Aktuelles vom Postpunk:Alt und Neu als Kreislauf

Babyshambles

Pete Doherty, der böse Bube der Babyshambles. Ein gutes, homogenes Album wie "Sequel To The Prequel" hätte man der Band kaum mehr zugetraut.

(Foto: Kevin Westenberg)

Zwei Schlüsselbands des britischen Postpunk-Revival legen neue Alben vor: Pete Doherty und seine Babyshambles mit "Sequel To The Prequel" und die Arctic Monkeys mit "AM". Haben sie heute, zehn Jahre nach dem großen Hype, noch etwas zu sagen? Ein bisschen, vielleicht.

Von Annett Scheffel

Laut und dreckig war der Schrei, mit dem alles begann. Vor allem dreckig. Ein noch unbekannter Wicht namens Pete Doherty brüllte ihn hinaus in die Welt, in den ersten Sekunden seines ersten Albums - wahnsinnig gurgelnd und krächzend, heiser vom Zigarettenqualm, rasend vor Wut.

Der Beginn von "Up The Bracket", dem Debüt der Band The Libertines war ein Statement, in dem 2002 schon alles enthalten war, was den britischen Indierock der Nullerjahre ausmachen sollte: Er war nicht neu, aber laut und exzessiv.

Inspiriert von jungen Gruppen wie den Strokes und White Stripes, die sich in einer Zeit des technologischen Fortschrittsglaubens auf das alte Erbe von Blues und New Wave besannen, brach damals der wilde Postpunk-Revival-Sound über Großbritannien herein.

Gut zehn Jahre ist das jetzt her - für die Fans, die seinerzeit die Welle getragen haben, eine verklärte Teenie-Erinnerung. Daher mutet es wie eine Gedenkveranstaltung an, wenn in diesen Tagen fast gleichzeitig Alben von zwei großen Bands dieser Zeit erscheinen: Die Babyshambles, Pete Dohertys Folgeprojekt nach dem Ausstieg bei den Libertines, haben "Sequel To The Prequel" veröffentlicht, ihr erstes Album seit sechs Jahren.

Und die Arctic Monkeys folgen mit ihrer schlicht "AM" betitelten fünften Platte. Die Sheffielder Band schaffte 2006 im Windschatten der Libertines den Durchbruch, vier Bürschchen Anfang 20, die plötzlich zu Symbolfiguren der Straßenpop-Poesie wurden. Als das am schnellsten verkaufte Debütalbum der britischen Geschichte markierte ihre Platte "Whatever People Say I Am, That's What I'm Not" den Kulminationspunkt des Indie-Hypes.

Gegen alle Vorurteile

Beide Bands einte damals, dass sie vor allem deswegen nach Zukunft klangen, frisch und ungeschliffen, weil ihr Sound die Rotzigkeit des Siebzigerjahre-Punk in die Themenwelten des 21. Jahrhundert zu übertragen wusste. Was aber bedeutet das 2013? Was kann Punk im Post-Post-Alles-Möglich-Zeitalter noch leisten?

Mit Blick auf den totgeglaubten Pete Doherty und seine Babyshambles muss man die Antwort erst mal vorsichtig formulieren: "Sequel To The Prequel" ist - aller drogeninduzierten Irrwege Dohertys zum Trotz - ein gutes, erstaunlich homogenes Album geworden.

Soviel Elan, so schöne Stücke hätte man der chaotischen Band kaum mehr zugetraut. "False alarm / There's still a song for me / And I'm still here singing", trotzt Doherty in "Picture Me In A Hospital" den Vorurteilen. Und vielleicht hätte die Platte sogar ein Meisterwerk werden können, wenn das Produzenten-Schwergewicht Stephen Street (The Smiths, Blur) in seinem Drang nach Richtung und Reife den Sound an einigen Stellen nicht allzu glatt poliert hätte.

Bedienung beim Vergangenen

Der marode, dilettantische Charme früherer Werke ist an einigen Stellen noch zu erahnen. Im schrammeligen Gitarrensound des Punk-Reminiszenzsongs "Fireman" etwa, in Dohertys herrlich vernuschelt-maulenden Gesang. Und in den rabiaten Stimmungswechseln, in deren Verlauf sich einige Songs erst laut aufplustern, zu Hymnen aufschwingen, dann wieder ins psychedelisch Sanfte zurücksinken. "Can we go some place where they don't know my face?", singt Doherty zum tänzelnden Country-Sound von "Fall From Grace". Brav, deeskalierend.

Wo keine Revolution mehr möglich scheint, die Einsicht ergibt sich beim Hören dieser ganzen neuen Musik aus England, bleibt dem Pop eben nur der vieldiskutierte Ausweg, sich relaxt beim Vergangenen zu bedienen.

Arctic-Monkeys-Sänger Alex Turner übernahm für den Song "I Wanna Be Yours" gleich ganze Textzeilen seines Lieblings-Punkdichters John Cooper Clarke. Schon lange klingt die Musik der Band nicht mehr nach den milchgesichtigen, britischen Krawallbengeln von 2006, sondern nach dem neu entdeckten Amerika: nach Stoner- und Bluesrock aus der Wüste, nach Glam, ein wenig sogar nach Hip-Hop, an dessen Reimkünsten Turner sein Songwriting geschult hat.

"AM" ist bereits das dritte Album in Folge, das in Zusammenarbeit mit dem neuen Mentor Josh Homme von den Queens Of The Stone Age in Kalifornien entstanden ist. Staubtrockene Riffs und schwerer, tiefer Bass beherrschen das Klangbild, die Gitarren röhren und heulen, manches mündet sogar in Hardrock mit Leder, Haarspray und gereckten Fäusten. Im nächsten Moment, in der Ballade "Mad Sound", säuselt der Hintergrundchor dann Souliges.

Musik für die Spritztour auf dem imaginären Freeway, mit aufgedrehtem Radio. Wie zum Beweis fahren die Monkeys-Mitglieder im Video zur Single "R U Mine?" im Auto durch die Nacht, spielen Luftschlagzeug, stilgemäß cool mit Sonnenbrillen und Lederjacken.

Weit aufgerissene Augen

Kurz erkennt man in diesen Halbstarken-Posen und kindisch zum Duckface verzogenen Gesichtern die Sturm- und Drang-Formeln wieder, die jugendliche Euphorie, die die Band am Anfang groß gemacht haben.

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Das ist heute der Hauptunterschied zwischen Arctic Monkeys und Babyshambles, den einstigen Brüdern im Geiste: Während die Monkeys eher sorglos, gut gelaunt und wenig geschichtsbewusst die Stilrichtungen zusammenwerfen, schreiten die Babyshambles in ihren Songs die eigene Geschichte ab, von der britischen Music Hall über die Krawallheimer der Siebziger bis in die jüngere Gegenwart. Machen sich und ihren Hörern den Zeitsprung bewusst, denn das kann der Punk heute noch: die Augen weit aufreißen. "I'm still a slave to the old sound", singt Pete Doherty an einer Stelle - immerhin weiß er es. Mit seinen zerzausten Außenseitern gestaltet er Alt und Neu als Kreislauf, während die Arctic Monkeys nur souverän das Mischpult des Pop bedienen.

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