Alben der Woche:Bedeutungslos geraucht, träge und grünstichig

Wiz Khalifa hat endgültig zu viel gekifft, Rick Astley, der schönste Running Gag des Internets, macht eine Art Playmobil-Version von Soul. Und die Dirty Projectors nerven - und zwar wundervoll.

Von den SZ-Popkritikern

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Rick Astley - "Beautiful Life" (BMG)

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Quelle: AP

Warum ausgerechnet Rick Astley zu einem der größten Witze im Internet wurde, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Vielleicht lag es ja daran, dass er in seiner großen Zeit, den späten Achtzigern, als besonders weicher, harmloser Kerl galt, also: ein gutes Ziel für Scherze. In den vergangenen Jahren machten sich Programmierer und Webseitengestalter auf jeden Fall sehr oft den Spaß, mit einem Link irgendetwas Großartiges anzukündigen, wenn man dann aber draufklickte, landete man immer auf demselben Video: Rick Astleys Überhit "Never Gonna Give You Up". Das "April, April" des Internets. Er selbst äußerte sich zu dem Quatsch ratlos, aber amüsiert. Und dass der am besten lacht, der zuletzt lacht, bewies er dann im vergangenen Sommer bei einem Konzert der Foo Fighters: Da kam er auf die Bühne, die Band spielte ein Intro, das an "Smells Like Teen Spirit" erinnerte - und dann warfen sich alle zusammen mit dem größten Vergnügen in "Never Gonna Give You Up". Der Internet-Witz hatte seinen Weg auf die Bühne gefunden, und Tausende bejubelten Astley. Der Mann hat bei all dem eine so souveräne und sympathische Figur abgegeben, dass man sogar sein neues Album "Beautiful Life" (BMG) mit Nachsicht hört. Das ist beileibe kein Meisterwerk, ein paar mittelmäßige Tanznummern, erstaunlich viele Schmachtfetzen, so eine Art Playmobil-Version von Soul, bei der man automatisch Bilder vom ZDF-Fernsehgarten vor Augen hat. Aber am Ende gibt es doch nichts Sympathischeres als jemanden, der seine Grenzen kennt und über sich selbst lachen kann. Möge sich sein Album glänzend verkaufen.

Max Fellmann

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Wiz Khalifa - Rolling Papers 2 (Atlantic)

Rolling Papers 2

Quelle: Atlantic (Warner)

Mit der Kifferei und der Popmusik ist es ja immer noch so: Wer nur konsequent genug paniert ist, bekommt, zumindest wenn er es mit viel Überzeugung ist, leicht eine Attitüde, die in ihrer etwas pennälerhaften Selbstgefälligkeit nerven mag - komplett entziehen wird man sich ihr aber auch nicht können. Womit die Karriere von Wiz Khalifa bis hierhin grob zusammengefasst wäre. Mit dem Zusatz, dass da immer auch ein kleiner Bruch war: Der Rapper selbst mochte seine Zeilen stets zweidrittel-sediert über die Takte verstreichen, die Beats waren meistens wunderbar Pop-frisch und durchgelüftet. Mal glitzerten sie. Mal wedelten sie hüftlocker durch die Szenerie. Mal trauten sie sich geigenverschmierten Piano-Kitsch (aktueller View-Stand von "See You Again", seiner Abschiedshymne für Paul Walker: 3,7 Milliarden - das ist eine zehnstellige Zahl). Wer das bislang mochte, springt bei "Rolling Papers 2" (Atlantic), dem neuen Album des 30-Jährigen, direkt zum Song "Gin and Drugs", freut sich am Lowrider-haft bouncenden Playback, schaut noch kurz bei der Klavier-Melancholie von "B Ok" vorbei - und macht dann schnell wieder aus. Quasi der komplette Rest ist bedeutungslos geraucht. Er will sich am Trap- und Hustensaft-Rap dieser Tage orientieren, klingt aber nur träge, harzig, verschlurft und grünstichig. Und ist textlich ideenlos: "I treat you special, cause you're very special". Frei übersetzt: Das Album langweilt, weil es sehr langweilig ist.

Jakob Biazza

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Cowboy Junkies - "All That Reckoning" (Proper Records)

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Quelle: AP

Die Cowboy Junkies aus Toronto spielten schon Indie-Country-Folk, als noch niemand auch nur darüber nachdachte, Etiketten wie "Alt-Country" oder "Americana" zu erfinden. Seit vielen Jahren produziert die Band geschmackvolle Holzterrassenmusik, die immer sehr in Ordnung ist, und doch nie zu Freudensprüngen verleitet. Das gilt auch für das neue Album "All That Reckoning" (Proper Records). Sylvie Simmons, eine der wichtigen Stimmen der englischen Musikkritik, hat dem Album im Magazin Mojo gerade die volle Punktzahl gegeben - und dann geschrieben, das sei alles schön und gut und, äh, ja, viel mehr wusste sie dann eben nicht zu sagen. So hört man also diesen nicht mehr ganz jungen Menschen zu, wie sie behutsame Lieder über das menschliche Miteinander in die Luft tupfen, hier wird eine Gitarre gestreichelt, dort eine Trommel, Sängerin Margo Timmins lässt ihren dunklen Alt durch den Raum schweben, und manchmal gerät es so sakral, dass man denkt, man sollte dazu Kerzen in einer einsamen Kirche aufstellen.

Max Fellmann

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Dirty Projectors - Lamp Lit Prose (Domino Records)

Lamp Lit Prose

Quelle: Domino Recording Company

Avantgardistischer Indie-Pop kann eine sehr, sehr anstrengende Sache sein. Trifft man auf Menschen, die so tun, als seien abrupte Tempowechsel, verzerrte Synthie-Tupfer, seekranke Beats und verwackelte Kopfstimmenklagegesänge das selbstverständlich sowieso Tollste, das man sich nur vorstellen kann, ist Vorsicht geboten. Ein grandioses Album wie "Lamp Li Prose" (Domino Records) des amerikanischen Indiepop-Avantgardisten David Longstreth alias Dirty Projectors dürfte von den meisten erst mal als Zumutung wahrgenommen werden. Und zwar als eine in der Liga: Hier wären ein sehr merkwürdig verbogener Schraubenzieher, ein paar krumme Nägel und einige windschiefe Latten - und jetzt sägen Sie bitte ein Regal hier ins Eck. Ach, die Wände sind übrigens auch nicht eben. Aber das eigentliche Problem sind natürlich die ganzen begradigten Wände im eigenen Kopf. Sollte man sie eines Tages endlich satthaben, kann man sie ja mal mit dem so nervös-verspielten wie warmherzig-ruckelnden Indiepop-R'n'B von Songs wie "Right Now" oder "Break-Thru" oder "I Feel Energy" unterspülen. Wenn alles normal läuft, wird man sich danach fragen, warum man mit seinem Brett vor dem Kopf eigentlich noch nie im Morgengrauen mit einem Stoff-Flamingo getanzt hat.

Jens-Christian Rabe

© SZ.de/bere
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