Angeben für Anfänger:Macht macht erfinderisch

Ob Sex-Skandale oder Korruptionsvorwürfe: Silvio Berlusconi übersteht jede Krise, so auch die aktuelle. Lernen Sie mitzureden über: Machterhalt.

Jassien Kelm

1 / 4
(Foto: dpa/dpaweb)

Ob Sex-Skandale oder Korruptionsvorwürfe: Silvio Berlusconi übersteht jede Krise, so auch die aktuelle. Lernen Sie mitzureden über: Machterhalt. Was ist das? Jedes Kind weiß früh um die Attraktivität von (elterlicher) Macht: Wer sie besitzt, muss sich äußeren Ansprüchen nicht unterwerfen. Sie dauerhaft zu bewahren ist jedoch eine Fähigkeit, die nur den wenigsten beschieden ist. Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi versteht es wie kein Zweiter, seine Macht zu erhalten. In dieser Woche triumphierte er erneut: Die von ihm gestellte Vertrauensfrage in der römischen Abgeordnetenkammer, die sein politisches Aus hätte bedeuten können, entschied er mit 314 gegen 311 Stimmen denkbar knapp für sich. Ob Sex mit Minderjährigen, Amtsmissbrauch oder Korruption - kein Vorwurf, und sei er noch so heftig, scheint ihm etwas anhaben zu können. Stets windet sich der Cavaliere mehr oder weniger elegant aus jeder Schlinge. "Da kann ich nicht mithalten", denken Sie. Falsch. Sie können das auch. Lesen und lernen Sie. Text: Jassien Kelm/sueddeutsche.de/rus/bön

2 / 4
(Foto: dpa)

So machen Sie sich lächerlich: Wenn Sie sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben wollen, werfen Sie Ihr mühsam erlerntes moralisches Wertesystem komplett über Bord - es ist völlig nutzlos. Sie sind bescheiden? Ab jetzt nicht mehr: Stärken Sie Ihre Position, indem Sie andere herabsetzen. Ihre eigene Leistung heben Sie hervor. Immer. Bei jedem Anlass. Gehen Sie niemals auf einen Vorwurf ein. Blasen Sie zum Gegenangriff! So lenken Sie von eigenen Fehlern ab. Ein Alltagsbeispiel: Sie geben in Ihrer Position als Staatschef eine Party für Parteifreunde. Zum Amusement werden (teilweise minderjährige) Edel-Prostituierte geladen - man will schließlich nicht als Knauser dastehen. Ein blöder Journalist macht das publik. Was nun? Sich entschuldigen? Machen Sie sich nicht lächerlich. Machen Sie es wie Berlusconi: Der sagte ein halbes Jahr nach einer solchen Begebenheit, im November 2010, er betrachte eben gern schöne Frauen. Und ging lehrbuchmäßig zur Attacke über: Das sei besser, "als schwul zu sein". Merke also: Bei aufkommenden Vorwürfen sofort angreifen. Möglichst unter die Gürtellinie - etwa eine Minderheit oder Ethnie diffamieren. Homosexuelle bieten sich in einem katholisch geprägten Land an, in den USA nehmen Sie im Zweifelsfall Mexikaner oder Araber, in einem islamischen Staat natürlich das Weltjudentum. Es folgt eine intensive Debatte über die Rechte dieser Gruppe - Ihnen wird vorgeworfen, homophob/rassistisch zu sein. Alle reden über Ihren rüden Umgang mit dieser Minderheit. Ihre Formulierung war wirklich unmöglich! Aber wie kam diese Debatte eigentlich auf ...  Merken Sie etwas?

3 / 4
(Foto: dpa)

So schinden Sie Eindruck: Gehen Sie aus jedem Disput als Gewinner hervor. Versetzen Sie sich erneut in die Lage Berlusconis: Im EU-Parlament wirft Ihnen ein deutscher Abgeordneter vor, Ihre Politik sei mit den Grundwerten der EU nicht vereinbar. Sie gehen in keiner Weise auf den Vorwurf ein. Sondern greifen an. Ein Beispiel für einen gelungenen Konter ist Berlusconis folgende Antwort auf den Vorwurf des EU-Parlamentariers Martin Schulz: "In Italien wird gerade ein Film über die Nazi-Konzentrationslager gedreht, ich schlage Sie für die Rolle des Lagerchefs vor." Verweise auf die nationalsozialistische Vergangenheit sind in Auseinandersetzungen mit Deutschen natürlich ein Selbstläufer. Nach derlei Attacken ist die Empörung groß. Seien Sie gewiss: Ihr Gegenüber wird sich nicht auf dieses Niveau begeben. Genau deshalb ist er EU-Parlamentarier und Sie Ministerpräsident. Wenn Ihr Opponent ein Deutscher ist, fügen Sie an, dass die Deutschen eben keinen Humor verstehen. Das zieht immer. So wird jeder über Ihre Respektlosigkeit sprechen, Ihre politischen Fehlentscheidungen geraten zur Nebensache.

4 / 4
(Foto: dpa)

Zitieren Sie:  Werfen Sie den Medien Futter hin. Kokettieren Sie offen mit dem Faschismus. Berlusconi bedient sich gerne aus dem Repertoire des Duce. Beispiel für einen perfiden Schachzug gefällig? "Ich wage einen Satz von jemandem zu zitieren, der als Diktator betrachtet wurde, ein großer und mächtiger Diktator. Sie sagen, dass ich Macht habe, das stimmt nicht. Ich weiß nur, dass ich meinem Pferd befehlen kann, nach rechts oder links zu gehen." Zitieren Sie also einen Radikalen und erzählen Sie irgendwas vom Pferd. Welches Blatt wird da noch über Ihre Steuerpolitik schreiben? In diesem Sinne: Bis nächste Woche!

© sueddeutsche.de/kelm - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: