Am Set von "The First Avenger: Civil War":Wie man Superheldenfilme am Fließband produziert

Am Set von "The First Avenger: Civil War": Endstation: Flughafen Leipzig/Halle. Die Crew um Captain America (Chris Evans, vorne) tritt zum großen Superheldenbürgerkrieg in "The First Avenger: Civil War" an.

Endstation: Flughafen Leipzig/Halle. Die Crew um Captain America (Chris Evans, vorne) tritt zum großen Superheldenbürgerkrieg in "The First Avenger: Civil War" an.

(Foto: Disney)

Unser Autor hat das Set des dritten Teils von "Captain America" in Leipzig besucht. Und gelernt, wie man ein Großprojekt versteckt.

Von David Steinitz

Wenn ein Hollywoodregisseur sagt, er sei auf der Suche nach einem spektakulären Drehort für den Showdown seines Superhelden-Blockbusters, dann denkt man - die Sachsen mögen's verzeihen - nicht sofort an den Flughafen Leipzig/Halle.

Und doch wollten es die Macher von "The First Avenger: Civil War", dem dritten Teil der "Captain America"-Reihe, der am 28. April im Kino startet, genau so. Die einst verbrüderten Superhelden Iron Man und Captain America sind in diesem Film erbitterte Widersacher geworden und liefern sich einen epischen Superheldenbürgerkrieg am sächsischen Flughafen.

Ohne Marvel wäre man als Hollywoodstar quasi arbeitslos

"Das Design, die Architektur! Genau das, wonach wir gesucht haben!", sagen die Regisseure Anthony und Joe Russo. Die beiden sind zwei der wichtigsten Kreativköpfe im Comic-Imperium des Marvel-Filmstudios. Und dieses dominiert mit seinen Actionfilmen das moderne Blockbusterkino derzeit wie kaum eine andere Produktionsfirma in Hollywood. Innerhalb der letzten Jahre sind die Marvel-Leute gleich mit drei Comicadaptionen in die Top Ten der erfolgreichsten Filme aller Zeiten eingezogen. Kein Wunder also, dass der Terminkalender des Studios, das mit Budgets im dreistelligen Millionenbereich jongliert, knallvoll ist: Superheldenfilme fürs Kino, Superheldenserien für Netflix - als Hollywoodstar ist man mittlerweile quasi arbeitslos, wenn man nicht bei Marvel in Lohn und Brot steht. Weshalb sich in "The First Avenger: Civil War" unter anderem tummeln: Robert Downey Jr., Scarlett Johansson, Chris Evans, Don Cheadle, Elizabeth Olsen und, Achtung, Daniel Brühl.

Aber zu dieser interessanten Reihung später mehr. Denn zunächst möchte man, wenn dieser gigantische Wanderzirkus schon in Deutschland Station macht, gern ein paar der Leute kennenlernen, die für einen solchen Riesendreh mit Hunderten Mitarbeitern verantwortlich sind: Superheldenproduktion, der Alltag.

Und wer das will, der braucht an diesem brutal heißen Drehtag in Leipzig im Spätsommer 2015: John. Der ist ein sogenannter "Unit Publicist", ein PR-Mann, der während der Dreharbeiten dafür zuständig ist, mit welchen Informations- und Bilderhäppchen die Öffentlichkeit gefüttert werden darf. Kein Filmdreh kommt heute ohne einen John aus, gerade bei Produktionen dieser Größenordnung. Oft wird dieser Beruf von überfröhlichen Menschen versehen, die alles toll finden und das auch mehrmals pro Minute laut sagen. John hingegen ist eher ein Solitär in seinem Job, weil er dreinblickt, als hätte er schreckliche Bauchschmerzen. So ein Marvel-Dreh bedeutet für ihn vor allem Angst vor Geheimnisverrat: Fans, Blogger und Filmjournalisten müssen gezähmt werden, und auch die Twitterlust der eigenen Mitarbeiter. Ein knallharter Job, gerade wenn man um die halbe Welt touren muss.

Erst Berlin, dann Leipzig - doch wie lässt sich ein Hollywood-Set unauffällig verstecken?

In den Tagen zuvor war der große Tross aus den USA für Aufnahmen nach Berlin gereist, Sony Center, Olympiastadion, Regierungsviertel. Nun soll noch eine Woche in Leipzig das finale Superheldenduell gedreht werden, wo sich zu Johns Leidwesen am Flughafen mal wieder erweist, dass es in der Praxis nicht ganz einfach ist, ein Hollywood-Set unauffällig in die Umgebung zu integrieren.

Ein dezenter Hinweis, dass hier irgendetwas mit Film stattfindet, ist zum Beispiel die riesige Green-Screen-Leinwand gegenüber der Ankunftshalle, die so groß ist wie das Parkhaus. In der Postproduktion wird sie durch computeranimierte Hintergrundbilder ersetzt - ein unerlässliches Trickinstrument im Filmgeschäft. Neben der Leinwand gehen verwirrte echte Fluggäste an gelangweilten falschen Fluggästen vorbei, nämlich den Komparsen. Die müssen gleich für eine Szene durchs Bild laufen und schwitzen bis zu ihrem Einsatz noch ein wenig vor sich hin.

Während am Set also noch die Scheinwerfer hin und hergeschoben werden und die Crew in Ameisenhaufenstärke durcheinander wuselt, führt PR-Mann John, der das ganze Tohuwabohu keines Blickes würdigt, erst mal zum Trailerpark vor dem Parkhaus. Hier reiht sich Wohnwagen an Wohnwagen, wie auf einem Festivalgelände. Die Rückzugsräume der Crew sind auf US-Klimaanlagenstandard herunter gekühlt, damit sich die erhitzten nordamerikanischen Künstlerkörper von der erbarmungslosen deutschen Sonne erholen können. Außentemperatur: 35 Grad.

In einem der Wohnwagen sitzen unter einem absurd großen Flachbildfernseher in der Tischnische zwei fröhliche Männer Anfang vierzig. Der eine leicht untersetzt, mit lichter werdendem Haar, der andere hipsteriger, mit Wuschelhaaren und Hornbrille. Das sind die Brüder Anthony und Joe Russo, die bei diesem Spektakel Regie führen, und mit ihren T-Shirts, kurzen Hosen und den Eiswaffeln, an denen sie schlabbern, eher aussehen wie zwei Teenager in den Sommerferien.

Noch interessanter ist aber fast, wie sie explizit nicht aussehen: Wie zwei Männer, die schlaflose Nächte hätten, weil sie hier mit einem Budget hantieren, das so hoch ist, dass es ihr Arbeitgeber lieber nicht öffentlich kommuniziert. Im Fall eines Flops würden sie der Marvel-Mutterfirma Disney vermutlich die komplette Jahresbilanz versauen. Aber Druck? Die Brüder sagen: "Wir sind seit zwanzig Jahren im Geschäft, und obwohl wir gerade die aufwendigsten Filme unserer Karriere drehen, war es noch nie so einfach, sich künstlerisch auszutoben."

Marvels Erfolgsrezept? Ein teurer Spielkasten für erwachsene Jungs

Die Russos hatten vor allem fürs Fernsehen gearbeitet, unter anderem an der Serie "Arrested Development", bevor sie 2014 mit "The Return of The First Avenger" ihren ersten Marvel-Blockbuster drehten. Der spielte sehr viel Geld ein und kam auch bei der Filmkritik gut an. Die Folge: Bis 2019 sind die beiden nun durchgehend für Marvel-Projekte gebucht.

Aber kommt man durch diesen Dauerstress dem Wahnsinn nicht ein gutes Stück näher? Der Ex-Marvel-Regisseur Joss Whedon zum Beispiel, sagte nach den Dreharbeiten zu "The Avengers 2", er würde an einer Art posttraumatischen Belastungsstörung leiden und vermutlich tot umfallen, wenn er noch einen weiteren Marvel-Film inszenieren müsste. Da grinsen die Russos bloß, und Anthony erklärt: "Klar, es ist ein körperlicher Job. Aber unser Vorteil im Vergleich zum Kollegen Joss Whedon ist: Wir sind nur für die Regie und nicht auch noch für das Drehbuch verantwortlich. Joss musste täglich 13, 14 Stunden am Set stehen, daheim dann noch am Skript arbeiten und nach vier, fünf Stunden Schlaf ging das Ganze von vorne los. Das ist ungesund. Aber wir haben ein Autorenduo, das uns viel Arbeit abnimmt."

Gerne würde man fragen, was für Szenen sie jetzt gleich drehen werden, aber da schüttelt PR-John streng den Kopf: Inhaltlich darf hier überhaupt nichts verraten werden, Spoiler-Alarmstufe eins. Also ziehen die Brüder fröhlich zurück ans Set, dass sie mehr als Spielplatz denn als Arbeitsplatz betrachten. Und damit sind sie nicht allein: Egal, mit wem man an diesem Tag noch spricht, es regiert der gleiche Spieltrieb wie bei den Russo-Brüdern: Wir können hier machen, was wir wollen!

Die Nerds sind am Werk

Der einzige Satz, den man noch öfter hört, betrifft das Catering, das in Germany wirklich "waaay better" sei, als daheim in den Staaten - wirklich so was von lecker!

