Alltag mit DDR-Design:Die Wonnen des Mangels

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Die farbenfrohen Mininetze aus Dederon galten in der späten DDR als Accessoire des angepassten Spießerhaushalts. Heute findet man sie noch auf Amazon. (Foto: oh)

Die erste Nostalgiewelle setzte schon kurz nach dem Mauerbau ein, die zweite dann als die Mauer weg war. Was der Alltag mit DDR-Produkten über das Land erzählt.

Von Jens Bisky

Die Abkehr der DDR-Bürger von den DDR-Produkten hat schon wenige Jahre nach dem Mauerbau begonnen. Was aus der Norm fiel, was aus alten Zeiten stammte, was nicht jeder hatte, gewann neues Prestige: Plüschsofas, ramponierte Stühle, alte Schränke, die man freudig abschliff und beizte - und schon sah die Bude individualistisch und nonkonformistisch aus. Lieber etwas Schiefes, Zerkratztes, Wackelndes, Angeschlagenes als eine Schrankwand wie im Arbeiterwohnheim oder Geschirr wie in der Kantine.

Von einer ersten Nostalgiewelle spricht der Historiker Stefan Wolle in seinem Buch "Die heile Welt der Diktatur". Es handelte sich um Abwehrreaktionen gegen eine "billige, effektive, genormte und uniforme Gegenwart".

Gegen ihren Willen hat die Wirtschaftspolitik der SED-Oberen zur Geringschätzung der heimischen Erzeugnisse beigetragen. Die 1962 gegründeten Intershops, in denen man für harte Währung Westprodukte - oder was so aussah - erwerben konnte, sprachen dem Gerede von Gleichheit Hohn. Aus "Jeder nach seinen Fähigkeiten" wurde "Jeder nach dem Wohnort seiner Tante". Ende der Siebziger kamen Delikat- und Exquisit-Läden hinzu. Sie boten Feineres als Konsum und HO: Lebensmittel (Delikat) oder Klamotten (Exquisit) aus dem nichtsozialistischen Ausland und sehr teure DDR-Produkte. Die Botschaft war nicht gewollt, aber eindeutig: Distinktionsgewinn und besserer Konsum waren ohne West-Produkte nicht zu haben.

Obendrein hatte ein Vernichtungsfeldzug gegen privat geführte Betriebe Anfang der Siebziger der Konsumgüterproduktion einen Schlag versetzt, von dem sie sich nie wieder ganz erholte. Auf Trends und Moden konnte im Regelfall erst reagiert werden, wenn diese beinahe wieder vorbei waren. Planwirtschaft braucht viel Zeit.

Was also tun? Man behalf sich mit Heimwerken, Improvisieren, Selber-Machen, mit der Jagd auf Antiquitäten und auf D-Mark, man tauschte, nähte und töpferte, meckerte und ließ sich von ARD oder ZDF über das Neueste aus der schönen bunten Waren-Welt informieren. Nicht der Preis zeichnete ein Produkt vor anderen aus, sondern die besondere Geschichte, die man mit ihm hatte: eine Erzählung von den Abenteuern des Besorgens, Herrichtens, Ergatterns.

Im Sommer 1990, als die D-Mark-Scheine noch ungewohnt in der Tasche knisterten, schien es beinahe aberwitzig, für das neue, harte Geld zu kaufen, was es immer schon gegeben hatte. Man konnte nun zusehen, wie eine materielle Kultur versank. Eine erste Veröffentlichung unter dem Titel "SED - Schönes Einheits-Design" spottete über das Verschwindende - und nährte den Irrglauben, es hätte ein einheitliches DDR-Design gegeben. Dabei ließen sich doch Nachkriegsklassizismus, funktionalistische Formgebung und die Blütentapeten-Gemütlichkeit der späten Jahre auf einen Blick leicht unterscheiden. Vor allem Küchengeräte und Lebensmittelverpackungen wurden ab 1991 Projektionsflächen, gewannen neue Reize; sie schienen mal Statthalter des Vertrauten, mal Symbol von Ost-Trotz. Spreegurke und Ampelmännchen wurden für beides berühmt.

Mehr Sein als Schein, damit ließen sich diese Produkte anpreisen

Im Rückblick bleibt die Verpackungsfrage das entscheidend Unterscheidende. Einfaches Papier, schlichte Kartons, oft stumpfe Farben; drauf steht, was drin ist; kein Versprechen von Sex oder Südsee, bestenfalls ein frohes Gesicht. Für Kathi Backmischung aus Halle wurde nach dem Neubeginn 1992 auch damit geworben, dass weniger Luft in der Verpackung sei.

Mehr Sein als Schein, damit ließ sich DDR-Design anpreisen. Die farbenfrohen Mininetze aus Dederon etwa waren gewiss nie cool, galten in der späten DDR eher als Accessoire des angepassten Spießerhaushalts. Aber im Land, indem Plastetüten nicht zum Einkauf gehörten, waren sie nützlich. Man konnte sie zusammenknüllen, in die Manteltasche stopfen und dennoch, da sie sich dehnten, die Zutaten für ein ordentliches Abendessen in ihnen nach Hause tragen. Und das immer wieder.

Mancher hat sich in den Neunzigern vorausschauend einen Großvorrat von den in der DDR und auch später unglaublich billigen Schulheften zugelegt, DIN A4 oder DIN A5. Bescheiden grün der Umschlag, ein Löschblatt darin und viele Bogen einfaches, zart liniertes oder kariertes Papier. Hier geht es wirklich nur ums Schreiben, keine Spur von der Angeberschlichtheit, mit der so viele Papierwaren heute nerven. Man schätzt solche Produkte richtig erst in einer Umwelt, der auch das Einfachste nicht selbstverständlich, sondern aufdringlich besonders sein will. Die schönsten Beispiele des DDR-Designs erinnern heute an eine Moderne, die an Wohlstand, Schönheit, Sauberkeit durch Naturbeherrschung glaubte: Nostalgie für Fortschrittsfreunde.

© SZ vom 29.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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