Ärger um den Aufbau-Verlag:"Ich habe gewonnen und schlafe schlecht"

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Wie die Treuhand den Berliner Aufbau-Verlag verkaufte, der gar nicht in ihrem Besitz hätte sein dürfen.

Hans Leyendecker

Die Menschheit könnte, der Übersichtlichkeit wegen, in Zahlen- und in Büchermenschen eingeteilt werden. Detlev Karsten Rohwedder kannte sich mit Zahlen und mit Büchern aus und als erster Direktor der Treuhand befand er, dass drei Dinge in der untergehenden DDR unbedingt gerettet werden müssten: das Kombinat Carl Zeiss Jena, die Defa-Filmfabrik und der Berliner Aufbau-Verlag.

Rohwedder wurde am Ostermontag 1991 von feigen Mördern erschossen; der Verlag, den er schätzte, ging nicht unter. Fünf Monate später verkaufte ihn die Treuhand an eine Investorengruppe um den Frankfurter Unternehmer Bernd F. Lunkewitz. Siebzehn Jahre und viele Lizenzvergaben später steht fest, dass die Anstalt über den Verlag gar nicht verfügen durfte und dass einige der Beamten das gewusst haben. "Ich halte die Treuhand für eine in Teilen kriminelle Vereinigung", kommentiert der 60-jährige Lunkewitz den Fall.

Staatsverlag der DDR

Nach langen Rechtsstreitigkeiten befanden die 27. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt sowie der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt und der Zweite Senat des Bundesgerichtshofs (BGH), dass die Treuhand nicht Eigentümerin des ehemaligen "Staatsverlags der DDR" (Thomas Mann) war.

Rohwedders frühere Anstalt hatte stur behauptet, der Ostberliner Kulturbund e.V. habe den Verlag an die SED verkauft und diese habe ihn im Frühjahr 1990 in Volkseigentum übertragen können. Deshalb sei dann die Treuhandanstalt in den Wendetagen Eigentümerin geworden. Es gebe aber "unstreitige Tatsachen", befand der BGH, dass der "Kulturbund bis zum Beitritt der DDR seine Inhaberrechte an der ehemaligen Aufbau-Verlag GmbH nicht verloren hatte".

Eine romanhafte Geschichte mit schweren Helden und übertragenen Bonvivants wie die Figuren aus den Werken von Lion Feuchtwanger, den Lunkewitz so gerne liest. Am kommenden Montag will er auf einer Vertreterversammlung seinen Leuten "die Lage erklären und ihnen sagen, dass sie schwierig und kompliziert" ist. Das ist noch eine Untertreibung. Die Folgen sind "nicht absehbar", stöhnt der Berliner Anwalt Bernd Schrader. Der 56-Jährige vertritt Lunkewitz seit 1992 in dessen Investitionsangelegenheiten.

"Vielleicht müssen wir feststellen, Operation gelungen, Patient tot", meint der Frankfurter Anwalt Hans-Christian Hauck, einer der juristischen Helfer von Lunkewitz. Hauck hat eine Skizze gestrichelt mit Pfeilen, die all die komplizierten Beziehungen erläutern soll und doch nicht alles erklären kann: "Da wird eine Bombe geworfen und niemand weiß, wen sie zerfetzen wird", sagt er.

Tausendfünfhundert Lizenzen, die der Verlag zwischen 1990 und 2008 geschlossen und verkauft hat, sind rechtswidrig vergeben worden, weil der angebliche Eigentümer, die Aufbau Verlagsgruppe GmbH, über die Rechte nicht verfügen durfte. Lizenznehmer wie Filmstudios, Fernsehsender und Buchverlage in Europa, Asien und den USA haben Rechte in Anspruch genommen (und dafür bezahlt), ohne sie wirklich erworben zu haben. Epidemisch sind Urheber- und Markenrechte verletzt worden.

Wie groß ist der Schaden? "Groß", sagt Schrader. Ein zweistelliger Millionenbetrag? "Sicher". "Bei Urheberrechten gibt es keinen gutgläubigen Erwerb", hat Lunkewitz gelernt.

Fataler Vermerk

Wer die vielen Akten dieses Falles nicht studiert hat, verliert leicht den Überblick, wo doch selbst Insider nicht mehr sicher sein können, wer warum welchen fatalen Vermerk unterzeichnet hat. Vollends kompliziert wird der Fall dadurch, dass Lunkewitz 1995 den Verlag ein zweites Mal erworben und vom Kulturbund e.V. für 450.000 Euro gekauft hatte. Der Kauf war aber unwirksam, weil die alte Eigentümerstruktur bis zum Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. März dieses Jahres auf dem Papier Bestand hatte. Die Verkaufssumme ist noch nicht gezahlt.

