Amerikanische Literatur:Auch ein Kurzschluss kann sich hinziehen

Reif Larsen eifert in seinem neuen Roman den großen postmodernen Autoren nach. "Die Rettung des Horizonts" heißt der schräge Bildungsroman des Autors, dessen Debüt 2009 sofort ein Bestseller war.

Von Sofia Glasl

Mit seinem Roman "The Selected Works of T. S. Spivet - Die Karte meiner Träume" legte Reif Larsen 2009 ein überzeugendes Debüt vor, das gleich zum Bestseller wurde. Er schilderte darin die Reise des zwölfjährigen Kartografen T. S. Spivet zum Smithsonian Museum in Washington als scheinbar undurchdringliches erzählerisches und typografisches Netzwerk aus Americana-Nostalgie und RoadmovieAnleihen. Mit detailreichen Zeichnungen, Randnotizen und Verweisen des Ich-Erzählers entwickelte sich der Roman zu einem Labyrinth aus Text, Bild und Anmerkungen. Diese Strategie verfolgt Larsen nun auch in seinem zweiten Roman "I Am Radar - Die Rettung des Horizonts", in dem er wieder mehrere Erzählstränge multimedial ineinander verwebt.

Protagonist ist Radar Radmanovic, der in den Siebzigerjahren in den USA als schwarzes Kind weißer Eltern geboren wird. Niemand wagt für diese genetische Abweichung das Wort "Krankheit" in den Mund zu nehmen, es steht aber übergroß im Raum, ebenso der latente Rassismus der ihm entgegenschlägt. Auf der Suche nach den Ursachen der Abweichung stößt Radars Mutter Charlene auf eine Künstlerenklave in Norwegen. Diese experimentiert mit Elektrizität und Tier-Automaten und glaubt, Radar helfen, also seine Haut weiß umfärben zu können. Ganz ohne Nebenwirkungen funktioniert das nicht, Radar fallen bei der Aktion sämtliche Haare aus, und er erleidet fortan regelmäßig epileptische Anfälle. Sein Vater Kermin hilft dem Kollektiv mit weiteren Kunstaktionen, sein Fachwissen als Miniaturfernsehtechniker und Funker ist dabei von Vorteil.

Amerikanische Literatur: Reif Larsen: Die Rettung des Horizonts. Roman. Aus dem Englischen von Malte Krutzsch. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016. 768 Seiten, 26 Euro. E-Book 24,99 Euro.

Reif Larsen: Die Rettung des Horizonts. Roman. Aus dem Englischen von Malte Krutzsch. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016. 768 Seiten, 26 Euro. E-Book 24,99 Euro.

Dieser Ansatz eines schrägen Bildungsromans wird durch die Chronik der serbischen Familie Danilovich ergänzt, deren Sohn Miroslav sich ebenfalls mit Automaten beschäftigt und Theaterstücke mit selbstentwickelten Robotern inszeniert. Ebenso parallel dazu verläuft die Geschichte von Raksmey Raksmey, dem angeblich ersten indischen Quantenphysiker und eine Kunstaktion der Norweger im Kongo.

Auf Biegen und Brechen wird ein Zusammenhang erzwungen, wo einfach nur Zufall regiert

Larsen beweist auch in seinem zweiten Roman eindrücklich, dass er ein Händchen für Figurenzeichnung hat. Mit viel Menschlichkeit, Empathie und Humor lässt er jede einzelne Person mit ihrem ganz eigenen Charakter und ihren Macken erstehen - Radar, den Außenseiter, der sich auf dem Weg des geringsten Widerstandes durchs Leben laviert, oder seine Mutter, die Menschen sehr treffend anhand ihrer Bücherregale zu beschreiben vermag. Larsens Welten sind bevölkert von liebenswert-verschrobenen Fachidioten.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Roman stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Die verschiedenen Stränge der Handlung verknüpft Larsen mit Genreanleihen sowie direkten und indirekten Zitaten zu einem undurchdringlichen Gewebe aus Verweisen. Gleich zu Beginn erwähnt er Thomas Pynchon und macht keinen Hehl daraus, dass er diesem Vorbild nachstrebt. Er vernäht seine Handlung fein säuberlich mit Zitaten und Reminiszenzen: Kleists Aufsatz über das Marionettentheater wird immer wieder herangezogen, wenn es um die Arbeit an den Automaten geht. Die Reise in den Kongo wird per Schiff auf dem Fluss absolviert, Anleihen an Joseph Conrads "Herz der Finsternis" sind unverkennbar. Die Truppe begegnet einem gewissen Professor Funes, der nicht nur aus Jorge Luis Borges Erzählung "Das unerbittliche Gedächtnis" entsprungen zu sein scheint, sondern haargenau diese als seine Lebensgeschichte ausgibt. Funes' Bürde ist, dass er sich seit einem Unfall an alles, das ihm jemals widerfahren ist, erinnern kann. So wie Funes nichts vergessen kann, so will Larsen scheinbar alles notieren, was seinen Figuren zustößt, auch Irrelevantes. Die Strategie ist klar, das Leben an sich soll möglichst detailgetreu dargestellt werden. Die Ereignisse werden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet - die Beziehung von Beobachtetem und Beobachtendem wird zum Leitthema, das Verhältnis von Kunst und Realität. Doch scheint Larsen dabei aus den Augen zu verlieren, dass bei einer solch akribischen Chronik der Leser vor lauter Dauer-Input irgendwann nicht mehr unterscheiden kann und will, welche Nebenhandlungen überhaupt relevant sind oder werden. Die Betonung von Erzählenswertem, das Kürzen von Belanglosem, das Herausschälen einer Erzählung aus der Chronik wäre hier essenziell gewesen, um den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Aufgrund der schieren Länge des Romans droht die eklektizistische Struktur zu zerfallen und die einfühlsam erzählten Figuren zu erdrücken.

So wächst "Die Rettung des Horizonts" schnell zu einem Mammutwerk an, zusammengewürfelt aus hübschen kleinen Textideen und charmanten Figuren. Erstaunlich, dass Larsen gerade die Formen des Essays und der Kurzgeschichte zitiert und dennoch versucht, auf Biegen und Brechen Zusammenhang zu erzwingen, wo einfach nur der Zufall regiert. Es hätte dem Roman gutgetan, stünden auch die novellenartigen Handlungsstränge nur locker hingetupft nebeneinander.

Larsen verfällt demselben Kontrollzwang wie seine Figuren, alles muss mit allem zusammenhängen: die Selbstkontrolle, die Kontrolle über andere Menschen und die Automaten, die Kontrolle der Vergangenheit über die Zukunft, die Kontrolle über Wissen und Elektrizität - all das legt den Roman letztendlich in einem langatmigen Kurzschluss lahm.

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