"The Gunman" mit Sean Penn im Kino:Sean, die Galapagos-Schildkröte

The Gunman; Sean Penn

In "The Gunman" versucht sich Sean Penn an der gewagten Kombination aus Action-Trash und missionarischer Gesellschaftskritik. Keine gute Idee? Richtig.

(Foto: Studiocanal)

Was passiert, wenn sich Filmstar Sean Penn mit Mitte fünfzig als Actionheld neu erfinden will? "The Gunman" und die bizarre Faszination eines Totaldesasters.

Von Tobias Kniebe

Es gab Gründe, gespannt zu sein. Vor allem wegen Sean Penn, der ja nicht irgendwer ist. Als Schauspieler hat der Mann zwei Oscars; als Regisseur und Autor hat er vier Filme gemacht, einer davon besser als der andere; und seine politischen Überzeugungen (Anti-Irak, Anti-Bush, Antikolonialismus) erschöpfen sich nicht in provokanten Medienauftritten - nach dem Erdbeben in Haiti hat er 2010 etwa eine eigene Hilfsorganisation gegründet und höchstselbst zeitweise die Leitung eines Zeltcamps für 55 000 Flüchtlinge übernommen.

Wenn einer wie er nun die Hauptrolle in einem Politthriller übernimmt, in dem es unter anderem um die Verbrechen westlicher Bergbaukonzerne im Kongo geht, heißt das was. Und wenn er zusätzlich am Drehbuch mitschreibt und als Produzent im Vorspann genannt wird, heißt das noch mehr. Es gab also tatsächlich Gründe, einiges zu erwarten - nur nicht das absurde, im Grunde völlig aberwitzige Desaster, das der Film "The Gunman" dann tatsächlich geworden ist.

Schon der erste Blick auf Sean Penn, im Einsatz im Kongo, ist hart. Er hat seinen Mittfünfziger-Body bis zum Umfallen trainiert. Jetzt treten die Adern an den Armen fingerdick hervor, was er in ärmellosen Khakiwesten zur Schau stellt, und die Haut dazu wirkt wie gegerbt. Sein Hals erinnert an eine hundertjährige Galapagos-Schildkröte. Abgerundet wird das alles durch den bekannten und erprobten, immer leicht sauertöpfischen Sean-Penn-Blick.

Sein Name ist, kein Witz, Jim Terrier

Söldner in Afrika wurden früher Ledernacken genannt. Und ein Söldner ist er wirklich, im Dienst sehr undurchsichtiger Auftraggeber. Sein Name ist, kein Witz, Jim Terrier. Dass dieses herbe Gesamtpaket irgendwie sexy sein soll, zeigt wiederum Annie (Jasmine Trinca), eine wunderhübsche und idealistische junge Entwicklungshelferin, die das Bett mit ihm teilt und morgens in seinen Hemden sexy im Gegenlicht herumhüpft.

Blöd nur, dass er dann den Auftrag bekommt, mit dem Präzisionsgewehr einen afrikanischen Politiker abzuknallen und danach aus dem Land zu flüchten - während sein öliger Kollege Felix (Javier Bardem) sich die Frau schnappt, die natürlich ohne Erklärung zurückbleibt. Das sind so die Qualen des Söldner-Killer-Philosophen. Danach blickt Sean Penn noch sauertöpfischer als zuvor.

Als nächstes hat er, Jahre später, dem Töten offenbar abgeschworen und die Einsamkeit umarmt. Er wirkt noch ein bisschen ledernackiger und gegerbter, wenn das überhaupt möglich ist. Jetzt tut er Buße und gräbt Brunnen in einem Flüchtlingscamp, wieder im Kongo. In seiner Freizeit surft er im Meer, was einen tollen Blick auf seinen Söldner-Killer-Philosophenkörper erlaubt und den ganzen Qualen im Fitnessstudio einen Sinn gibt.

Anscheinend will ihn jemand zum Schweigen bringen

Dann kommen wildäugige schwarze Soldaten angefahren und schießen auf ihn, aber er tötet sie zuerst. Anscheinend will ihn jemand zum Schweigen bringen. Er weiß zu viel und hat außerdem noch heikle Videoaufzeichnungen.

Nun könnte man, wenn man dem Töten abgeschworen hat und Buße bei den Ärmsten der Armen tun will, mit diesem Material einfach bei Interpol anrufen, alles beichten und anschließend als Mörder ins Gefängnis gehen. Das ist aber nicht der Weg des Söldner-Killer-Philosophen. Der Söldner-Killer-Philosoph fährt jetzt zu seinen alten Killerkollegen in London und Barcelona, darunter natürlich Felix, der immer noch mit der hübschen Annie zusammenlebt, die aber eigentlich immer noch Jim, also den Söldner-Killer-Philosphen, liebt. Diesem wiederum müsste völlig klar sein, dass seine Exkollegen natürlich hinter dem Mordversuch stecken, aber irgendwie ignoriert er das.

Die Folge ist, dass er nun an wirklich jeder Ecke umgebracht werden soll, was aber nicht so einfach ist. Er ist nämlich eine verdammte Tötungsmaschine. Angesichts seiner Oberarme, seiner Lederhaut und seiner herabhängenden Mundwinkel hätte man sich das fast schon denken können. Die gedungenen Attentäter können aber nicht denken, und schießen können sie auch nicht so recht, deshalb sterben sie wie die Fliegen.

