Alberto Moravia: Claudia Cardinale:Ein Traum aus Fleisch und Blut

Im Jahr 1961 interviewte Alberto Moravia die junge Claudia Cardinale. Der einzige Gegenstand des Gesprächs war: Claudia Cardinale. Aus dem Treffen ist nun ein Buch geworden.

F. Göttler

Eine kleine Privatvorführung ist dieses Buch, ein kleiner Zauber-Akt, eine subtile illusionistische Performance. Ein Mann - Alberto Moravia, der Autor als Magier - bringt eine Frau zur Erscheinung - die junge Claudia Cardinale - und lässt sie dann wieder verschwinden (Alberto Moravia: Claudia Cardinale. Ein etwas ungewöhnliches Gespräch. Aus dem Italienischen von Sophia Marzolff. SchirmerMosel Literatur, München 2010. 86 S., 12,80 Euro).

' Der Leopard '

Kurz nach dem Gespräch mit Moravia drehte Cardinale zwei ihrer wichtigsten Filme, "Der Leopard" von Visconti (im Bild mit Alain Delon) und "Achteinhalb" von Fellini. 

(Foto: Sueddeutsche Zeitung Photo)

Das Gespräch fand 1961 statt und erschien erstmals auf Englisch in der Mai-Nummer des Esquire. Cardinale war 23, Moravia 53 Jahre alt, er war dabei, sich von seiner Frau, der Schriftstellerin Elsa Morante, zu trennen, hatte sich in die junge Dacia Maraini verliebt, nur zwei Jahre älter als Cardinale. Kurz nach dem Gespräch drehte Cardinale zwei ihrer wichtigsten Filme, "Der Leopard" von Visconti und "Achteinhalb" von Fellini.

Ein Gespräch, das sich als Gegenstandsbeschreibung versteht, und der Gegenstand ist Claudia Cardinale, "ein Gegenstand im Sinne von Objekt, also das Gegenteil eines Subjekts". Das heißt, Moravia will nichts von der Vergangenheit der jungen Frau wissen, von ihrer Gegenwart und Zukunft, ist nicht interessiert an ihrer Starqualität, an Ansichten zu Politik oder Liebe oder Kunst, den bisherigen Filme und den künftigen Projekten, all das also, "was offenbar das unverzichtbare Material von Interviews darstellt". Keine Innenschau, keine Psychologie, nur der Versuch, möglichst eindeutig im Gespräch, im Schreiben, im Text Cardinales Präsenz zu erfassen. "Lassen Sie mich erklären: Der Körper ist das, was ist; es gibt nichts anderes als den Körper, denn der Körper ist eine Form, in der sich alles befindet; außerhalb des Körpers gibt es nichts."

Es fängt an wie eine Pass- oder Ausweisbeschreibung, Moravia fragt die Maße ab, Größe, Taille, Haarfarbe, ein Muttermal am Hals, die Ohrläppchen, die Hände, der Busen, der Gang. Cardinale zögert, ist ratlos, weicht aus, aber er insistiert, in diskreter Unerbittlichkeit, und hilft immer wieder mit eigenen Antworten und Sätzen aus - ihre Nase-Mund-Partie erinnert ihn an Michelangelo, zweimal zitiert er, wenn es um Cardinales kindlichen Kopf und fraulichen Körper geht, aus Baudelaires "Blumen des Bösen": "Unter der Last deiner Trägheit/wiegt dein Kindeshaupt/sich mit der Weichheit/eines jungen Elefanten". Die Rollenverteilung - sie das Objekt, er das Subjekt - löst sich auf, hat von Beginn an nie gestimmt. "Wir saßen", erinnert sich Cardinale, "zu zweit in seinem Arbeitszimmer, er vor seiner Schreibmaschine, in die er seine Fragen und meine Antworten hineintippte. Und immer wieder fiel ihm die Maschine zu Boden. Er war unglaublich aufgeregt."

Ein klarer Fall von praktiziertem Strukturalismus also, und da war immer auch Eros im Spiel - man denkt an die Reflexionen von Gertrude Stein, die Mythenglossen von Roland Barthes, die Filme von Michelangelo Antonioni.

Im zweiten Teil dann, nach der Beschreibung des Objekts im Raum, das heißt seiner Erschaffung, geht es daran, es wieder zum Verschwinden zu bringen: Was tut Claudia in der Nacht, beim Auskleiden und Zubettgehen, wie schläft sie ein! Nur der Mensch hat den Wunsch zu verschwinden, "den Willen sich aufzulösen, nicht mehr da zu sein". Und was träumt Claudia ...

"Träume", erklärt ihr Moravia, "beweisen weniger, dass Sie existieren, als dass Sie die theoretische Möglichkeit zur Existenz haben."FRITZ GÖTTLER

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