Amerikanische Literatur:Endlich normale Leute

In den USA sind sie Klassiker, in Deutschland waren sie jahrelang vergriffen: Eine Auswahl der bitterbösen Kurzgeschichten Flannery O'Connors in neuer Ausgabe und einer neuen Übersetzung.

Von Nicolas Freund

Flannery O'Connor war schwer zu verstehen. Als sie sich 1946 um einen Studienplatz beim renommierten Iowa Writers' Workshop bewarb, hatte der Dozent Paul Engle während des Auswahlgesprächs wegen ihres starken Südstaatenakzents keine Ahnung, was diese etwas verhuschte junge Frau von ihm wollte. Engle fiel nichts anderes ein, als sie zu bitten, noch einmal aufzuschreiben, was sie gerade gesagt hatte. Trotz dieser Peinlichkeit bekam sie den Studienplatz, ihre Geschichten ließ sie im Seminar aber trotzdem anonymisiert vom Dozenten vorlesen. Aufgefallen war sie in den Sitzungen nur, erinnerte sich Paul Engle später in einem Brief an den Herausgeber Robert Giroux, mit ihrem schüchternen Lachen.

Ihre Geschichten sind ein Feuerwerk an Absurditäten und Kurzschlüssen

Manchem Leser von O'Connors Geschichten blieb das Lachen dagegen im Hals stecken. "Sie dachte daran, wie seit dem Traktor Maultiere nutzlos geworden waren. Heutzutage konnte man ein Maultier nicht einmal mehr verschenken. Als nächstes würden die Nigger verschwinden, dachte sie." Anna Leube und Dietrich Leube, die Übersetzer der Neuauflage einer Auswahl von Kurzgeschichten Flannery O'Connors, die in Deutschland lange vergriffen waren, haben sich glücklicherweise entschieden, die Sprache nur behutsam zu modernisieren und wo im Original "nigger" steht, im Deutschen keinen "Schwarzen" oder "Afroamerikaner" einzusetzen. Man stockt beim Lesen zwar - hoffentlich - kurz, aber genau darum ging es O'Connor.

Illustrationen zur Literaturbeilage 13.3.2018

Es gibt viele Sektempfänge während der Buchmesse, etwa von Verlagen wie C.H.Beck.

(Foto: Job Wouters)

Denn manche ihrer Geschichten wie "Der Flüchtling" sind Feuerwerke solcher Absurditäten, Kurzschlüsse und Fremdenfeindlichkeiten, wie der von Mrs. Shortly in dem obigen Zitat mit seiner atemberaubenden Kombination aus Ignoranz und Selbstsicherheit angenommene Zusammenhang zwischen Eseln, Traktoren und Schwarzen. In der Geschichte geht es um eine polnische Familie, die aus dem vom Krieg zerstörten Europa in die verheißungsvollen Vereinigten Staaten kommt und als Leiharbeiter auf der Farm der Witwe Mrs. McIntyre anheuert. Jene rassistische Mrs. Shortly, die Frau des anderen, amerikanischen Arbeiters auf der Farm, hat nichts Besseres im Sinn, als erst die Farmerin und dann die schwarzen Arbeiter gegen den Polen aufzubringen. "Aber wo nun Ausländer auf der Farm waren, Leute, die ihre Augen überall hatten und nichts begriffen, die aus einem Land kamen, wo dauernd Krieg geführt wurde, wo die Religion nicht reformiert worden war - bei solchen Leuten musste man beständig aufpassen. Sie fand, es müsste ein Gesetz gegen sie geben." Europa ist für Mrs. Shortly ein kleiner Raum voller Leichen, den sie im Kino in der Wochenschau kurz gesehen hat. "Solche Dinge passierten tagtäglich in Europa, wo man nicht so fortschrittlich war wie in diesem Land hier." Fremde können nichts Gutes im Sinn haben, was in anderen Ländern passiert, hat nicht zu interessieren und nirgends ist es so schön wie dort, wo man herkommt. Eine erschreckende Zahl an Figuren aus den Geschichten Flannery O'Connors ist sich darin einig. Und einige träumten schon in den 40er- und 50er-Jahren von der angeblich so glorreichen Vergangenheit der USA. Noch heute muss man nur manchen Trump-Wählern oder Trump selbst zuhören, um sich zu vergewissern, dass die letzten 60 Jahre an dieser Haltung vieler Amerikaner wenig geändert haben. Flannery O'Connor hat, selbst ein Kind der Südstaaten und strenggläubige, katholische Christin, in ihren Geschichten die Dummheiten und die Selbstgerechtigkeit ihrer Mitbürger aufgespießt und ausgestellt. Ihr schärfstes Stilmittel ist ein Sarkasmus an der Grenze zur Bösartigkeit, der immer den Eitelkeiten und verschlagenen Gemeinheiten seiner Ziele entspringt. "An den Ausschnitt hatte sie sich einen Strauß aus violetten Stoffveilchen gesteckt, der ein Duftkissen enthielt. Sollte sie verunglücken, würde jeder, der sie tot auf der Landstraße liegen sah, sofort wissen, dass sie eine Dame war." Dabei amüsiert sie sich aber nicht einfach nur über den Süden und die Verfehlungen seiner Bewohner.

