Amy Winehouse:Promiskuität, Promille, Prominenz

Auf der Bühne vergisst Amy Winehouse zwar schon mal ihren Text und greift zu einer schwarzen öligen Flüssigkeit. Doch ihre Stimme übertönt ihren Ruf als Skandalnudel des Pop.

Tobias Moorstedt

Um das gleich zu Beginn zu klären: Es gab beim Hamburger Konzert von Amy Winehouse genügend Momente, in denen man den Schlagzeilendonner vergessen konnte, der in den letzten Monaten um diese zierliche, 24 Jahre alte Soul-Sängerin aus London herumgetobt hatte. Momente, in denen niemand Böses dachte, und Amy Winehouse, das Mädchen mit dieser Stimme aus der prädigitalen Ära, und ihr junges New Yorker Power-Jazz-Orchester die üblen Gerüchte und giftigen Tatsachen aus dem Congress Center Hamburg (CCH) hinaus fegten, ganz einfach so, mit der Macht der Musik.

Und dann vergaß Amy ihren Text, stotterte, nuschelte, lallte und griff hastig zu einem Glas, in dem eine schwarze, ölige Flüssigkeit hin und her schwappte. Nach 30 Minuten also doch ein Moment der Hilf- und Orientierungslosigkeit. Keiner im Publikum, der da nicht an die Drogen- und Alkoholprobleme der Sängerin dachte, die Exzesse, die Tiraden ("Shut up, Bono!") und die Konzerte, bei denen sie ins Publikum spuckte und weinend von der Bühne stürmte. Von einer Sekunde auf die andere mutiert das Stimmwunder zur Skandalnudel - und das Publikum jubelt und lacht.

Die Menschen, für die Kultur vor allem auf den Klatschseiten stattfindet, wurden jedoch enttäuscht. Die Schlagzeile "Suff und Soul - Amy bricht auf der Bühne zusammen" wurde nicht gedruckt. Abgesehen von dem kleinen Text-Kurzschluss lieferte die Sängerin ein makelloses Soul-Set ab. Am Ende sang sie ihren selbstreferentiellen Hit "Rehab" ("They want to send me to rehab - I say no, no, no"). Das Lied klang wie ein Statement, und erinnerte daran, dass das Wort "Rehabilitation" nicht unbedingt nur den Klinikaufenthalt eines Prominenten bezeichnen muss, es kann auch bedeuten, seinen Ruf zu retten, und sei es bloß für eine Nacht.

Das Konzert war eine Zeitreise in die späten fünfziger Jahre: Im kühlen, mit Netzwerk-Buchsen übersäten Fichtenfurnier-Saal 3 des CCH wird sonst über Gefäßchirurgie und Direktmarketing diskutiert. Der wilde Entertainer zu Besuch im Business-Komplex der Mittelschicht - das erinnerte irgendwie an Las Vegas und das Rat Pack. Auch die silbernen Decken-Zylinder und die rosa-mintgrünen Scheinwerferkegel passten ins Bild. Und Amy stand mit ihrer hochgesteckten Frisur, einem engen, ärmelfreien Kleid und dem breiten Gürtel nervös zappelig auf der Bühne, wie eine Figur, die gerade aus einem Schwarz-Weiß-Fernseher gestiegen ist und sich noch an die grellen Farben gewöhnen muss.

Eine bloße Kopie der alten Soul-Heldinnen liefert sie trotzdem nicht. Amy-Winehouse-Konzerte sind Ausflüge in eine Parallelwelt, in der die Shangri-Las und Supremes schon einmal von Punk und Hip-Hop gehört haben. Ein kratziger, federnder Swing wird gespielt, mit kräftigen Saxofon-Sätzen, und einem Schlagzeuger, der mit den Trommelwirbeln des Rock 'n' Roll und den Beatroutinen der Hip-Hop-Produzenten gleichermaßen vertraut ist. Die Band agiert noch agiler und dynamischer als auf der inzwischen drei Millionen Mal verkauften neuen Platte "Back to Black", liefert spontane Tempi-Wechsel und unternimmt immer wieder kleine Abstecher ins Karibische - Ska-Soul. Aber: "Amy rules", wie man im Englischen sagt.

Die Sängerin dominiert jeden einzelnen Song, über allem schwebt die schneidende Fülle ihrer Stimme - ob die Instrumente nicht virtuos genug gespielt werden, um gegen sie anzukommen, oder von Anfang an keine Chance hatten, ist am Ende egal. In Winehouse' Stimme hallt die Erlösungssehnsucht des Gospels nach, die existentielle Verzweiflung, die Leidenschaft, Trauer, Wut und Leere.

Soul-Queen des Hyperrealismus

Amy Winehouse ist kein Fitness-Freak wie Madonna oder Britney Spears in ihrer besten Zeit. Performance - das geht auch ohne Akrobatik und physische Special Effects. Die Londonerin beschränkt sich auf leichtes Hüftwackeln und ein wenig Herumnesteln am Dekolleté, die unbeholfene Sexyness ist ein visuelles Echo von Marilyn Monroes Auftritten, genau wie der Körper, der viel zu durchsichtig, weich und schwach zu sein scheint für all die Blicke.

Bezeichnend, dass die Gedächtnislücke beim siebten Song den größten Jubel auslöste an diesem Abend. Die mediale Erzählung ist eben immer Teil des Erlebnisses Pop. Selbst auf ihrer eigenen Homepage wird Winehouse als Borderline-Persönlichkeit vorgestellt, gleichermaßen in Kontakt mit den Göttern des Souls wie den dunklen Seiten ihres Ichs.

Ein Video-Feed auf der Homepage schneidet Musikvideofetzen gegen Interviewsequenzen und wird so zu einer Mischung aus Werbeclip und Enthüllungsdokumentation, ihre "fiktiven Songtexte" über Promiskuität, Promille und Prominenz werden mit Statements der "realen Künstlerin" gemischt. Sie sagt: "Alles, was die Presse schreibt, stimmt." Amy Winehouse stellt damit die übliche Popstar-Dementi-Praxis auf den Kopf: "Meine exzessive Ader ermöglicht es mir ungefiltert auf die Songs zuzugehen."

Das Beharren auf der 1:1-Übersetzung von Leben in Kunst ist ein ähnlich gewagtes Projekt wie die Wiederbelebung des Souls. Ihr angeblich so authentisches Leben und Leiden auf den Titelseiten der Boulevard-Presse hat die Wirklichkeit längst verdrängt, ist Simulation geworden. Amy Winehouse ist die Soul-Queen des Hyperrealismus.

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