Amerikas Untergangsszenarien:Apokalypse, wow!

Vorsicht vor dem Super-Mao: 114 Arten, wie die Welt untergehen könnte - oder auch nur die USA. Warum für Amerikaner so oft das Ende naht.

Alex Rühle

Das Ende war immer schon nahe. Besonders in Amerika: Aufgrund ihrer wörtlichen Bibelexegese ist für die christlichen Fundamentalisten Amerikas die Apokalypse eine ausgemachte Sache. Vom 11. September über den Libanonkrieg bis hin zur Wasserknappheit im Mittleren Westen wird jedes größere tagespolitische Ereignis als Geschehen gedeutet, das schon in der bildreich-vagen Offenbarung des Johannes erwähnt werde, ergo: Es geht dem Ende zu!

Amerikas Untergangsszenarien: Diverse Katastrophen lassen Amerika in Kinofilmen untergehen: Szene aus Roland Emmerichs "The Day After Tomorrow".

Diverse Katastrophen lassen Amerika in Kinofilmen untergehen: Szene aus Roland Emmerichs "The Day After Tomorrow".

(Foto: Foto: ddp)

Das amerikanische Online-Magazin Slate hat es sich nun dankenswerterweise zur Aufgabe gemacht, in einer Art cinemascopischem Aufriss die wichtigsten Untergangsszenarien für Amerika aufzufächern und auf ihre Plausibilität hin zu befragen. In seiner großartig recherchierten Artikelserie navigiert der Journalist Josh Levin in genau dem richtigen Ton durch all diese Szenarien: Auf der einen Seite hat er sehr gründlich recherchiert, ist wochenlang durch die Staaten gefahren und hat sich mit Bakteriologen und Soziologen, Futurologen, Urbanisten oder auch einem Wasserwirtschafter unterhalten, der ziemlich plausibel erklärt, dass die Gegend um die Great Lakes die einzige Gegend sein wird, in der es sich in ein paar Jahrzehnten noch leben lässt, schließlich wird es hier auch in Zeiten der Dürre genug Süßwasser geben. Der Tenor all seiner Gesprächspartner: So wie bisher geht's nicht weiter.

Kalifornien fällt an China, Alaska an Russland

Auf der anderen Seite macht Levin sich über unser aller Weltuntergangsseligkeit lustig und stellt einige der schillerndsten Auguren vor, vom Fox-Moderator Glenn Beck, der überzeugt davon ist, dass New York aufgrund all der Einwanderer schon in wenigen Jahren aussehen werde wie Bagdad, bis hin zu Igor Panarin, dem bizarren Politikprofessor aus Moskau, der schon seit Jahren sagt, dass die USA 2010 kollabieren werden. Der Mann war beim KGB und leitet heute die Diplomaten-Akademie im russischen Außenministerium.

Mittlerweile hat er sein Szenario verfeinert: Masseneinwanderung, die Finanzkrise und der allgemeine Sittenverfall werden im kommenden Frühjahr in einen Bürgerkrieg münden, im Sommer zersplittern die USA dann in sechs Teile, wobei Kalifornien an China fällt und Alaska wieder unter russische Kontrolle gerät. Jamais Cascio, Zukunftsconnaisseur aus dem Institute for the Future in Palo Alto, wo auch alle zwei Jahre das Ten-Year Forecast Spring Retreat, eine Art Klassentreffen der Zukunftsforscher, stattfindet, glaubt gar, dass die USA infolge diverser klimatisch bedingter Katastrophen, Hungersnöte und außenpolitischer Spannungen (natürlich mit China) in acht Staaten zerfallen werden. Immerhin finden bei ihm aber irgendwelche afrikanischen Biohacker 2026 ein Mittel gegen AIDS.

Wenn man Futurologen wie Cascio so selbstbewusst vor sich hin prognostizieren hört, weiß man nicht recht, ob man sie um ihr Selbstbewusstsein beneiden oder den Arzt rufen soll, schließlich sind Prognosen eigentlich nur dafür da, widerlegt zu werden: Als Thomas Watson, der Chef von IBM, 1943 gefragt wurde, wie viele Computer in Zukunft weltweit gebraucht würden, sagte er: "Vier oder fünf." Und die amerikanische Business Week schrieb 1968 über die japanische Autoindustrie: "Es gibt bereits über 15 verschiedene ausländische Automarken auf dem Markt. Da haben die Japaner überhaupt keine Chance mehr."

