Amerikanische Literatur:Mord und Leselust 

Stephen Kings neuer Roman "Finderlohn" ist ein klassischer Krimi - und eine Studie über das Schreiben.

Von Christoph Schröder

Im Jahr 1999 wurde der Schriftsteller Stephen King als Fußgänger von einem Kleinbus erfasst und schwer verletzt. Der Fahrer war betrunken und gab an, ein Hund habe ihn abgelenkt. Als King das Krankenhaus wieder verlassen durfte (er hatte dort übrigens seinen Roman "Dreamcatcher" geschrieben), kaufte er den Kleinbus und zerstörte ihn am Jahrestag des Unfalls. Er habe damit, so sagte er später, verhindern wollen, dass das Auto zu einer teuer gehandelten Devotionalie würde. Der manische Schreiber King verfügt ganz offensichtlich über ein gutes Gespür dafür, in welch absurde, ja gar krankhafte Richtung die Verehrung von Lesern gegenüber ihrem Autor gehen kann.

King gehört zu den Autoren, die mehr Fans als einfach nur Leser haben. Das Verhältnis zwischen einem Autor und seinem Publikum hat er bereits in mehreren Büchern zum Thema gemacht. Das bekannteste Beispiel dürfte der Roman "Misery" sein, in dem eine Krankenschwester ihren verletzten Lieblingsautor in ihrem Haus gefangen hält. Aber auch in "Lisey's Story", jenem Buch, das King für sein bestes hält, wird die Witwe eines Schriftstellers von einem Fanatiker bedroht, dem es um den noch unveröffentlichten Nachlass geht.

"Finderlohn", der neue Roman, Kings' offiziell 74. Buch (es gibt unterschiedliche Zählungen), beginnt im Jahr 1978 mit einem Mord aus Enttäuschung. Das Opfer, John Rothstein, ist Schriftsteller, Verfasser dreier Romane, die in den 50 er-Jahren sowohl Bestseller als auch Kritikererfolge waren. Seine Trilogie erzählt von einem Unangepassten, einem Außenseiter namens Jimmy Gold, der, so legen die Andeutungen es nahe, in den ersten beiden Teilen sein Rebellentum pflegt, um in Teil drei als Angestellter einer Werbeagentur und leicht verfetteter Familienvater in einem Vorstadthäuschen zu landen. Seit 1960 hat Rothstein, dem King eine innere Verwandtschaft zu Salinger, Cheever und Updike zuschreibt, "ein Spezialist für die Existenzangst der Jugendlichen", wie es heißt, kein Buch mehr veröffentlicht.

Stephen King Misery

Fans sind nicht immer harmlos: Kathy Bates und ihr Lieblingsautor im Film zu Stephen Kings "Misery".

(Foto: MGM Home Entertainment)

Seinen Helden auf diese Weise enden zu lassen ist für Rothsteins Mörder Morris Bellamy gleich ein doppelter Verrat; ein Verrat an der Figur Jimmy Gold und an ihm, dem identifikatorischen Leser. Mit zwei Kumpels dringt Bellamy in die Wohnung ein, in der der fast achtzigjährige Rothstein zurückgezogen lebt. Den Komplizen geht es um Bargeld, Bellamy um etwas anderes. Als Rothstein ihn verhöhnt, erschießt Bellamy ihn und räumt den Safe leer: Rund 20 000 Dollar in Bargeld und eine unüberschaubare Menge an Moleskine-Notizbüchern fallen ihm in die Hände - unveröffentlichtes Material, Tausende Seiten, von denen Morris sich eine Fortsetzung der Jimmy-Gold-Reihe erhofft.

Stephen King hat 2014 in "Mr. Mercedes" das Krimigenre für sich entdeckt; im selben Jahr erschien "Revival", ein glänzender Horror-Roman, der religiösen und wissenschaftlichen Wahn miteinander verband. "Finderlohn" wiederum ist die Fortsetzung von "Mr. Mercedes" und mit diesem auf mehreren Ebenen verwoben. Unmittelbar nach dem Mord an Rothstein vergräbt Bellamy den Koffer mit dem Geld und den Manuskripten auf einem verwilderten Grundstück hinter dem Haus, in dem er mit seiner Mutter lebt. Kurz darauf wird er wegen eines anderen Verbrechens verurteilt und ins Gefängnis gesteckt.

