Angeben für Anfänger:Die Gedanken sind Weiwei

Hatten wir nicht mal alle gelernt, uns unseres freien Verstandes zu bedienen? Kaum zu glauben, wenn man einen Blick nach China wirft. Lernen Sie mitzureden über: Aufklärung.

Daniela Otto

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Ausstellung: 'Kunst der Aufklaerung' in Peking

Quelle: dapd

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Hatten wir nicht mal gelernt, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen? Kaum zu glauben, wenn man einen Blick nach China wirft. Lernen Sie mitzureden über: Aufklärung. Die Aufschneider-Kolumne.

Was ist das?

Ganz aktuell ist sie wieder in jedermanns Munde, diese Aufklärung, und das alles wegen einer Ausstellung im fernen China, wo man sich freiheitsliebend gibt, aber liebend gerne Freiheit nimmt. Nicht zu verwechseln mit der Jugendarbeit der Bravo, versteht man unter Aufklärung zunächst einmal die radikale Konzentration auf die geistige Vernunft. Abgesehen von all den Morden, Fehden und verheerenden Naturkatastrophen meinte es die Bibel ja eigentlich recht gut mit den Menschen, immerhin steht das Motto "Es werde Licht" am Kapitelanfang der Schöpfungsgeschichte. Tatsächlich aber überwog die meiste Zeit die Finsternis und es dauerte bis zum 18. Jahrhundert, bis man darauf kam, dass Gott doch nicht alle Sünden bestraft. Am besten wusste das der besonders kluge Kopf Immanuel Kant, als er verkündete: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit." Gemeint ist das, was ungleich später die skandinavische Band Clawfinger ihren Fans mit etwas härterem Sound einzuhämmern versuchte, nämlich: "Use Your Brain" - und werde frei. Zu den Zielen der Aufklärung gehörte vor allem Freiheit, und das in jeglicher Hinsicht. Schnell war das Mittelalter als rückständig verurteilt, die meisten sprangen auf die Aufklärungsdroschke auf, die durch Europa tourte und deren Kutscher eben Kant, Rousseau, Voltaire & Co. hießen. Irgendwie muss dem Gespann unterwegs die Kraft ausgegangen sein. Denn, wie die letzte Rakete im Feuerwerk der Aufklärung, Theodor W. Adorno im 20. Jahrhundert schon anmerkte: Aufklärung ist Mytholohgie und Mythos ist schon Aufklärung. Und jenseits des alten Europa wollte und will man eh wenig davon wissen.

Text und Bildauswahl: Daniela Otto/sueddeutsche.de/rus/bgr

Im Bild: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Die Schöne auf dem Gemälde von Gottlieb Schick aus dem Jahr 1802 trägt die Farben der Französischen Revolution. Und hängt gerade als Leihgabe in der besagten Ausstellung "Kunst der Aufklärung" in Peking rum.

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Quelle: AFP

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So machen Sie sich lächerlich:

Indem Sie "so tun als ob". Und selbst das noch vermasseln. Wer diese Technik noch nicht draufhat, schielt zu unserem Ex-Verteidigungsfreiherrn hinüber, oder aber, noch viel besser: nach China. Die Aufklärungsdroschke ist da als eine Art Disneyworld für die gehobenen Stände installiert worden - im Museum. Der Staat indes betrachtet mit interesselosem Wohlgefallen die mitgebrachten Kunstdinge und macht weiter sein eigenes Ding. Das weiß man sogar ohne Wikileaks - nur tun trotzdem alle so, als sei es anders. Vielleicht kann man ja Geschäfte mit denen machen. Das Political-Correctness-Spielchen hätte sogar noch ein Weilchen funktionieren können, hätte sich das ferne Land nicht gerade ins eigene Bein geschossen. Mit seiner neuesten Kunstzensur-Aktion liefert China wieder einmal großes Kino - wenn man die stelzigen Versuche des Staates beobachtet, sich westlich moderat, also kapitalistisch zu geben und dabei doch der Welt das Gegenteil zu beweisen. Während also Peking medienwirksam die Ausstellung "Kunst der Aufklärung", eigentlich aber nur sich feiert, stecken die Behörden den chinesischen Künstler Ai Weiwei hinter Gitter, der wie kein Zweiter für die Werte der Aufklärung steht. Blöd nur, dass das jeder mitbekam. Auch blöd, dass jetzt jeder, aber auch wirklich jeder, den Politaktivisten Ai Weiwei kennt. Aus der Nummer kommt das rigorose China so einfach nicht mehr raus.

JÜRGEN HABERMAS AUF DER BUCHMESSE

Quelle: dpa

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So schinden Sie Eindruck:

Indem Sie sich schmerzfrei der radikalen Desillusionierung hingeben, den mahnenden Zeigefinger heben und sich an die eigene Nase fassen, denn auch hierzulande geht es bergab. Meint zum Beispiel Habermas: Der weiß nämlich, dass die Entmündigung der europäischen (!) Bürger schon längst eingeläutet wurde. Hm. Und jetzt?

Werden Sie also wieder kritisch, misstrauen Sie den geheimen Machenschaften der machthungrigen Politeliten, strecken Sie Ihr auf cutting-edge getrimmtes Näschen in die Luft, wittern Sie den Trend so sicher wie ein Spürhund die verwässerte Fährte eines Täters bei Wind, Regen, Sturm, Hagel und Schneechaos. Der heißt nämlich: Der Untergang der Aufklärung hat wegen schlechten Chinakohls bereits stattgefunden. Merkels Atommoratorium etwa ist da nur ein Beispiel: Wenn die Wünsche der Bürger nur beachtet werden, wenn diese der Politik zu eigenen Machtzwecken dienen, bleiben Freiheit und Mündigkeit des Volkes auch inmitten Europa, so Habermas, gehörig auf der Strecke. Und sei es auf der nach Stuttgart 21.

Prisoner in jail cell in Ohio

Quelle: Bildagentur-online/SC-Photos

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Zitieren Sie:

Den Künstler, den Kritiker, den Staatsfeind Ai Weiwei:

"Die Vernunft der Deutschen verleiht ihnen eine Begabung im Denkerischen."

Seien Sie also mutig und schmeißen Sie Ihr Gehirngetriebe an. Und fahren Sie nicht nach China. Oder machen Sie mal ein Philosophenwitzchen: "Herr Doktor, wenn ich morgens aufstehe, ist mir immer eine halbe Stunde schwindelig. Erst dann geht's mir wieder besser." Arzt: "Dann stehen Sie doch eine halbe Stunde später auf."

In diesem Sinne: Bis nächste Woche!

© sueddeutsche.de/dato
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