Ai Weiwei: Freilassung:Das ist natürlich Mumpitz

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Lautstarkes Brustklopfen ist deplatziert: Die Freunde Ai Weiweis im Westen haben die Diktatur nicht niedergerungen - die Freilassung des regimekritischen Künstlers erfolgte, weil es dem chinesischen Machtapparat so gefiel.

Tilman Spengler

In Erwartung des Prozesses eine Sicherheit erwerben", so lautet die zeichengetreue Übersetzung aus dem Chinesischen, wenn einem Beschuldigten die Möglichkeit der Kaution angeboten wird. Worin nun diese Sicherheit besteht, das legen die Verfolger fest. In aller Regel, so erklärt es der amerikanische Rechtswissenschaftler Jerome A. Cohen, wird der Person, die die Kaution zu stellen hat, auferlegt, ein Jahr lang die Stadt nicht zu verlassen, in der sie registriert ist und nichts von ihrem Verfahren an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Der Reisepass bleibt selbstverständlich bei der Behörde unter Verschluss. So erwirbt ein Staat seine Sicherheit.

Ai Weiwei nach der Freilassung vor seinem Atelier in Peking: Hoher persönlich entrichteter Preis. (Foto: dpa)

Ist das für den jetzt freigesetzten Künstler Ai Weiwei eine gute oder eine schlechte Nachricht? Beantworten wir diese Frage mit dem Kommentar eines seiner chinesischen Freunde, der gestern aus Hongkong anrief: Es ist weder gut, noch schlecht, es ist vielmehr vielleicht ein wenig besser und hätte bestimmt schlechter sein können.

Man kann zwar füglich bezweifeln, ob selbst chinesische Juristen die Logik der Strafprozessordnung ihres Landes begreifen. Aber die Erfahrung lehrt, dass das Angebot, eine Kaution zu stellen, die letzte Möglichkeit der chinesischen Justiz ist, nach einem versemmelten Verfahren noch ein paar Züge ihres Gesichtes zu wahren. Ein angenehmes Gesicht war es von Anfang an nicht. Aber es hat immerhin wiedererkennbare Formen.

Die Fairness gebietet an dieser Stelle die Anmerkung, dass in der Volksrepublik seit einigen Jahren auch an einer Reform des Rechtes gearbeitet wird. Bei den Gesprächen zwischen Angela Merkel und Wen Jiabao in der kommenden Woche in Berlin wird dies ein Thema sein.

Rechtsberatung ist ein wichtiger Teil der deutschen Entwicklungspolitik, den man nicht deshalb schlechtreden sollte, weil das Pekinger Regime immer wieder der Verlockung zum Brutalen erliegt. Im chinesischen Wörterbuch folgt der Eintrag für "Gesicht" direkt dem Eintrag für "Strafe".

Wie ein Frosch

Ein stolzes Gesicht trug nach der (bedingten) Freilassung des Künstlers hierzulande manch einer, der sich für die Sache von Ai Weiwei eingesetzt hatte. Lautstarkes Brustklopfen und deutliche Sätze waren zu vernehmen, der Massenprotest für den unbillig Festgehaltenen habe eben doch viel mehr bewirkt als stille diplomatische Interventionen.

Ein Sieg der Beherzten gegen eine eben doch nicht übermächtige Diktatur! Das ist natürlich Mumpitz. Lenin hätte dazu nur - wie schon 1919 - einfach bemerkt: "Wenn wir uns wie ein Frosch aufblasen, wird die Welt über uns lachen und wir werden als Aufschneider dastehen."

Nicht nur Aufschneider. Es ist nämlich ein so bekannter wie bitterer Nebeneffekt, dass ausländischer Protest von vielen Bürgern Chinas als Angriff auf die eigene Art empfunden wird. Nationalistische Propagandisten haben daraus schon immer ihren Gewinn einstreichen können. Man erinnere sich an die Reaktionen auf die Empfangsdiplomatie westlicher Staatslenker gegenüber dem Dalai Lama. Nein, das bedeutet keineswegs, dass wir auf Protest, verzichten sollten, wir dürfen mit dem Blick auf China nur nicht dessen Doppelgesicht unterschätzen.

Wir sollten zudem versuchen, uns nicht klüger zu geben als wir sein können. Wer letztendlich die Entscheidung zur Festsetzung von Ai Weiwei getroffen hat, ist ebensowenig klar wie die Frage, wer innerhalb der Machthaber nun auf seine Freisetzung drängte.

China: Ai Weiwei
:Vom Künstler zum Staatsfeind - und zurück?

