Angelina Jolies Bosnien-Film schockt Amerika:Tödlich kontaminiert

Roher und gnadenloser als alles, was man sonst heute im Kino sehen kann: Mit ihrem Bosnien-Kriegsfilm "In the Land of Blood and Honey" distanziert sich Angelina Jolie entschieden von ihrem eigenen Hollywood-Milieu. Doch wofür steht die Gewaltparade? Als Regisseurin muss die Oscar-Preisträgerin womöglich noch dazulernen.

Jörg Häntzschel, New York

Goodwill-Botschafter der Vereinten Nationen besuchen die Krisengebiete der Welt, lenken mit ihrer Starpower die Kameras auf diese und berichten später bei Benefiz-Veranstaltungen von dem Leid, das sie gesehen haben. So tat es auch Angelina Jolie, die für das Flüchtlingskommissariat der UN schon in Tschad und Irak, in Darfur, Afghanistan, Libyen und Bosnien-Herzegowina war.

Doch für sie, die den Göttinnen aus Hollywoods großen Tagen ähnlicher ist als jeder andere lebende Star, war das nur der Beginn ihrer Mission. Nun folgt der zweite Teil: Sie hat, mit eigenem Geld und mit einem von ihr selbst geschriebenen Drehbuch einen Film über den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien inszeniert. Und was für einen. In the Land of Blood and Honey, der jetzt in den USA anläuft (ein deutscher Verleih wird noch gesucht), ist roher und gnadenloser als alles, was man sonst heute im Kino sehen kann.

Hollywood? Ist weit weg; seine Konventionen sind irrelevant, seine Stars und Spezialisten entbehrlich. Statt mit berühmten Freunden hat sie mit bosnischen, serbischen und kroatischen Schauspielern gearbeitet, deren Gesichter unbekannt und deren Namen unaussprechlich sind.

Es gibt eine englische Version, doch in den Kinos wird die bosnische gezeigt, mit Untertiteln. Und statt in komfortablen Studios zu drehen, ist die Regiedebütantin Jolie so entschlossen eingetaucht in die postsozialistischen Kasernen und Sozialwohnungen, dass man den Dunst von Schnaps, Zigaretten, Angst und Mordlust zu riechen meint. Entschiedener hätte sie sich vom eigenen Milieu nicht distanzieren können.

Die 28-jährige Ajla (Zana Marjanovic) hat ihr Baby bei der Schwester gelassen, sich was Schönes angezogen und trifft nun den jungen Polizisten Danijel (Goran Kostic) zum ersten Date. Sie ist Bosnierin, er ist Serbe, doch das erfahren wir erst später.

Keine Zeit für Fragen

Es ist Anfang 1992; die verschiedenen ethnischen Gruppen leben im damaligen Ex-Jugoslawien in "perfekter Harmonie" zusammen, wie Jolie im Vorspann wohl etwas zu blauäugig erklärt. Da wirft eine Explosion auf der Straße die in einem Club Tanzenden zu Boden. Die Sache geht glimpflich aus, doch der Anschlag markiert den Beginn des Kriegs, in dem sich die beiden wenig später auf gegnerischen Seiten wiederfinden.

So schnell eskaliert dieser, dass Beteiligte wie Zuschauer kaum mithalten können. Die Nachbarn, die eben noch gemeinsam tranken, knallen sich ab wie Hasen. Wie ein Kind, das einen Schneeball auf ein vorbeifahrendes Auto wirft, feuert ein serbischer Soldat eine Granate in einen Notarztwagen. Systematisch, als habe die Geschichte nie etwas anderes vorgesehen, schließen die serbischen Truppen die Schlinge um Sarajewo und beginnen mit ihren ethnischen "Säuberungen".

Ohne Strom und Wasser sitzen die Eingeschlossenen in ihren Wohnungen, wagen gelegentlich einen Blick auf die Straße, wo zwischen ausgebrannten Autos die Leichen von Mutigeren liegen, und warten darauf, dass die brüllenden Serben auch ihre Tür eintreten. "Ist das denn für immer oder nur vorübergehend?", fragte eine zum Militärbus stolpernde Alte in ihrer Naivität. Zur Antwort bekommt sie eine Kugel in den Kopf. Die Männer haben nicht einmal mehr Zeit zum Fragen. Sie werden hinten bei den Mülltonnen exekutiert.