Begeistert vom Job sind zum Beispiel auch die beiden Drehbuchautoren, die für eventuelle Nachbesserungen mit um die Welt reisen. Den Satz "Marvel mag uns, und wir mögen Marvel" sagen sie vorsichtshalber zweimal. Noch euphorisierter ist nur der kleine untersetzte Herr, dessen alleinige Aufgabe am Set das Betreuen von Captain Americas Schild ist, das er auch selbst hergestellt hat. "Und schreiben Sie bitte, dass ich auch den Hammer für die 'Thor'-Filme entworfen habe!"

Es wird oft behauptet, in Hollywood würden heutzutage nur noch die grauen Finanzbuchhalter mit strenger Hand regieren. Aber das Erfolgsgeheimnis von Marvel scheint darin zu bestehen, erwachsenen Jungs einen teuren Spielbaukasten zur Verfügung zu stellen, und dann einfach zu schauen, was dabei rauskommt. Sind hier also nur die Bubis am Werk, die vor zwanzig Jahren daheim saßen, Comics lasen und jetzt das Glück haben, dass sich ihr Nerdgeschmack derzeit glücklicherweise mit den Zuschauergelüsten des Kinomainstreams überschneidet?

Dazu würde man jetzt sehr gerne Scarlett Johansson befragen: Wie das so ist, beruflich im engen Latexkostüm und mit hochgedrückten Brüsten durch diese Jungsfantasien zu hüpfen - sie spielt die Superheldin Black Widow. Aber John schüttelt missmutig den Kopf und winkt ab. Sie hat heute drehfrei.

"Man fühlt sich wie ein Kind auf der Kirmes", sagt Marvels Neuzugang Daniel Brühl

Dafür schaut ein weiterer begeisterter Junge im Wohnwagen vorbei, und zwar der deutsche Schauspieler und Marvel-Neuzugang Daniel Brühl. Der hat sich durch die Klimaanlagenkälte einen Schnupfen eingefangen, steht aber ebenfalls unter Marvel-Adrenalin: "Ich habe noch nie einen Film in dieser Größenordnung gemacht, man fühlt sich hier ein bisschen wie ein Achtjähriger auf der Kirmes!"

Was für eine Rolle genau er spielt, und ob die Gerüchte wahr sind, dass er der neue, superfiese Bösewicht in diesem Spektakel ist? Was die Internetorakel mittlerweile längst bestätigt haben, will PR-Mann John während des Drehs keinesfalls beantwortet haben. Er blickt bei der Frage drein, als sei der Einsatz von Gewalt jetzt nicht ganz ausgeschlossen, und scheucht alle schnell aus dem Trailer. Ab ans Set!

Wo jetzt ein dicker Mann steht und winkt, wird später am PC ein Helikopter hineinanimiert

Dort geht es zunächst einmal sehr egalitär zu, weil von den Regisseuren bis zum Kabelträger alle die gleichen hässlichen, neongrünen Warnwesten tragen müssen. Einzige Ausnahme: die beiden Captain Americas, von denen der eine nur als Double zur Ausleuchtung der Szenen engagiert ist. Er wird nun vom anderen, echten Captain, dem Schauspieler Chris Evans, abgelöst. Hinter ihm: das Parkhaus des Flughafens Leipzig in seiner vollen Pracht. Vor ihm: die gigantische Green Screen. Dort wird in der Postproduktion von den Marvel-Computerspezialisten ein startender Helikopter hineinanimiert.

Um dessen Platz zu markieren, steht ein kleiner, dicker Crew-Mitarbeiter vor der Green Screen und schwenkt die Arme überm Kopf, damit der Captain weiß, wo genau er auf diese riesige Grünfläche zulaufen muss. Der Schildbeauftragte bringt ihm seinen Schild, Evans spurtet auf die Green Screen zu, einmal, zweimal, dann ruft einer der Russo-Brüder auf Deutsch mit starkem amerikanischem Akzent "wunderbar!" - und schon setzt die Effizienz der Superheldenfließbandproduktion ein: Auf- und Umbau gehen rasend schnell, nur hundert Meter weiter rechts wird gleich die nächste Szene gedreht, die im Film an einem völlig anderen Ort- und Zeitpunkt spielen wird. Diesmal ist Daniel Brühl dran, über den die Russo-Brüder einem noch kurz zuraunen, dass sie ihn "für einen der besten Schauspieler der Welt" halten.

Nur PR-Mann John bittet jetzt dringend um Feierabend. Er hat sich als einziger nicht positiv über das deutsche Catering geäußert, und wie sich jetzt herausstellt, schaut er vor allem deshalb, als hätte er Bauchschmerzen, weil er tatsächlich welche hat.

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