Amerikanischer Fotograf:Die Kunst des nackten Gruppenfotos

Spencer Tunick, Fotograf aus Amerika, beherrscht sie - das hat er aktuell mit 3200 grün und blau bemalten Menschen in einer britischen Kleinstadt bewiesen. Nur aufregen kann er damit niemanden mehr.

Von Jörg Häntzschel

Was haben Mexico City und der Aletsch-Gletscher, Buffalo und das Tote Meer, New York und Sidney gemeinsam? Spencer Tunick hat an diesen und vielen anderen Orten schon nackte Menschen zu Massenbildern arrangiert. Seit 1994 macht der 49-jährige amerikanische Künstler nichts anderes.

Ein paar Vorabmeldungen in der lokalen Presse reichen aus, um die oft vielen Tausend Mitwirkenden zu mobilisieren. Die finden sich dann meist am frühen Morgen an einem zentralen Platz ein, dem Times Square in New York oder dem Platz vor der Münchner Oper. Tunick weist ihnen per Megafon ihre Positionen zu, macht seine Bilder, und wenig später bekommen alle Teilnehmer zum Dank einen Abzug.

So war es auch am Samstag im britischen Kingston upon Hull, wo sich 3200 Menschen für Tunick auszogen. Einzige Neuerung: Diesmal wurden die nackten Körper blau und grün geschminkt, was die Performance hätte wirken lassen können wie eine live nachgespielte Szene aus dem Film "Avatar" - wäre nur mehr passiert. Aber es passierte, wie immer bei Tunick, nichts. Tunicks Kunst beginnt und endet mit dem nackten Gruppenfoto.

Tunick sieht seine "Installationen" in der Tradition der Happenings und Performances, die sich in den Sechzigern als eigene Kunstform etablierten und in den vergangenen zehn Jahren ein großes Revival erlebten. Der nackte Körper ist eines ihrer wichtigsten Motive. Doch mit der Hunger-, Entblößungs- und Verletzungskunst der Avantgardisten von damals, die Akteuren und Zuschauern einiges abverlangte, haben Tunicks Massenszenen nichts zu tun.

Amerikanischer Fotograf: Spencer Tunick, Fotograf, der in Großbritannien 3200 Nackte abgelichtet hat.

Spencer Tunick, Fotograf, der in Großbritannien 3200 Nackte abgelichtet hat.

(Foto: Jon Super/AFP)

Was seine Bilder auf den ersten Blick neu und faszinierend macht, ist die Tatsache, dass man das nicht gewöhnt ist: sehr viele nackte Körper. Was seine Bilder auf den zweiten Blick aber eher nichtssagend macht, ist die Tatsache, dass das Aufwühlende der Nacktheit sich mit der Zahl der Körper nicht vervielfacht, sondern vermindert. Auch die Behörden haben das längst verstanden. Anfangs musste Tunick sich bei seinen Aktionen noch beeilen, um die Szenen im Kasten zu haben, bevor die Polizei einschritt. Heute beauftragt man ihn, um Kunstfestivals in die Medien zu bringen oder den Tourismus anzukurbeln.

Und da ist noch etwas anderes: Zwar schwärmen Tunicks Mitwirkende oft von dem Gefühl der Befreiung, das sie erlebten, als sie sich im Schutz ebenso nackter Mitmenschen öffentlich zeigten. Andererseits reduziert Tunick sie zu bloßem Material für seine Körperornamente. Die offene Frage ist, ob seine Nackten nun mehr Mensch sind als etwa die uniformierten Parteitagsteilnehmer in Leni Riefenstahls "Triumph des Willens" - oder weniger.

Bei einem anderen Parteitag, dem der Republikaner in Cleveland übernächste Woche, wird Tunick mit seiner nächsten Aktion für Furore sorgen. Dort sollen, so Tunick auf seiner Website, 100 nackte Frauen mit Spiegeln "das Konzept von Mutter Natur auf das Kongressgebäude reflektieren".

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