Abends entspannt sich der Killer bei Wein und Sex

Auch Ajla kommt ins Internierungslager, wo die Soldateska die hübschesten Frauen gleich bei der Ankunft unter sich aufteilt. Sie liegt schon bereit zur öffentlichen Vergewaltigung, da entdeckt sie Danijel, der hier jetzt einer der Lagerbosse ist, und erspart ihr die Qual. So beginnt ihre Geschichte ein zweites Mal.

Angelina Jolie: "In the Land of Blood and Honey"

Der Zuschauer meint den Dunst von Schnaps, Zigaretten, Angst und Mordlust zu riechen: Zana Marjanovic (als Ajla) und Boris Ler in Angelina Jolies Regiearbeit "In the Land of Blood and Honey".

(Foto: AP Photo/Film District, Ken Regan)

Anfangs kann Danijel, der Sohn eines hohen Generals ist, nicht mehr für sie tun, als gelegentlich Zärtlichkeiten mit ihr auszutauschen und ihr bei einer - scheiternden - Flucht zu helfen. Später jedoch sichert er ihr ein großes Zimmer und privilegierte Behandlung.

Manche Kritiker erkannten hier eine moderne Version von Romeo und Julia. Doch anders als bei Shakespeares romantisch Verliebten macht jede Annäherung zwischen Aja und Danijel die Kaputtheit ihres Verhältnisses nur noch offenkundiger.

Immer wieder scheint es, als könne ihre Liebe hoffnungsvoller Kontrapunkt zum Konflikt zwischen den serbischen Aggressoren und den leidenden Bosniern werden. Aber nein - sie ist nur ein weiterer Schauplatz dieses Konflikts. Tagsüber knallt er mit seiner Einheit von den Hügeln aus die Menschen in Sarajewo ab, abends entspannt er sich bei ihr mit Wein und Sex. "Du bist mein Besitz", sagt Danijel halb im Spaß. Sie genießt seinen Schutz, hat ihm dafür aber auch zu Diensten zu stehen.

Doch wirklich artikuliert wird das Drama dieser tödlich kontaminierten Beziehung nicht. Jolie lässt offen, ob die den ganzen Film hindurch nahezu stumme Ajla Danijels Zuneigung nur erduldet, um schlimmeren Qualen zu entgehen, oder ob sie tatsächlich etwas für ihn empfindet. Und wie weit reicht Danijels Unbehagen an dem Gemetzel? Er senkt das Gewehr, als im Zielfernrohr ein Vater und sein Sohn auftauchen. Doch seufzend sagt er einmal zu Ajla: "Wärst du doch nur als Serbin geboren worden!"

So beklemmend der Anblick dieser Beziehung ist - ganz sicher ist man nie, ob das, was nach raffiniert inszenierter Verstörtheit aussieht, nicht doch das Ergebnis von Jolies Unfähigkeit ist, plastischere Charaktere zu zeichnen.

Ungerührtheit der Täter, Stumpfheit der Opfer

Denselben Verdacht hat man auch bei der Darstellung des Kriegs selbst. Jolie verzichtet auf Erklärungen, Rückblicke, Psychologie und Pathos. Nüchtern hält ihre Kamera auf die Gräueltaten, als mache sie sich mal die Ungerührtheit der Täter, mal die Stumpfheit der Opfer zu eigen.

Anfangs erscheint das als die ehrlichste Methode, das Unfassbare darzustellen. Dann jedoch fragt man sich, welchem Zweck die Gewaltparade eigentlich dient - das monierten auch die wenigen amerikanischen Kritiker, die den Film bislang besprochen haben,

Noch schockierender als die Bilder der Menschenjagd sind übrigens die Daten, die darunter stehen. Frühjahr 1992, Sommer 1993, Winter 1994: Das war doch eben erst! Was haben wir uns damals bloß gedacht? Warum haben wir nicht eingegriffen? Was auch immer Angelina Jolie gelungen oder nicht gelungen ist, immerhin bringt sie jeden ihrer Zuschauer dazu, sich endlich diese Fragen zu stellen. Damit hat sie schon sehr viel erreicht.

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