Chinas bekanntester regimekritischer Künstler sieht sich seit Jahren politischer Repression ausgesetzt. Gegen seine Festnahme gab es weltweite Proteste. Nun wurde er auf Kaution freigelassen. Eine Chronologie in Bildern.

Daniela Otto

Vieles deutet darauf hin, dass sich hier mindestens drei verschiedene Fraktionen der Partei unregelmäßige Gefechte liefern. Es liegt ja eine der vielen Widersprüchlichkeiten der chinesischen Politik darin, dass die Macht zwar von einer Partei monopolisiert wird, dass sich aber innerhalb dieser Partei eine Vielzahl von Interessengruppen befehdet. Diese Gruppen sind von den verschiedensten Visionen, Machtinstinkten oder materiellen Interessen geleitet, die eine wünscht sich Mao zurück, die andere die Streichung des Begriffs "Kommunismus".

Die politische Kunst des Ai Weiwei lag nun darin, dass er sich in diesem Gefüge gut genug auskannte, um diverse Kräfte gegeneinander ausspielen zu können. Oder dieses zumindest so lange hoffte, bis ihm eine übergeordnete Macht das Gegenteil bewies. Vorläufig.

Das Land China wird seit mehr als zweitausend Jahren von Diktaturen beherrscht, das bedeutet naturgemäß, dass es auch eine mehr als zweitausend Jahre alte Erfahrung im listigen Umgang mit Diktaturen gibt. Es verhält sich übrigens wie in der Kunst: Deren Geschichte ist ebenfalls nicht länger als die Geschichte der Fälschung.

Diesen Punkt des Umgangs mit der Macht gilt es im Auge zu halten, wenn jetzt wieder das Lamento über die fehlende chinesische Zivilgesellschaft angestimmt wird, die Klage mithin, dass der Protest gegen die Schikanen, denen Ai Weiwei und ausgesetzt war und ist, in der Volksrepublik China selbst kaum zu vernehmen wäre.

Selbstverständlich, so lautet dieses Meinung im Rohschnitt, selbstverständlich erwarten wir nicht offenen Protest, wir haben ja alle die Bilder der Schlägerfressen gesehen, die in der Pekinger Einkaufsstraße schon auf den blassen Verdacht einer Demonstration blindwütig auf Passanten eindroschen.

Wir erwarten nicht Heldenmut, fährt diese Meinung fort, wir erwarten nur ein wenig mehr Begeisterung für die Sache der Demokratie. Wie damals. Wie 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens, als dort die Freiheitsstatue stand. Es gibt sie eben doch auch in China, die Tradition der individuellen Rechte.

Pubertärer Schrei

Übersehen wir einmal, dass jenes Argument - "Es gibt diese Tradition eben doch auch in China"- schon lange aus dem Klempnerkasten der Sinologie entfernt gehört. Rufen wir uns statt dessen ins Gedächtnis, dass wir zu und über Menschen reden, die sich in der allergrößten Mehrzahl so verhalten, wie es uns hedonistische Zeitungsbeilagen und die Propheten neo-ökonomischer Weisheiten seit mehr als zwei Jahrzehnten predigen: "It's the business, stupid!"

Einer der Vorwürfe gegen Ai Weiwei war übrigens, diese Losung zu ernst genommen zu habe. Er sei nur noch eine "Fratze des internationalen Kunstmarkts", hieß es vor fünf Monaten in einer Zeitschrift von Kunststudenten in Kanton.

Selbstverständlich war das ein pubertärer Schrei, eine rüder Tritt gegen den chinesischen Kunstmarkt, welchen eben auch weniger die Freiheit des Ausdrucks bestimmt als jene Warnung, nicht "stupid" zu sein und die Gunst der Investoren zu nutzen, solange der Markt sein freundliches Gesicht zeigt.

Ai Weiwei, dafür müssen wir ihm dankbar sein, hat uns nun für einen hohen, persönlich entrichteten Preis wie in einer laterna magica eine ganze Reihe von Antlitzen enthüllt, darunter die Fassade einer tölpelhaften Justizbehörde. Er hat aber auch ein Licht geworfen auf das Schicksal vieler anderer, nennen wir nur Liu Xiaobo, den Träger des Friedensnobelpreises, doch vergessen wir nicht die anderen, die noch in Haft sind. Das chinesische Wort für "Gesicht" bedeutet übrigens auch "Herausforderung".

Tilman Spengler, geboren 1947, ist Schriftsteller und Sinologe. Anfang April wurde ihm die Einreise zur Eröffnung der deutschen Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" in Peking verwehrt.

© SZ vom 24.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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