Liam Neeson weiß, wie man Trash macht

Spätestens hier lässt sich die Tatsache nicht länger ignorieren, dass der Regisseur dieses Spektakels Pierre Morel heißt. Pierre Morel ist Franzose und kommt aus der Pariser Haudrauf-Actionwerkstatt von Luc Besson. Sein bekanntestes Werk heißt "Taken/96 Hours" (2008) und ging dadurch in die Filmgeschichte ein, dass der damals 56-jährige, bis dahin ernst zu nehmende Schauspieler Liam Neeson darin eine verdammte Tötungsmaschine wurde, um seiner Tochter ein Schicksal als Sexsklavin zu ersparen.

Nun möchte man jedem Filmkünstler das Recht zugestehen, sich von Luc Besson und seiner Hilfe-meine-Tochter-wird-Sexsklavin!-Dramaturgie zu lösen, sich mit dem großen Sean Penn an ein Drehbuch zu setzen und eine Tragödie wie den Kongo zum Keim eines Filmstoffs zu machen, der höhere Ambitionen in sich trägt. Es lief nur offenbar genau andersherum.

Nehmen wir mal an, wenn auch ohne gesichertes Wissen, dass Pierre Morel mit diesem Filmstoff an Sean Penn herantrat, als dieser gerade in seiner Khakiweste wohlgefällig über sein eigenes Flüchtlingscamp in Haiti blickte. Und Sean Penn dachte sich, verdammt, ich bin ja auch noch Filmstar, ich bin jetzt über fünfzig, und wo sollen eigentlich die Millionen in den nächsten Jahren herkommen? Und da fielen ihm dann "Taken" und Liam Neeson ein.

Film für Film, immer als verdammte Tötungsmaschine

Liam Neeson ist inzwischen über sechzig, aber er verdient Millionen und Abermillionen damit, verdammte Tötungsmaschinen zu spielen. "Taken" war nämlich sensationell erfolgreich, auch und vor allem in den USA, und hat Neeson in eine ganz eigene Liga katapultiert. In dieser Liga dreht er jetzt Film für Film, immer als verdammte Tötungsmaschine. Und Sean Penn dachte sich wahrscheinlich: Ich hab zwei Oscars mehr als dieser Neeson, aber diese Millionen will ich auch.

Und dann diktierte er seine Bedingungen: Ich muss ein Söldner-Killer-Philosoph sein. Es muss etwas mit Entwicklungshilfe im Drehbuch vorkommen, und ein Flüchtlingscamp, in dem ich wenigstens zeitweise arbeite. Ich möchte Jim Terrier heißen. Außerdem sollte die kriminelle Rolle internationaler Bergbaukonzerne im Kongo beleuchtet werden, das schreibe ich notfalls selbst ins Drehbuch rein. Ansonsten würde ich gern mit freien Oberarmen spielen und mindestens einmal surfen.

Pierre Morel wiegte bei diesen Worten wahrscheinlich den Kopf und dachte innerlich: Tochter! Sexsklavin! Und sagte dann aber, weil er eben den großen gefeierten Sean Penn vor sich hatte: Na gut.

Die Chips sind weg, und die Reputation ist es auch

Und so kam das absurde, völlig aberwitzige Desaster, das der Film "The Gunman" ist, in die Welt. Und Sean Penn nahm die Sache dann superernst, wie alles, was er tut, und arbeitete wirklich am Drehbuch mit und trainierte wie ein Irrer im Fitnessstudio und gerbte seine Haut und übte vor dem Spiegel, noch sauertöpfischer zu schauen als bei Terrence Malick.

All das würde Liam Neeson wiederum nicht im Traum einfallen. Liam Neeson ist ein cooler Hund und weiß einfach, wie man Trash macht. Sean Penn weiß das noch nicht. Es wirkt aber so, als habe er seine ganze Reputation in einen Haufen Chips umgewandelt und im großen Hollywood-Kasino auf "The Gunman" gesetzt, der dann Ende März in den USA anlief - und komplett floppte. Jetzt sind die Chips weg, und die Reputation ist es auch.

Nach 115 Minuten epischem Blutbad endet der Film übrigens damit, dass der Söldner-Killer-Philosoph zu Interpol geht und dort die heiklen Videoaufzeichnungen abgibt, die er die ganze Zeit in der Tasche hatte. Dann tritt er eine langjährige Gefängnisstrafe an. Im letzten Bild ist er frei, fährt er wieder zu den Ärmsten der Armen nach Afrika, um weiter Brunnen zu graben, und Annie ist schon da und versorgt kleine schwarze Kinder in ihrem weißen Arztkittel und strahlt. Wundersamerweise ist keiner von beiden auch nur einen Tag gealtert.

The Gunman, ES, GB, F 2015 - Regie: Pierre Morel. Buch: Pete Travis, Don McPerson, Sean Penn. Kamera: Falvio Labiano. Mit Sean Penn, Javier Bardem, Jasmine Trinca, Verleih: Studiocanal, 115 Minuten.

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