Afropop-Kolumne:Schwarzer Atlantik

Eine Jam-Session aus dem Kongo klingt mit ihren handgemachten Rhythmen nach dem New York der Siebzigerjahre. Unterdessen reißen sich westliche Plattenfirmen um die Afrobeat-Stars, und Brasiliens Pop reafrikanisiert sich.

Von Jonathan Fischer

Aus dem Kongo soll mal einer schlau werden. Dieses Riesenreich zählt zu den geplagtesten Ländern der Welt - doch selbst Bürgerkrieg, Korruption, Armut und religiöser Wahn richten nichts aus gegen eine Popmusik, die süßer säuselt als so mancher Schlagerchor. Eine junge Band aus Kinshasa liefert jetzt die Antithese: KOKOKO! besingen zwar auch bisweilen die Liebe - aber wie! Ihre verzerrten Noise-Rock-Rhythmen, der handgemachte Techno auf Müll-

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Instrumenten, das erinnert frappierend an die No-Wave- und Post-Punk-Energie des New York der Siebzigerjahre, gerade so, als hätten die frühe Grace Jones oder die Talking Heads nach einer durchkoksten Nacht beschlossen, auf dem Inventar einer Autowerkstatt zu jammen. Das Projekt des französischen Produzenten Xavier Thomas alias Débruit und einer Gruppe Musiker um die Vokalisten Makara Bianko und Love Lokombe entstammt denn auch einer wöchentlichen Jam-Session in Kinshasas Lingwala-Viertel. Auf der neuen,über den Online-Musikdienst Bandcamp veröffentlichten EP "Tongos'a/ Likolo" bündelt Débruit das urbane Chaos zu elektronik- und house-affinen Rhythmen, doch bleibt der Sound angenehm roh und ungeschliffen. Die aus Draht und Kaffeedosen gebauten Gitarren scheppern und brummen, dazu dröhnen dunkle Wasserfass-Rhythmen - die dazugehörigen Videos setzen der Lo-Fi-Ästhetik knallbuntes Straßenflair entgegen. Eine Rotzigkeit, die auch die Texte prägt: Auf die Lobpreisung der Ausdauer beim Liebesakt folgt die Adaption eines traditionellen Begräbnisgesangs: "Wir sind alle nackte Körper unter dem Himmel" chanten KOKOKO! in der kongolesischen Sprache Lingala. "Wir wissen alle, wie es enden wird".

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Afrobeats. Schreibt man dieses Wort mit einem S am Ende, hat es mit der politisierten Jazz-Funk-Highlife-Fusion, die Fela Kuti in den Sechziger- und Siebzigerjahren als "Afrobeat" aus der Taufe hob, kaum noch etwas zu tun. Im Westen mag Kuti als Underdog-Held wie Bob Marley und Che Guevara gelten, seine nigerianischen Enkel und Urenkel wollen lieber ein cooles, luxuriöses Bild abgeben. Die Videos der Afrobeats-Stars von Wizkid über Davido bis Runtown ähneln sich: Digital galoppierende Beats und Autotune-Schmachtgesänge untermalen Ansammlungen von teuren Autos, zwischen denen sich weibliche Models räkeln. Wie erfrischend wirkt da das neue Video "Heaven's Gate" von Burna Boy: Der junge Sänger aus Lagos zeigt ungewohnte, ja fast ironische Posen. Statt im genreüblichen Glamour posiert er neben seiner kochenden Mutter zwischen Geschirrhandtüchern und Kaffeemaschine. Harte Dancehall-Raps in einer Londoner Vorstadtwohnung. Wunderbar auch, wie hier die englische Popsängerin Lily Allen die Gespielin und Background-Sängerin gibt. Und wenn Burnas neues Mixtape "Outside" (Warner) auch weitgehend die erwarteten Sound-Maschen aufnimmt, lässt es doch aufhorchen, dass sich inzwischen große westliche Plattenfirmen um die Afrobeats-Stars reißen und amerikanische Indie-Rock-Bands wie Fall Out Boy den nigerianischen Club-Flair für sich entdecken. "Sunshine Riptide" heißt deren aktuelle Kollaboration mit Burna Boy.

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Afrika mag geografisch fest umrissene Grenzen haben, kulturell streckt es seine Tentakel über den "schwarzen Atlantik" aus bis nach New Orleans, Kuba und vor allem Brasilien. Auch wenn unzählige Brasil-Sampler dafür gesorgt haben, dass wir von dort vor allem tropisch swingende Jazz-Soul-Disco-Bossa-Verschnitte erwarten: Es ist der Afro-Einfluss, der die rhythmische Komplexität der besten brasilianischen Popsongs ausmacht und die Straßen zum Tanzen bringt. Nachzuhören auf "Levanta Poeira" (Jazz & Milk). Das heißt "lass den Staub wirbeln" - eine populäre Anfeuerung für Tänzer und Musiker. Tahira, ein DJ aus São Paulo, hat dafür einige seiner Lieblingstracks aus den letzten vier Jahrzehnten frisch abgemischt. Etwa Gilberto Gils "Toda Menina Baiana": Das eher melancholisch schaukelnde Original wird mit Percussion-Intro, Highlife-Gitarren und Bläsersätzen für den urbanen Dancefloor reafrikanisiert. Andere Songs zeigen, dass Afro vieles bedeuten kann: Auftriebige Forro-Tänze aus Brasiliens Nordosten, "Congo de Outro"-Rhythmen, ein Perkussionsstil, der den Baile-Funk geprägt hat, oder auch von Synthesizer-Bässen angetriebene Flöten-Sambas. Unschlagbar ist es, wie hier die zwei elektronischen Combos Afroelectro und Forro RED Light westafrikanische Rhythmen, Samples und Loops mit aufreizender Viola Calpira (der 10-saitigen brasilianischen Gitarre) und elektronischen Beats zu Clubmusik verquirlen. Das klingt so archaisch wie urban. Gut genug jedenfalls für eine mächtige Wolke Staub.

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