AfD und Pegida:Im politischen Spektrum festgekrallt

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Das politische Klima wird rauer werden: Fahnen bei Legida-Demonstration in Leipzig. (Foto: dpa)
  • Protest, wie von AfD und Pegida, kommt von rechts wie von links, und bedient sich oft populistischer Methoden.
  • In Europa gibt es fast keinen Staat mehr, in dem Anti-Parteien nicht die Diskussion bestimmen. Aber sie zu dämonisieren, reicht nicht mehr. Ein Patentrezept gibt es nicht.
  • Hilfreich wäre, wenn Politiker seltener "Wir haben recht" sagten und öfter "Machen wir alles richtig?" fragten, statt Wählerbeschimpfung oder Arroganz.
  • Das politische Klima wird rauer werden. Und die etablierten Parteien sollten die Herausforderung erkennen und ernst nehmen.

Von Thomas Kirchner

Es hat etwas gedauert, aber nun ist das Phänomen in Gestalt von AfD und Pegida offensichtlich auch in Deutschland angekommen: eine Protestbewegung, die ganz Europa erfasst hat. Es ist ein Protest gegen das politische Establishment, deren Vertreter als abgehobene Elite gesehen werden, die die Interessen der "einfachen Bürger" nicht mehr wahrnehme.

Mitunter gerät das ganze politische und wirtschaftliche System ins Visier - repräsentative Demokratie und Marktwirtschaft. Der Protest kommt von rechts wie von links, und oft bedient er sich populistischer Methoden.

Um zu verstehen, was gerade in der deutschen Politik passiert, muss man den Blick also weiten. Vergleichbares erleben viele Länder seit den Achtzigerjahren, in Wellenbewegungen. Den Anfang machte der Rechtspopulist Jörg Haider, es folgten der französische Front National, der belgische Vlaams Blok, die italienische Lega Nord, Christoph Blochers Schweizerische Volkspartei. Nach dem Fall der Mauer hatte der Kontinent eine Weile andere Sorgen, doch im Jahr 2000 stürmten Haiders Freiheitliche sogar an die Macht, Jean-Marie Le Pen schaffte es bald darauf in die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahl, in den Niederlanden wirbelte der Islamskeptiker Pim Fortuyn bis zu seiner Ermordung die Politik durcheinander. Kurzzeitig wurde es wieder ruhiger um die Protestparteien, bis sie sich seit Ende des vergangenen Jahrzehnts endgültig im politischen Spektrum des Kontinents festkrallten.

Kaum ein Staat ohne Anti-Partei

Zusätzlichen Schub gab die Dauerkrise Europas. Sie schenkte Identitätspolitikern wie Marine Le Pen, dem Niederländer Geert Wilders oder dem Ungarn Viktor Orbán ein zweites starkes Thema und ließ neue, speziell gegen die EU und die Euro-Rettungspolitik gerichtete Bewegungen entstehen. Während diese in Nordeuropa - wie die AfD - vor allem die Sorge um "unser Geld" zum Ausdruck bringen, richten sie sich im Süden (Podemos in Spanien, Syriza in Griechenland, 5 Sterne in Italien) gegen die von der Regierung Merkel maßgeblich durchgesetzte Austeritätspolitik und deren soziale Folgen. In Großbritannien wiederum bricht die ohnehin starke Europaskepsis in Form von Ukip durch.

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Inzwischen gibt es in Europa fast keinen Staat mehr, in dem die Anti-Parteien nicht die Diskussionen bestimmen, die Etablierten vor sich hertreiben. In den Niederlanden oder in Dänemark stützten sie Minderheitskabinette; in Norwegen, Österreich, Italien waren oder sind sie sogar Teil von Regierungen. In Griechenland haben sie die Macht nun für sich allein. Die Protestpolitiker sind gut vernetzt und haben viel gelernt. Sie wissen, wie radikal sie sein können, ohne zu weit zu gehen. Wilders bewegt sich mit seinen anti-islamischen Filmen und Sprüchen ständig entlang der pluralistischen Schmerzgrenze. Hin und wieder übertritt er sie, um Aufmerksamkeit zu provozieren. Tabubrüche und gezielte Regelverstöße stärken das "Wir-gegen-sie"-Gefühl. Nicht alle können das so virtuos wie der blonde Holländer. Aber AfD-Chef Bernd Lucke nutzte denselben Trick, als er Thilo Sarrazin zu einem Parteitreffen einladen wollte, um die "linke Presse" in Rage zu bringen.

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Ob Pegida und AfD in Deutschland, Front National in Frankreich oder die EU-Skeptiker Griechenlands: Protestbewegungen von rechts wie links formieren sich derzeit in ganz Europa. Die Reaktion der etablierten Parteien fällt bisher noch zurückhaltend aus.

