.

In dem doch sehr konventionellen Genre des Klassikmusikgeschäfts geht vielen zudem gegen den Strich, dass sich ASM wie ein Model vermarktet. Ihre Fotos auf den CD-Covers und in den Booklets würden bestens in Frauenzeitschriften und Life-Style-Magazine passen. Nicht wenige Kritiker stellen die dann doch sehr schlichte Frage, was diese kommerzielle Stilisierung mit klassischer Musik zu tun hat. In der Tat mag sein, dass ihre Plattenfirma in Fragen des Marketings gern an die Grenzen von Kitsch und Geschmack geht, doch man kann diese modische Selbstpräsentation auch als Folge von Anne-Sophie Mutters Suche nach einer relevanten Vermittlung zwischen Klassik und Gegenwart sehen. Indem sie sich als modern elegante Frau gibt, versucht sie ihr Tun, ihre Welt - klassischen Musikern haftet ja stets der Ruch des Unzeitgemäßen an - als diesseitig attraktiv, unverzichtbar und eben zeitgemäß zu beweisen. Doch viele wollen ihr diesen Spagat zwischen der Scheinwelt des Modischen und den existentiellen Abgründen ernster Musik verübeln. Sollte es da etwa einen Zusammenhang geben zwischen ihrem Modegeschmack und ihren neueren idiosynkratischen Interpretationen?

Bei den Uraufführungen, die ASM spielt, handelt es sich meist um eher gemäßigt moderne Werke. Gut möglich, dass sie mittlerweile Zweifel daran hegt, ob diese Stücke die "Klassik von Heute", wenn es denn dieses Oxymoron zu Recht gibt, repräsentieren können, der das Publikum mit der gleichen Liebe wie Beethoven oder Mozart begegnen kann. Als sich ihr Kollege Gidon Kremer vor einigen Jahren dezidiert der Musik Astor Piazzollas zuwandte, mag bei ihm die Suche nach der relevanten zeitgenössischen Musik eine ebenso wichtige Rolle gespielt haben. Doch Kremer hatte davor schon einen Ausweg aus der Unpopularität der Neuen Musik gefunden, indem er die religiös oder meditativ gefärbte Musik von Pärt, Gubaidulina, Schnittke oder Vasks durchsetzte. Solcher Programmatik steht ASM eher fern.

Mit Filmmusik und traditionell gefärbten Stücken begibt sie sich nun auf ein neues Terrain - aber wieder mit dem festen Willen, hier die "Klassik von heute" zu entdecken. Ob Previns "Tango Song and Dance" diese hohen Ansprüche einzulösen vermag, ist fraglich: ein stupend geschriebener Dreiteiler, der Leichtigkeit und virtuose Effekte anbietet, aber mit Tango so wenig zu tun hat wie ein Salamander mit Dinosauriern. Unter einer gefälligen Oberfläche verbergen sich allerlei anspruchsvolle Kunststücke. Doch ob dem Stück je die Zuneigung des Publikums gelten wird, ist nach der zwar viel beklatschten, aber keineswegs triumphalen deutschen Erstaufführung in Ingolstadt keineswegs ausgemacht.

ASM spielt - die Parallele zum Beethoven-Konzert ist offensichtlich - weder Previn noch die Wiener Schmonzetten Kreislers, die Gershwin-Songs oder die Ungarica von Brahms idiomatisch korrekt. Sie pusht die Stücke mit jeder Menge von Einfällen, aber sie verliert sich gern an den instrumentalen Gesang, ohne dass sie die Werke, obwohl sie die Möglichkeiten einer Geige besser kennt als alle Komponisten, zum Tanzen bringt. Verweigert man diesen Stücken aber ihren Swing und ihre rhythmische Eigenart, muss ein Interpret geradezu eine genial einleuchtende Alternativlesart anbieten können, um zu überzeugen. Dahin aber ist ASM noch nicht gekommen. Also sucht sie, mit Recht, weiter.

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