Der Verleger hat also fast zwei Jahrzehnte in ein Unternehmen investiert, das ihm faktisch nicht gehörte, und plant jetzt, sich die Investitionen - allein in den Aufbau-Verlag hat er über die Jahre 27 Millionen Euro gesteckt - zurückzuholen. Das Geld will er sich von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BVS), quasi der Nachfolgerin der Treuhand, holen.

Aber kann er das, ohne dass der Aufbau-Verlag, der für solche Händel nicht genügend Vermögensmasse hat, in die Insolvenz schlittert? Gibt es den direkten Durchgriff auf den Bund? Hauck ist sich "nicht sicher" und redet viel und lang über die "Insolvenzordnung", die greifen könne. Lunkewitz sagt: "Ich habe gewonnen und schlafe schlecht. Ich empfinde Genugtuung und bin besorgt".

Das erinnert doch an Bert Brecht und den kaukasischen Kreidekreis, mit dem Kind Michael, an dem die Mütter zerren? Lunkewitz: "Das Kind ist der Verlag und der ist mein Lebenswerk, aber ich will auch meinen Schaden ersetzt bekommen."

Es ist eine sehr deutsche Geschichte, voller Pathos und Tschindaradei. Der Aufbau-Verlag war nicht nur der erste, sondern auch der größte Verlag der DDR. Er wurde 1945 von Klaus Gysi, dem späteren Kulturminister und Vater von Gregor Gysi, mitgegründet. Mit sehr gewissenhaften Editionen der deutschen Klassiker und mit Buchtiteln der Emigranten vor allem hat sich der Verlag rasch einen Namen gemacht. Brecht teilte die Rechte zwischen Suhrkamp im Westen und dem Aufbau im Osten. Als Thomas Mann in einem Brief schrieb, "ich habe wiederholt den Aufbau-Verlag wissen lassen, dass ich das Fehlen meiner Bücher in der Ostzone schmerzlich empfinde", ordnete Walter Ulbricht an, dass der Verlag Manns Titel drucken müsse.

Das Urheberrecht interessierte ihn nicht und Mann ärgerte sich über das "unerhörte Verhalten". Später erschien dann mit seiner Einwilligung eine zwölfbändige Werksausgabe.

Der Verlag war über Jahrzehnte das intellektuelle Aushängeschild der DDR im Ostblock, obwohl die Betonköpfe der SED versuchten, beim Programm mitzureden. Eine wechselvolle Geschichte zwischen Tauwetter und Repression.

Das Buchhaus, das nicht so leicht einzuordnen ist, passte also zu dem Mann, der nach der Wende ins Spiel kam: Bernd F. Lunkewitz ist eine ungewöhnliche Erscheinung. Der frühere Student der Politik und Philosophie war mit 21 Jahren Mitglied der KPD-ML ("Abteilung Roter Morgen") in Frankfurt und brachte es mit 29 Jahren zur ersten Million.

Salonmarxist

Mit Gewerbeimmobilien hat der Ex-Maoist, der aus der Sekte ausgeschlossen wurde, viele Millionen gemacht. Er ist Marxist geblieben und Mitglied der SPD geworden, er hat eine Villa in Frankfurt, bewohnt in Berlin 250 Quadratmeter in dem Haus, in dem Heinrich Mann arbeitete, und hat im Bücherregal eine Leninbüste: "Zur Mahnung daran, was Lenin wollte und was daraus wurde."

Die ihm zu nahe kommen, unterliegen der Wirkung der dauernden Hochspannung, in der er lebt und die ihr Bedrohliches wie Bezauberndes hat. Ahnung vom Verlagsgeschäft hatte er nicht, als er den Aufbau-Verlag übernahm, und bald gab es Ärger, der ihm den Blick in eine ganz andere Welt mit Fall- und Tapetentüren öffnete. Der Aufbau hatte, wie andere DDR-Verlage auch, Lizenzen im Westen gekauft, aber weit höhere Auflagen als vereinbart gedruckt. Im Zeitraum zwischen 1986 und 1989 waren von der Beute jeweils eine Million Mark an die SED abgeführt worden. Die westdeutschen Verlage stellten wegen der "Plusauflagen" Nachzahlungsforderungen und Erben meldeten sich auch.

Als sich Lunkewitz erkundigte, ob die Treuhand für die Mehrdruck-Schwindeleien aufkomme, teilte ihm ein Regierungsrat der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung der DDR-Parteivermögen knapp Verblüffendes mit: Die Treuhand sei gar nicht zuständig, denn es habe sich nicht um Volkseigentum gehandelt. Eigentümer des Verlages sei der Kulturbund geblieben, der 1945 von der Sowjetischen Militäradministration zum Zweck antifaschistischer Erneuerung gegründet wurde und mittlerweile ein gemeinnütziger Verein mit 60.000 Mitgliedern ist.

"Ich saß in einem geklauten Auto, das mir nicht gehörte", sagt Lunkewitz. Offiziell erklärte die Treuhand, alles sei in Ordnung. Gleichzeitig wurden in den Behörden Vermerke verfasst, aus denen hervorging, dass es sich um einen "Vermögensgegenstand des Kulturbundes der DDR" handele. Manchmal lagen zwischen interner Einschätzung (Kulturbund) und öffentlicher Erklärung (Treuhand) nur zwei Tage.

In einem Protokoll der beteiligten Behörden aus dem Februar des Jahres 1994 wurde festgehalten: "Es bestand Einigkeit darüber, dass der verkaufte Aufbau-Verlag eine vermögenslose Hülle darstellt, da er nicht Rechtsnachfolger des Aufbau-Verlages der DDR werden konnte".

Damals begann Lunkewitz, der also nur eine Verpackung gekauft hatte, mit dem Prozessieren und er hat gelernt, dass "du nur zum Erfolg kommen kannst, wenn du Geld und Zeit hast". Es "gab Dinge, die ich mir nie hätte vorstellen können". So schlug die Treuhand als Gutachter den Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Bernhard Schlink, vor; jenen Schlink, der das Buch "Der Vorleser" geschrieben hat.

Verrückter Millionär gesucht

Ein enger Mitarbeiter Schlinks teilte der Treuhand in einem umfangreichen Vermerk mit, die Prüfung durch ihn habe "leider nichts Positives" ergeben. "Gesamtergebnis: Der Aufbau-Verlag konnte nicht nach dem Treuhandgesetz umgewandelt und privatisiert werden, da er sich nicht im Volkseigentum befand."

Schlink und sein treuer Helfer fertigten dann doch für 30.000 Mark ein nützliches Gutachten, die Treuhand bedankte sich für die "konstruktive Zusammenarbeit." Lunkewitz zog in Berlin vor Gericht und verlor in Verhandlungen, bei denen die Richter wie geschnitzt wirkten. "Ich habe die Arroganz der Apparate und bösartige Leute kennengelernt."

"Junger Mann, wir haben einen langen Atem", soll ihn ein Treuhand-Mitarbeiter gewarnt haben. "In Berlin werden Sie nicht gewinnen", soll ihm ein Richter zugerufen haben. Sechseinhalb Millionen Euro für Prozesskosten hat Lunkewitz nach eigener Rechnung eingesetzt, bis er nach dem Wechsel an den Gerichtsstandort Frankfurt und dem Weg nach Karlsruhe in diesem Monat vom Bundesgerichtshof recht bekam.

Und was machte der Verlag in diesen turbulenten Zeiten? Vor der Wende hatte er 180 Mitarbeiter (darunter sechzig Lektoren), heute sind es noch 62 Mitarbeiter.

Lunkewitz hatte große Erfolge mit Victor Klemperers Tagebüchern und den Briefen aus Berlin von Alfred Kerr sowie Donna Cross' Bestseller "Die Päpstin". Aber es gab auch Flops, Versuche programmatischer Selbstentleibung etwa mit den "Memoiren" von Stefan Effenberg. Gut verkauft haben sich Werner Bräunigs "Rummelplatz" und die Kriminalromane von Fred Vargas.

Im Vorjahr tuschelte die Branche, der Salonmarxist wolle den Laden verkaufen, aber Lunkewitz bestreitet, dass er sich davonmachen will, obwohl ein Verlag dieser Größe (14,2 Millionen Euro Jahresumsatz) "wenig Wasser unter dem Kiel" habe. Aber ewig wird es nicht so gehen.

Seine junge Frau solle "nicht die schwarze Witwe spielen müssen". Und erstmals ist er Vater geworden. Mit 60 Jahren eine dreijährige Tochter zu haben, das bedeutet wirklich was im Theater des Lebens. Wenn er Aufbau in "etwa zwanzig Jahren" verkaufe, scherzt er, werde er eine Anzeige aufgeben: "Verlag an literarisch interessierten, linken, verrückten Millionär abzugeben" - immerhin gibt es jetzt einen rechtmäßigen Eigentümer.

© SZ vom 28.03.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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