Levin selbst aber geht es ja nicht darum, letztgültige Prognosen abzugeben, sondern darum, darüber nachzudenken, warum die Amerikaner so gerne über den Weltuntergang und das eigene Ende phantasieren, und darum, aus dem Chor der Kassandras deren Leitmotive zu destillieren. Was das Faible für den Untergang angeht, so verweist Levin auf verschiedene wunderbare Apokalypsemessgeräte, unter anderem die sogenannte Doomsday Clock, die man am besten als "Uhr des Jüngsten Gerichts" übersetzt, eine symbolische Uhr, die das Bulletin of the Atomic Scientists 1947 in Gang gesetzt hat, um deutlich zu machen, wie groß - nach Meinung der Atomwissenschaftler - das aktuelle Risiko eines Atomkrieges ist. Auf ihrem Ziffernblatt stehen 12 lange Stunden Verfügung, die Uhr aber steht seit ihrer Erfindung permanent auf kurz vor Apokalypse. Zwar wurde der Zeiger im Verlauf der Jahre 18 mal umgestellt, nie aber auf irgendeine entspannte Nachmittagszeit. Selbst 1991, nach dem Zerfall der UdSSR, als die Großwetterlage so entspannt war, dass der amerikanische Philosoph Francis Fukuyama vom Ende der Geschichte redete, stellten die Nuklearwissenschaftler die Zeiger nur auf 11 Uhr 43. Man kann ja nie wissen. Seit der letzten Bewegung 2007 steht sie wieder auf den metaphorischen fünf vor Zwölf.

Lesen Sie auf Seite 2 die vier populärsten Thesen zum Weltuntergang.

Sind wir Rom?

Nun gesellen sich zur nuklearen Gefahr seit Jahren schon andere unangenehme Entwicklungen: Die Erderwärmung wird auch vor den amerikanischen Küsten nicht halt machen, in vielen Gegenden wird das Süßwasser knapp, wirtschaftlich hängt das Land am chinesischen Tropf, General Motors ist pleite, Kalifornien auch, da kann man als Amerikaner schon ins Grübeln kommen.

Kein Wunder, dass sich auch auf dem amerikanischen Buchmarkt Endzeitszenarien hervorragend verkaufen. Jared Diamond zog 2005 in "Collapse" Parallelen zwischen früheren Gesellschaften, die sich selbst durch kurzsichtiges Wirtschaften alle Lebensgrundlagen entzogen haben, und der heutigen Zivilisation. Cullen Murphy fragte in "Are we Rome?", ob Amerika den Zerfall seines Imperiums noch verhindern kann. Und seit dem Beginn der Finanzkrise kann man die Titel kaum noch zählen, in denen eine Welt nach dem Zeitalter der amerikanischen Hegemonie gezeichnet wird. Ja, Untergangsprophezeihungen verkaufen sich derart gut, dass die Bestsellerautoren John Hall und Charles Lindholm unumwunden zugeben, dass sie ja schön blöd gewesen wären, wenn sie ihr Buch "Is America breaking apart?", das sich dank der dräuenden Frage im Titel bestens verkauft hat, "America isn't breaking apart at all" genannt hätten, obgleich genau das ihre These ist.

Vier Thesen sind es, die auf Levins Reise durch die dunkle Zukunft Amerikas immer wieder auftauchen: Im Kollaps-Szenario bricht das Land aufgrund diverser Katastrophen (siehe Cascio) zusammen. Im zweiten und dritten Szenario wird nur davon ausgegangen, dass Amerika seine Führungsrolle verliert. Und dann gibt es natürlich die Idee eines "globalen Napoleon" oder "Super-Mao", wie der Futurologe Peter Schwartz den bösen Usurpator bezeichnet, der die Weltherrschaft an sich zu reißen versucht. Diese Gefahr scheint immerhin recht gering zu sein, ist doch das militärische Gleichgewicht, so Schwartz, relativ gleichmäßig über den Globus verteilt.

Der Historiker Alexander Demandt trug in seiner Studie "Der Fall Roms" 210 Gründe für den Untergang des Imperiums zusammen, darin kam außer einer feindlichen Übernahme durch die Chinesen so ziemlich alles vor, was man sich auch heute an Weltuntergangsgründen vorstellen könnte, inklusive Bolschewismus, Feminismus, veränderten Umweltbedingungen, einer schleichenden Orientalisierung Europas und Barbarenüberfällen. Slate bietet auf dem eigenen Apokalypsometer 144 Weltuntergangsszenarios, aus denen die Leserschaft sich die fünf plausibelsten heraussuchen soll. Die Auswahl reicht von Ökodesastern über wörtlich genommene Bibelvorhersagen und Killerastronauten bis hin zur Copyright-Piraterie, die Hollywood zerstört und damit das Ende der kulturellen Hegemonie bedeutet. Bevorzugter Katastrophencocktail der Leser ist aktuell eine Kombination aus Peak Oil, Klimakatastrophe, Chinesenangst und irgendwelchen Bakterien.

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