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Und: Die Protestparteien sind ideologisch biegsam. Der gemeinsame Feind Brüssel schweißt Israel-Freund Wilders und den antisemitischen Front National zusammen oder griechische Links- und Rechtspopulisten zu einem Anti-Spar-Bündnis. EU-Skeptiker aller Couleur haben den Sieg der Linken in Athen bejubelt. Dass in Deutschland bis vor Kurzem trotz einiger Versuche (Schönhuber, Brunner, Schill) keine derartige Partei Fuß gefasst hat, stellt eine historische Ausnahme dar. Das ist vorbei. Parteienforscher sprechen von "Normalisierung" oder "nachholender Entwicklung". Einige Gründe für die Verspätung liegen auf der Hand: der Schatten der NS-Vergangenheit, der Extremismus stärker als anderswo unter Tabu stellte; die Tatsache, dass Deutschland eher profitierte von der Euro-Krise, als an ihr zu leiden; die Integrationskraft der Unionsparteien; vielleicht, so Karsten Grabow von der Adenauer-Stiftung, ist es auch schlicht "Zufall", dass in jüngerer Zeit kein charismatischer deutscher Anti-Politiker die Bühne betrat.

Die Reaktion auf die Protestparteien war bisher in ganz Europa ähnlich. Man hat sie erst ignoriert, dann dämonisiert. Das hat ihnen eher mehr Wähler beschert. Buh-Rufe waren so vergeblich wie die Hoffnung, die Neuen würden an ihren Widersprüchen und Flügelkämpfen zerbrechen. Sie standen wieder auf. In Skandinavien glaubte man, ihnen das Wasser abzugraben, indem man ihre Forderungen übernahm. Das hat wenig gebracht. Es gibt kein Patentrezept.

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Gewiss, die Protestpolitiker schüren Ängste, weil sie eben meistens Populisten sind, sie diffamieren, grenzen aus, vereinfachen, bieten keine tauglichen Lösungen an. "Raus aus dem Euro!" lässt sich leicht skandieren und kaum umsetzen. Aber: Sie sprechen reale Sorgen vieler Bürger an, die sich hilflos fühlen in der Globalisierung, die nicht mehr wissen, wo sie hingehören. Und sie profitieren davon, dass die anderen Parteien manche Probleme ignoriert oder unter den Teppich gekehrt haben.

So war absehbar, dass die auch in Deutschland verbreitete Europaskepsis irgendwann einen politischen Ausdruck suchen würde. Die Merkelsche Euro-Politik steht weltweit in der Kritik. Wo ist die Debatte darüber in Deutschland? Wer spricht noch über Tempo und Ausmaß der europäischen Integration, die vielen zu weit geht? Mit mehr Mut hätte etwa die SPD eine Alternative bieten können. Die soziale Ungleichheit nimmt unaufhaltsam zu. In der Einwanderungspolitik wurden Fehler gemacht, wurde Zeit verschenkt.

Was den Umgang mit muslimischen Einwandern betrifft, gibt es viel guten Willen, aber auch Blauäugigkeit. "Wenn sich in manchen deutschen Stadtteilen Parallelgesellschaften bilden, wenn manche Jungs aus türkischen Familien eine zum Teil frauenfeindliche Machokultur pflegen", dann sollte das nicht nur Otto Schily ( im Spiegel) ansprechen. Es wäre schön, wenn eine muslimische Leitfigur in Deutschland so kraftvoll aufträte wie der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb, der fanatischen Glaubensbrüdern zuruft, sie sollten abhauen, wenn sie mit zentralen westlichen Werten nicht leben könnten.

Öfter "Machen wir alles richtig?" fragen

Hilfreich wäre auch, wenn Politiker seltener "Wir haben recht" sagten und öfter "Machen wir alles richtig?" fragten. Was sicher nicht hilft - das ist eine zentrale Lehre aus dreißig Jahren Protest und Populismus in Europa -, ist Wählerbeschimpfung sowie jene Arroganz, wie sie in der Häme über Luckes braune Tischdecken und Butterstullen zutage tritt oder in manchen Äußerungen zu Pegida. "Man muss nicht mit jedem Idioten reden", sagt der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer. Sigmar Gabriel hat die Strategie geändert und will genauer hinhören, was jene Menschen bewegt, die AfD wählen oder das Abendland verteidigen wollen. Das ist ein gutes Zeichen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert zu Recht mehr soziale Sicherheit und eine "breite Debatte über Freiheit, Toleranz und Menschenrechte". Ermutigend ist zudem, dass so viele für ein buntes Deutschland auf die Straße ziehen.

Mindestens genauso wichtig aber ist die Einsicht, dass der Protest der Verdrossenen - selbst wenn sich Pegida nun selbst zersetzt - kein bloßer Spuk ist, kein Schnupfen, der schnell vorübergeht. Die AfD wird demnächst in weitere Landtage und vielleicht in den Bundestag einziehen. Das politische Klima wird rauer werden. Europa stünden "politische Erdbeben" bevor, meint der Thinktank "Economist Intelligence Unit" mit Blick auf anstehende Wahlen in Schweden, Dänemark, Finnland, Irland. Und Großbritannien. Und Frankreich. Und Deutschland.

Es wird Zeit für die etablierten Parteien, die Herausforderung als solche zu erkennen - und sie wirklich ernst zu nehmen. Nur dann finden sie vielleicht auch ein Gegenmittel.

© SZ vom 03.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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