Aktionskünstler Ai Weiwei in der Kritik:"Hat er also kapituliert, Schande"

Ai Weiwei in Deutschland

Eigentlich kritisierte er immer. Jetzt kritisieren chinesische Bürgerrechtler den weltberühmte Künstler Ai Weiwei.

(Foto: dpa)

Wütende Schmähungen aus den eigenen Reihen - Ai Weiwei, der berühmteste Dissident und Künstler Chinas, muss Kritik von chinesischen Bürgerrechtlern einstecken.

Ein Kommentar von Kai Strittmatter

Wie ein Baum sei er: "Ich wachse", sagte der Künstler Ai Weiwei der SZ. Das Interview löste unter chinesischen Bürgerrechtlern Irritation und Ratlosigkeit aus: Kommt da einer ins Wanken?, fragen viele. Der starke Baum, zu dessen Krone sie immer aufgeschaut, unter dessen Schatten sie Trost gefunden haben? Für manche war der 57-Jährige die eine Stimme der Wahrheit in einem verlogenen Land. Ai shen nannten sie ihn: der "Gott Ai". Solche Verehrung muss enttäuscht sein, wenn man feststellt: Ai Weiwei ist ein Mensch.

"Ich bitte um ein normales Leben", hatte er gesagt. Wer wollte ihm das verdenken? Und gerade weil er die vergangenen Jahre der unnormalste Chinese war, widerspenstig, mutig, hellsichtig und von einer Konsequenz, die einen in China zum Verrückten und Radikalen abstempelt, war die erste Reaktion großer Unglaube. Diesen Ai, der sagt, dass er die Dinge oft "zu einfach" gesehen habe, der vom gegenseitigen Verständnis, ja gar Vertrauen spricht, das nun zwischen ihm und der Regierung herrsche, den kannte keiner.

Altersmilde im rechten Moment

Die Zornigen macht wütend, dass Ai seine Altersmilde gerade in dem Moment entdeckt, als Peking ihm seinen Reisepass zurückgibt, dass er die "offene Atmosphäre" lobt, ausgerechnet in Tagen, da China Hunderte Anwälte verschleppt. "Hat er also kapituliert, Schande!", schreibt der Autor Yu Jie aus dem US-Exil.

Viele der wütendsten Schmähungen im Netz kommen aus Exilkreisen. Aber auch in China fragten welche, ob Ai Weiwei denn nun ein zweiter Zhang Yimou werden wolle, jener Regisseur, der sich vom kritischen Künstler zum Sprachrohr des Regimes wandelte. "Warum tritt er nicht für uns ein?" wundert sich auf Twitter Liu Xiaoyun, einst Rechtsanwalt Ai Weiweis, und erinnert daran, wie er einmal verschleppt wurde wegen seiner Arbeit für Ai.

Ai Weiwei kannte keine Kompromisse

Viele aber zeigen Verständnis. Der Demokratieveteran Wang Jinbo verteidigt Ai Weiwei: Ai wolle sich nicht zur Figur auf dem Schachbrett der Politik machen lassen. "Das enttäuscht natürlich die Revolutionäre hier auf Twitter, die das Regime unbedingt gewaltsam stürzen möchten. Für sie ist jeder Gemäßigte ein Kapitulant und Arschkriecher."

In gewisser Weise wird Ai das Opfer seiner Vergangenheit: Keiner legte strengere Maßstäbe an andere an als er, der keine Kompromisse kannte, wenn es um die Wahrheit ging. Als der - seit 2010 inhaftierte - Autor und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo einst zu Mäßigung und Kompromiss aufrief, habe ihn niemand so angegriffen wie Ai Weiwei, schreibt einer: "Da muss er sich gefallen lassen, dass er jetzt ebenso angegriffen wird."

Vielleicht sind all die schnellen Urteile ohnehin gedankenlose Rechthaberei. Wer Ai vorwerfe, mit der KP ins Bett zu steigen, der habe "nichts kapiert", meint Du Yanlin, der einst für Ai arbeitete: "Die Zeit wird zeigen, wer nur Sand ist und wer Gold." Und manche haben schon verstanden, dass Ai Weiwei nun Mensch ist: "Ich verstehe seine Worte nicht", schrieb einer, "Aber ich respektiere sie."

Ai Weiwei in Deutschland

Erste Bilder: Ai Weiwei mit Sohn beim Baden in der Isar. Hat der lange Zwangsaufenthalt in China ihn zahm gemacht?

(Foto: dpa)
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