Ai Weiwei im Haus der Kunst:Der Pandabär der Kunstszene

Man könnte meinen, Ai Weiwei habe Glück, dass China so böse zu ihm ist, denn hierzulande erregt er geradezu hysterisches Interesse. Dabei ist er kein Künstler aus Kalkül, sondern akut vom Aussterben bedroht.

A. Rühle

9000 Rucksäcke, arrangiert zum fassadengroßen Ornament: Entfernt man sich vom Haus der Kunst, erkennt man, dass die Rucksäcke, die vor der Fassade hängen, einen bunten Schriftzug ergeben, einen Satz, den eine Mutter schrieb, über ihre Tochter, die bei dem Erdbeben von Sichuan ums Leben kam: "Sieben Jahre lang lebte sie glücklich in dieser Welt."

Sie schickte den Satz an Ai Weiwei, der es sich im vergangenen Jahr zur Aufgabe gemacht hatte, herauszubekommen, wie viele Kinder bei dem Beben ums Leben kamen. Nachdem er gehört hatte, dass unverhältnismäßig viele Schulen bei dem Beben eingestürzt waren, recherchierte er mit einem Team Freiwilliger gegen den Widerstand der Regierung die Namen der 5335 Toten und veröffentlichte sie in seinem Blog. Die Installation "Remembering" ist dem Andenken an diese Kinder gewidmet.

Die bestdokumentierte Wunde der Kunstgeschichte

Man betritt die Ausstellung unter diesen Rucksäcken wie unter einem Vorhang hindurch, sieht als Erstes ein Bild des verletzten Künstlers, ein Selbstbildnis, aufgenommen am 12. August in Chengdu. Ai Weiwei im Aufzug, umringt von Polizisten, die ihn geschlagen und ihm die seit Van Gogh wohl bestdokumentierte Wunde der Kunstgeschichte verpasst hatten. Ai Weiwei war nach Chengdu gekommen, um für einen Aktivisten auszusagen, der ebenfalls recherchiert hatte, wie viele Kinder bei dem Beben ums Leben gekommen waren.

Das Foto erinnert an den New Yorker Künstler Hasan Elahi, der nach den Anschlägen vom 11. September das Pech hatte, einen arabisch klingenden Namen zu haben und auf der Terror Watch List des FBI landete. Er wurde immer wieder verhört und merkte dabei, dass die Behörden ausnahmslos alles von ihm wussten. Daraufhin richtete Elahi eine Webseite ein, auf der man mittels "Geopositioning" und Google Earth jederzeit sehen kann, wo er sich befindet. Er fotografiert jede Toilette, auf die er geht, und jeden Kreditkartenausdruck, insgesamt 120 000 Bilder stehen auf seiner Seite. Er nennt sie einen Akt der "aggressiven Unterwürfigkeit. Der beste Weg, meine Privatsphäre zu schützen, ist, sie völlig aufzugeben."

Das Gleiche macht Ai Weiwei, wenn er im Aufzug in Chengdu, im Klinikum Großhadern oder in seinem Atelier in Peking Fotos macht und diese sofort ins Netz stellt; wenn er die Ausstellung im Haus der Kunst auf einem eigenen Blog begleitet (http://aiweiwei.blog.hausderkunst.de). Der öffentliche Raum und unser aller Aufmerksamkeitsökonomie wurden längst zum eigentlichen Thema seiner Kunst.

"Ich gebrauche mich selbst als Readymade", sagte er einmal. Die Ausstellung im Münchner Haus der Kunst, die erstmals einen Überblick über sein Gesamtwerk gibt, zeigt, dass genau das den Wert seines Werkes ausmacht.

Machtlosigkeit, Blindwütigkeit

Gewiss, es gibt auch Fotografien des jungen Ai Weiwei, der in den achtziger Jahren in die USA ging. Diese Bilder sind aber eher interessant als tagebuchartige Dokumente seiner tastenden Suche als junger Künstler denn als eigenständige Werke. Duchamp und Warhol, die prägenden Vorbilder für sein Werk, hat er in diesen Jahren entdeckt, und so wirken denn auch viele seiner Arbeiten wie aus den Sechzigern. Da wird Pop verschmolzen mit Aktionskunst, neolithische Vasen werden als Readymades mit Industriefarbe überzogen, mit dem Coca-Cola-Schriftzug versehen oder zu Staub zermahlen. Mehrere Nebenräume stehen voll mit getischlerten Werken, montiert aus Stühlen, Tischen, Tempelfriesen aus der Qing-Dynastie, die der frenetischen Modernisierungswut der letzten Jahrzehnte zum Opfer gefallen sind.

