Afrikanische Literatur:Man rauscht bergab auf einem Baumstamm

Warum ist es so schwierig für einen afrikanischen Autor, ins Deutsche übersetzt zu werden? Warum lassen die Leser sich so viel Neues entgehen? Obwohl sich doch allein Chirikure Chirikure, der wichtigste Satiriker Simbabwes, lohnen würde. Ein Besuch auf den Afrikanischen Literaturtagen.

Von Tim Neshitov

Hoggar in der algerischen Sahara, 2003

"Wir sind wie goldene Fische, die ihr Becken gefälligst nicht verlassen sollen", sagt Fatou Diome. Am besten solle man als afrikanischer Autor auch nur über Afrika schreiben, so die Schriftstellerin.

(Foto: DPA-SZ)

Wer gerne ab und zu etwas Afrikanisches (sprich Exotisches) für sich entdeckt, ein Lokal oder einen Schriftsteller, der wird spätestens in diesem Jahr Helon Habila lesen. Sein Roman Öl auf Wasser hat gerade den Deutschen Krimi Preis gewonnen. Der 45 Jahre alte Nigerianer kommt bald als Gast im Künstlerprogramm des DAAD nach Berlin, Lesereisen stehen an, wohl auch Fernsehinterviews.

Öl auf Wasser gehört zu den Büchern, die man nachts zu Ende liest, auch wenn man am nächsten Morgen sehr früh aufstehen muss. Es ist die Geschichte einer Entführung im Nigerdelta, einer Gegend, in der seit einem halben Jahrhundert jedes Jahr mehr Öl die Umwelt verpestet als bei der Katastrophe im Golf von Mexiko 2010. Verschleppt wird eine weiße Britin, die Ehefrau eines ranghohen Mitarbeiters einer ausländischen Ölgesellschaft. Der junge Journalist Rufus wittert die Story seines Lebens und begibt sich auf die Suche nach der Britin, auf eine Reise durch ausgebeutete, zerstörte Landschaften.

Es ist ein großartiges Buch, nur: Es ist kein klassischer Krimi, jedenfalls wurde er außerhalb Deutschlands nicht als solcher wahrgenommen. Das Buch sei viel mehr als Krimi, sagt der Autor selbst. Da gibt er seinem Übersetzer Thomas Brückner recht, der im Klapptext zur ersten deutschen Ausgabe (Wunderhorn-Verlag, 2012) schrieb, Öl auf Wasser sei Bildungsroman, Politthriller, Liebesgeschichte - und, ja, unter anderem Umweltkrimi.

Am vergangenen Wochenende trat Habila bei den Afrikanischen Literaturtagen in Frankfurt auf, einer zweitägigen Veranstaltung von litprom, der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. Es war ein merkwürdiger Auftritt, denn da sprach jemand, der eigentlich keiner Förderung bedarf, sondern seinem kleinen deutschen Verlag angenehme Verkaufszahlen beschert. Einer, der sich ein wenig darüber amüsiert, dass die Deutschen ihn erst jetzt entdecken, nach seinem dritten Roman - den sie als Krimi hypen, offenbar weil Krimis in Deutschland mehr Aufmerksamkeit genießen.

In den USA und England ist Habila längst eine literarische Größe. 2001 bekam er den Caine Prize, eine Auszeichnung, die der langjährige Booker-Chef Michael Caine stiftete, um Literatur aus Afrika zu würdigen. Habila bekam den "afrikanischen Booker" für eine Erzählung, die bis heute nicht auf Deutsch erschienen ist.

"Als afrikanischer Autor ins Deutsche übersetzt zu werden, ist aus irgendeinem Grund sehr schwierig", sagte Habila in Frankfurt mit einem ruhigen Lächeln. Er bot keine Erklärung für dieses Rätsel. Man hatte vielmehr das Gefühl, es tue Habila für die deutschen Leser leid, dass sie eine ganze Autorengeneration aus Afrika verpasst haben, Tausende von Büchern, jenseits der postkolonialen Klassiker Achebe, Soyinka und Thiong'o. "Man sollte nicht glauben, in Afrika hätte sich seit den sechziger Jahren nichts verändert."

"Danke, wir haben schon ein Buch über Afrika."

1980 war noch "Schwarzafrika" Schwerpunkt auf der Frankfurter Buchmesse. Ende der Achtziger gründete Ilija Trojanow, damals Mitte zwanzig, einen Verlag, der sich auf afrikanische Literatur spezialisierte. "Ich war naiv und dachte, Deutschland wartet darauf, afrikanische Autoren zu lesen", erzählte Trojanow nun in Frankfurt. "Ich war bei einem Buchhändler in Duisburg, habe mich vorgestellt: Junger Verlag, afrikanische Literatur. Der Buchhändler sagte: Danke, wir haben schon ein Buch über Afrika." Trojanow gab nach zehn Jahren auf. Heute findet er es schade, aber nicht wirklich verwunderlich, dass die letzten Bestseller aus afrikanischer Feder in Deutschland alle eins gemeinsam haben: Sie wurden von sehr gut aussehenden somalischen Frauen geschrieben.

Manfred Metzner, der Verleger von Helon Habila, gibt sich jedoch optimistisch. Seit drei Jahren verlegt er in der Reihe Afrika-Wunderhorn afrikanische Schriftsteller und sagt, er schreibe mit diesen Büchern schwarze Zahlen. Habila sei natürlich ein Sonderfall, aber auch ein simbabwischer Dichter wie Chirikure Chirikure verkaufe sich nicht schlechter als debütierende deutsche Dichter. Von Bekanntheit kann man da freilich kaum sprechen. Die Auflagen für Lyrikbände liegen zwischen 300 und 500 Exemplaren.

Im Falle Chirikure Chirikure wünscht man sich definitiv höhere Auflagen. Er ist der wichtigste Satiriker Simbabwes, der sich mit dem Regime von Robert Mugabe anlegt, dabei aber Zeit findet, zeitlose Gedichte zu schreiben. Er schreibt sie in seiner Muttersprache Shona und übersetzt sie eigenhändig ins Englische, damit sie ein Publikum außerhalb Simbabwes erreichen. Und er trägt sie zu musikalischer Begleitung vor, wie nun bei den Afrikanischen Literaturtagen in Frankfurt.

Als hätte Shakespeare so gesprochen

Chirikure Chirikure ist ein hagerer Mann mit Brille und schütterem Schnauzbart, an dem eigentlich nichts weiter auffällt. Aber er hat eine ungeheure Bühnenpräsenz. Vielleicht liegt es an seiner Mimik, einer würdevollen Mischung aus Zurückhaltung und kindischem Zorn. Vielleicht ist es die Musik, die seine Gedichte begleitet. Mbira, das simbabwische Zupfinstrument, kann klingen wie ein Märchen, fern und nah zugleich. Vielleicht ist es Chirikure Chirikures Aussprache, das platt gedrückte, hingenuschelte simbabwische Englisch, das bei diesem Mann nicht verklemmt-provinziell klingt, wie etwa bei Robert Mugabe, sondern souverän, ursprünglich, als hätte schon Shakespeare so gesprochen.

Chirikure Chirkure liest sein Gedicht "Sliding game - Mutserendende" vor: "Every boy in my village / Can describe with joy and pride / How you play the mutserendende game." Er hebt die Hände, greift nach Luft, im Gedicht erzählt er, dass man, um Mutserendende zu spielen, einen gesunden Baum fallen muss, seine Äste vom Stamm hacken und den Klotz bergan schleifen. "Like Jesus Christ on a donkey / You mount the log, holding tight / Then, woosh, you zoom down."

"You land with a big thud / Your backsides tattered / Bleeding in hot ecstasy." Das ist ein Spiel, denkt man sich als Zuhörer, etwas, was simbabwische Dorfkinder so spielen. Dann trägt Chirikure Chirikure die Endstrophe vor: "So do many among us / Leading life fast and furious / Landing with tattered, bleeding souls."

Man rauscht also bergab auf einem Baumstamm, wie Jesus Christus auf seinem Esel, und landet auf blauen Hinterbacken. "Genau so machen es viele von uns", lautet die Endstrophe in der Übersetzung von Sylvia Geist. "Rasend schnell leben / Landen mit blauem, blutendem Ich."

Chirikure Chirikure ist einer der wenigen international bekannten afrikanischen Autoren, die in ihren Heimatländern leben. Helon Habila lebt in Virginia, die senegalesische Erfolgsautorin Fatou Diome (Der Bauch des Ozeans, zuletzt als Hörbuch mit Martina Gedeck erschienen) unterrichtet in Strasburg, die Äthiopierin Maaza Mengiste in New York. Sie alle schreiben über Afrika und sehen sich als afrikanische Autoren, aber eigentlich wollen sie mehr sein.

Umgekehrte Identitäten

"Wenn man im Ausland lebt, gibt es immer Leser in Afrika, die glauben, man sei kein afrikanischer Schriftsteller, man schreibe für das westliche Publikum", sagt Fatou Diome. "Im Westen gilt man wiederum ausschließlich als afrikanischer Autor, und zwar in dem Sinne, dass man etwas Exotisches liefern soll und bitte nur über Afrika. Das nervt. Kein europäischer oder amerikanischer Verlag nimmt es ernst, wenn ein Afrikaner über die USA oder Europa schreibt oder sich einfach Gedanken über den Lauf der Welt macht. Schreibt aber ein Europäer über Afrika, gilt das als Beweis geistiger Offenheit. Wir sind wie goldene Fische, die gefälligst ihr Becken nicht verlassen sollen."

Maaza Mengiste, die in ihrem Roman Unter den Augen des Löwen (Wunderhorn, 2012) die äthiopische Revolution von 1974 beschreibt, hat dafür in mehreren Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens recherchiert. "Ich wollte am Beispiel Äthiopiens zeigen, wie es Menschen geht, deren Eltern und Großeltern jahrelang ein Trauma verschwiegen haben. Es ist eine menschliche Erfahrung, die über geografische und zeitliche Grenzen hinausgeht."

In ihrem nächsten Roman schildert Maaza Mengiste die Besatzung Äthiopiens durch Mussolinis Truppen und den Alltag italienischer Familien, die nach dem Rückzug der faschistischen Armee im Land blieben. "Ich stelle die Frage: Wie wird man zum Opfer? Äthiopiens Geschichte dient da nur als Hintergrund." Den Begriff afrikanische Literatur findet sie dafür zu eng. "Warum gibt es keine Tage der Revolutionsliteratur oder meinetwegen ein Festival der Migrationsliteratur?"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: