Amerikanische Literatur:Rasante Piep-Show

Mit 51 Jahren legt die in Bad Belzig in Brandenburg lebende, von Jonathan Franzen entdeckte Amerikanerin Nell Zink ihren Debütroman vor: "Der Mauerläufer" ist ein vergnügliches Muss, nicht nur für Birdwatcher und Hauptstadt-Hipster.

Von Jutta Person

Der Tatbestand des Ornisexismus war bislang unbekannt, aber für Nell Zinks Debütroman "Der Mauerläufer" muss er in die Literaturkritik eingeführt werden. Birdwatcher, die Frauen herabwürdigen? Frauen, die nur ans Brüten denken? Vögel, die mit schlechtem Beispiel voranfliegen? Die Amerikanerin bringt zusammen, was zusammengehört: Vogel, Frau, Fetisch. Ihre monstermeisenmäßig durchgeknallte Vögelgroteske bietet alles auf, um Lebewesen als Triebwesen kenntlich zu machen - was zu Ökoterrorismus und schließlich zu bildungsromanhafter Selbsterkenntnis führt. Nell Zink, die im brandenburgischen Bad Belzig lebt, wurde vom Groß-Vogelkundler Jonathan Franzen entdeckt. Die 51-Jährige hatte ihn per Brief auf die Vogelwelt des Balkans aufmerksam gemacht.

Amerikanische Literatur: Nell Zink: Der Mauerläufer. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Überhoff. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 188 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Nell Zink: Der Mauerläufer. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Überhoff. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 188 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Die Hauptstadt-Hipster werden im Buch als bleiche Höhlenheinis veralbert

"Der Mauerläufer" (Tichodroma muraria) handelt von einem Vogel und seinen schrägen menschlichen Pendants, einem amerikanischen Birdwatcher-Pärchen, das in Bern lebt. Stephen verdient das Geld, die Ich-Erzählerin Tiff ist bekennende Hausfrau und Noch-Nicht-Mutter. Bei einem Autounfall - Stephen hatte einem Mauerläufer hinterhergeschaut - geht die erste Schwangerschaft verloren, dafür nimmt das Paar den Vogel mit und pflegt ihn an Kindes statt. Bald landen sie in Berlin und werden Umweltaktivisten. Bei einer Stiftung, die sich um die Renaturalisierung von Flüssen kümmert, arbeitet Stephen mit einer Aktivistin zusammen, die wegen ihres verfilzten Haarturms "Schlunze Dread" genannt wird - Übersetzer Thomas Überhoff bringt die Spottpracht des Romans perfekt zur Geltung. Es folgen BUND-Treffen sowie Ausflüge nach Albanien, wobei Tiff sich radikalisiert und emanzipiert. Sie wird zur Ökoterroristin und sabotiert einen Elbedamm, um den Steckby-Lödderitzer Forst zu retten. Den es wirklich gibt. Aber zum geografischen Realismus gleich mehr.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Roman stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Neben cartoonhafter Krawallironie prägt Tiffs reicher Bildungsschatz - von Shakespeare über Marx und Kropotkin bis zu Robert Walser - den Ton des Romans. Vor allem Marx hilft ihr, den Zusammenhang von Ehe, Sex, Arbeit und Reproduktionsprozess zu verstehen. Doch bewahrt sie sich ihren erfrischenden Biologismus; "brüten und futtern" ist ihr Lebensinhalt, auch wenn es mit dem Nestbau in Kreuzberg nicht so richtig klappt. Es gibt wildes Berlin-Bashing in diesem Roman, der Hauptstadthipster als bleiche Höhlenheinis veralbert.

Überhaupt, die Ortskenntnis: Nell Zink, aufgewachsen in Virginia, ist bestens informiert, was ökologische Flussprojekte rund um Rhein und Elbe und natürlich die südosteuropäische Vogelwelt betrifft. Veröffentlicht hatte sie bis zu ihrem Franzen-Kontakt noch nichts - außer in den Neunzigern in Philadelphia das Fanzine Animal Review: Punkmusiker schrieben darin über ihre Haustiere. Sie lebte einige Jahre in Israel, zog nach Deutschland, promovierte in Tübingen. Dort machte sie 2009 OB Boris Palmer einen öffentlichen Heiratsantrag, weil die Stadt ihr Einkommen als Übersetzerin für zu gering befand und sie ausweisen wollte. Gut, dass sie Palmer nicht heiraten musste. Gut, dass sie Franzen kennengelernt hat. Und gut, dass es bald einen zweiten Roman auf Deutsch geben wird.

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