Morris Bellamy hat eine Obsession für die Romanfigur Jimmy Gold

Im Jahr 2010 gräbt der 13-jährige Peter Saubers, dessen Vater ein Opfer des Mercedes-Anschlags ist und der nun mit seiner Familie im ehemaligen Haus der Bellamys wohnt, den Koffer zufällig aus. Als Morris Bellamy vier Jahre später aus dem Gefängnis entlassen wird, macht er sich auf die Spur der verschwundenen Manuskripte. Der Gedanke daran hat ihn 36 Jahre Gefängnis überstehen lassen. Nun hat er nichts mehr zu verlieren, außer dem Wissen um den weiteren Lebensweg seines Helden Jimmy Gold. Eine Obsession, die all den Alltagsmüll in seinem Leben beiseitegeräumt hat. Morris hat sich Jimmy angeeignet - es geht auch um sein eigenes Leben, um nicht weniger.

Amerikanische Literatur: Stephen King: Finderlohn. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt. Heyne Verlag, München 2015. 542 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.

Stephen King: Finderlohn. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt. Heyne Verlag, München 2015. 542 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.

Es war das Duell zwischen dem schwerfälligen und lebensmüden pensionierten Polizeibeamten Bill Hodges und dem hoch intelligenten Psychopathen Brady Hartsfield, das aus "Mr. Mercedes" einen so flirrenden Roman mit überraschenden Wendungen machte. Allein deswegen ist "Finderlohn" der eindeutig schwächere Roman: Morris Bellamy ist ein Choleriker auf der einen und ein blindwütig Liebender auf der anderen Seite, verliebt in die Schöpfung desjenigen, den er umgebracht hat.

Von der opaken Dämonie eines Bradley Hartsfield ist Bellamy weit entfernt. Und da ein Ermittler an und mit seinem Gegenspieler wächst, wirkt auch Bill Hodges, der über Umwege in den Fall eingeschaltet wird, wesentlich matter als in "Mr. Mercedes". Hodges, mittlerweile verschlankt und mit Herzschrittmacher ausgestattet, betreibt seit dem Mercedes-Fall gemeinsam mit der psychisch labilen Holly Gibney eine Art privates Detektivbüro. In "Finderlohn" ist das Duo, in dem jede Menge Potenzial steckt, nicht mehr als ein notwendiges Werkzeug, um den Fall zu einer Auflösung zu treiben.

"Finderlohn" ist ein solider, durchaus spannender Krimi geworden, den King zusätzlich mit Reflexionen über das Schriftsteller-Leser-Verhältnis belädt. Von seiner Mutter wird der junge, zornige Morris eines Tages belehrt: "Ein guter Romanautor führt seine Figuren nicht, er folgt ihnen. Ein guter Autor schafft die Ereignisse nicht, er beobachtet, wie sie geschehen, und schreibt dann nieder, was er sieht. Ein guter Autor erkennt, dass er ein Sekretär ist, nicht Gott." Das ist die harte, allzu plakative Botschaft, die in "Finderlohn" immer wieder verkündet wird: Ein Schriftsteller hat über seine Romanfiguren ebenso wenig Macht wie der Leser über das, was sie mit ihm anstellen. Es gibt gute und schlechte, richtige und falsche Leser. Die Frage, inwiefern Literatur Verfügungsgewalt erlangen kann über ein Leben (und umgekehrt die Frage, wem eine Geschichte gehört), inwieweit Text und Realität in einen Austausch oder gar in ein Abhängigkeitsverhältnis kommen können, stellt Stephen King immer wieder, und er hat es schon subtiler getan als in diesem Roman.

Dass John Rothstein seine Figur Jimmy Gold in den beiden unveröffentlicht gebliebenen Romanen rehabilitiert hat, ist eine Behauptung, die, das ist die Konstruktionslogik des Romans, nicht mehr wird überprüft werden können. Das Rothstein-Kapitel wird in "Finderlohn" endgültig geschlossen. Aber Brady Hartsfield, der Mercedes-Mörder, ist noch am Leben, wenn auch schwer gehirngeschädigt. Dass King seinen neuen, durch und durch geerdeten Roman in einem unheimlichen Epilog in Hartsfields Krankenhauszimmer enden lässt, ist möglicherweise ein Hinweis auf eine Fortsetzung im Grenzgebiet der Genres. Als Fan hätte man diesbezüglich einige Wünsche an den Autor.

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