Amerikanische Literatur: Flannery O’Connor: Keiner Menschenseele kann man noch trauen. Storys. Aus dem Englischen von Anne Leube und Dietrich Leube. Mit einem Nachwort von Willi Winkler. Arche, Zürich/Hamburg 2018. 22 Euro. E-Book 17,99 Euro.

Flannery O’Connor: Keiner Menschenseele kann man noch trauen. Storys. Aus dem Englischen von Anne Leube und Dietrich Leube. Mit einem Nachwort von Willi Winkler. Arche, Zürich/Hamburg 2018. 22 Euro. E-Book 17,99 Euro.

(Foto: verlag)

In zwei Romanen und 31 Kurzgeschichten, von denen in dem Band zehn neu übersetzt erscheinen, hat Flannery O'Connor ein Bild des Südens der USA entworfen, das oft mit den Erkundungen William Faulkners in dessen fiktivem Yoknapatawpha County verglichen wurden. Manche wollen ihren gemeinen Humor auch bis in die Romane Cormac McCarthys verfolgt haben. Als Vertreterin des southern gothic war sie, obwohl 1964 mit nur 39 Jahren und nach langer Krankheit gestorben, genrebestimmend. Einige ihrer Geschichten wie "Ein guter Mensch ist schwer zu finden" sind beispielhaft für die amerikanische short story.

Die Sorgen und Ängste der Figuren sind so irrsinnig wie ihre Vorurteile

Ihr Vorbild Nathaniel Hawthorne und mit ihm die stark christlich geprägte amerikanische Romantik scheinen in manchen Details noch ganz nah zu sein und wenn es nur das Böse ist, das im Wald lauert, wie der Teufel bei Hawthorne. Denn der Wald könnte ja jederzeit anfangen zu brennen, genauso wie die Scheune oder das Gras, und damit lässt er einer Frau in einer der Geschichten keine Ruhe. Die Sorgen und Ängste ihrer Figuren sind oft so irrsinnig wie ihre Vorurteile - bis dann der Wald eben doch eines Tages brennt.

O'Connors Porträt dieser Gegend und der Menschen, die sie bevölkern, wurzelt immer im Realismus, reicht in seinen Ausformulierungen der Charaktere und Ereignisse aber ins Karikaturenhafte und oft fast Unglaubliche, mindestens Unwahrscheinliche. O'Connor zeichnete auch Comics und diese Übertreibungen heben ihre Geschichten über eine realistische Darstellung ihrer Zeit hinaus. So wie die rassistischen Farmer aus ihren Erzählungen denken auch heute noch viele über Flüchtlinge. "Es gab keinen Grund, warum sie nicht dort drüben bleiben und den Platz von ein paar derjenigen einnehmen konnten, die in ihren Kriegen und Gemetzeln umgebracht worden waren." Flannery O'Connors Erzählungen sind Erkundungen an der Grenze des Menschlichen, die nicht nur in den amerikanischen Südstaaten verläuft.

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