Diese statischen handwerklichen Arbeiten stehen in Kontrast zu den enzyklopädischen Videoarbeiten, mittels derer er ebenfalls die drastischen Veränderungen seiner Heimatstadt Peking dokumentiert: Videos, die mit fast mathematischer Strenge die verschiedenen Stadtringe abbilden oder 150 Stunden lang alle Straßen innerhalb eines solchen Ringes abfahren und so den frenetischen Wildwuchs asiatischer Kapitalen dokumentieren: "Ich wollte einen unemotionalen Weg finden, dies zu zeigen: die Machtlosigkeit der Menschen und die Blindwütigkeit der Sanierung".

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum die Ausstellung funktioniert.

Kein Künstler aus Kalkül

Der südkoreanische Schriftsteller Kim Young-ha schrieb einmal angesichts des atemberaubenden Tempos, in dem alle traditionelle Architektur in seiner Heimatstadt Seoul abgeräumt wird, die ganze Stadt leide an kurzzeitiger Amnesie. "In Seoul zu leben, heißt vor allem zu vergessen und sich an dieses Vergessen zu gewöhnen."

Ai Weiwei will genau gegen dieses Vergessen aus Desinteresse anarbeiten. "Wenn die Leute sagen, 5000 tote Schüler sind nicht weiter erwähnenswert", so sagte er während der Eröffnung, "nur Nummern, ohne Namen, das kann man doch gar nicht glauben: Wie konnten wir an so einen Punkt kommen?" Es wirkt da fast schon wie die inszenatorische Idee eines Schriftstellers, dass Ai aufgrund seiner Kopfverletzung in Chengdu momentan Gedächtnisschwierigkeiten hat.

Im Einführungstext des Kataloges heißt es, Ai sei einer der "einnehmendsten" Künstler unserer Zeit. Genau das macht die Gefahr aus. Seine Werke sind leicht konsumierbar, er gibt gerne humorvolle Interviews, und so wurde er zu einer Art Pandabär der internationalen Kunstszene, so schön tapsig dick, so ruhig und gutmütig, und vor allem: akut vom Aussterben bedroht.

Unter Einsatz seines Lebens

Von der zynischen Aufmerksamkeitsökonomie des Kunstbetriebs her könnte man sagen, er hat verdammtes Glück, dass China so böse zu ihm ist: Die ganze Welt hat die Geschichte des Verhörs und seiner Misshandlung mitbekommen; wie er in München notoperiert werden musste; wie er mit seiner martialischen Narbe die Ausstellung eröffnete. Aber es wäre bizarr, ihm das vorzuwerfen, Ai Weiwei kann nichts für das geradezu hysterische Medieninteresse an seiner Person, er ist kein Künstler aus Kalkül, er würde wahrscheinlich auch dann weitermachen, wenn ihn keiner mehr hört. Der Mann bloggt und arbeitet mittlerweile unter Einsatz seines Lebens. Gerade erst haben die Behörden wieder neue Kameras vor seinem Pekinger Haus installiert.

Berühmt wurde er 2007, als er 1001 Chinesen mit zur Documenta nach Kassel brachte. Sie alle sind im Haus der Kunst noch einmal präsent, als Schwarzweißporträts, jeweils aufgenommen in dem Moment, in dem sie im deutschen Konsulat ihren Reisepass bekamen. Sie schauen im zentralen Raum der Ausstellung auf Hunderte uralte Baumleichen, wurzelverknöcherte Strukturen, teils expressiv wie knotige Hände von Kokoschka, teils fremd und still und majestätisch wie paläontologische Funde.

Dieser Totholzwald steht auf einem Teppich, der selbst wiederum ein Kunstwerk ist: Ai hat die 996 Solnhofener Bodenplatten im Haus der Kunst einzeln fotografiert und in Peking von 50 Teppichknüpferinnen nachweben lassen, minutiös, inklusive der Gebrauchsspuren aus 70 musealen Jahren und der Dendriten und Fossilien aus den 150 Millionen Jahren zuvor. "Softground" heißt das Werk, das den Boden des Nazibaus zugleich versteckt und ausstellt, kopiert und verfremdet: Die gewebten Fliesen sehen aus wie jahrhundertealte chinesische Tuschezeichnungen und bringen Naziarchitektur und chinesisches Kunsthandwerk im wahrsten Sinne des Wortes zur Deckung.

Das ist hübsch, einleuchtend und unterhaltsam. Und wäre nicht mehr als das, hingen nicht draußen vor dem Haus die 9000 Rucksäcke. Oder, wie er selbst auf dem ausstellungseigenen Blog schreibt: "Kunst in einem Museum auszustellen, ist nicht sonderlich interessant. Kunst ist verbunden mit unserem Leben. Unser Leben ist politisch und so wird auch die Kunst politisch."

Ai Weiwei, "So sorry". Haus der Kunst München. Täglich 10 bis 20 Uhr, Do bis 22 Uhr. Info: 089 - 27 37 27 99, www.hausderkunst.de. Katalog:`Prestel Verlag, 128 Seiten, 19,95 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: