AC/DC Deutschland-Tour:Riff, Schluss

Lesezeit: 4 min

Dä Dä Dä, "Black", Dä Dä Dä, "Hell": Der Sänger Brian Johnson (r), und der Gitarrist Angus Young in Nürnberg. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Brachiale Reduktion als künstlerisches Konzept - wie lange kann das gut gehen? "AC/DC" starten ihre Deutschland-Tournee in Nürnberg.

Von Jakob Biazza

Und dann ist da tatsächlich ein Moment der Irritation. Ein winziger Bruch nur in der Choreografie zwischen Band und Fans - aber darin doch beachtlich: der falsche Name. Da schnalzt das Gitarren-Riff von "Whole Lotta Rosie" über das Nürnberger Zeppelinfeld, eigentlich ein unfehlbarer Trigger. Sekundenbruchteile braucht das sonst nur, und Zehntausende brüllen den Vornamen des Lead-Gitarristen: "AN - GUS!" Es ist ein über Dekaden gewachsenes Spiel, eine der größten Traditionen zwischen dieser großen Rockband und ihren Fans. Irritation ist da nicht vorgesehen.

Aber an diesem Abend, dem Auftakt der AC/DC-Deutschland-Tour, ist etwas anders. Einer fehlt. Malcolm, der zweite der Young-Brüder, der für den Studiosound der Band wahrscheinlich sogar wichtigere Gitarrist, ist nicht mehr da. Demenz. Mit 62 Jahren. Er sitzt in einem Heim in Sydney. Am aktuellen Album "Rock Or Bust" konnte er schon nicht mehr mitarbeiten. Die Hardcore-Fans haben in den sozialen Netzwerken deshalb dazu aufgerufen, diesmal "MAL - COLM!" zu brüllen, wenn der Song beginnt. Und kurz nur, aber doch deutlich, sind da tatsächlich beide Namen zu hören. Dann setzen sich die "Angus"-Chöre durch. Die Tradition siegt.

Dass der Ablauf sich derart verstolpert, ist dennoch eine kleine Sensation. Ein AC/DC-Konzert ist schließlich nichts weniger als ein Ablauf, an dem Band und Fans inzwischen zu fast gleichen Teilen beteiligt sind. Die Shows der Australier gleichen einander seit Jahren ja derart minutiös, dass Rezensionen fast an Makulatur grenzen. Und man kann genau das als die größte pophistorische Errungenschaft der Band verbuchen: stumpfe Wiederholung, brachiale Redundanz als künstlerisches Konzept. Die Formation ist auch deshalb so irrwitzig groß geworden, weil sie der Welt live und im Studio etwas bietet, das es eigentlich nicht mehr gibt: Konstanz. Staaten mögen zusammenbrechen, Wirtschaftssysteme zerfallen (tatsächlich gibt es Theorien über die Korrelation von AC/DC-Erfolgsjahren und ökonomischen Krisen), die Digitalisierung mag die Welt revolutionieren und alles umwürfeln - solange der Familienbetrieb Young&Young auf zwei Gitarren und mit drei Grundakkorden eines dieser archaischen "Dä Dä Dä"-Riffs rausdonnert, ist doch alles gut. Alles zu ertragen. Ein Konzert der Band ist damit immer auch ein Versprechen. Man weiß sehr detailliert, was man bekommt.

1980 ersetzte Sänger Brian Johnson das verstorbene Gründungsmitglied Bon Scott. Seit 35 Jahren ist er damit immerhin der Frontmann. Und die Fans nennen ihn immer noch "den Neuen".

Und nun ist also noch ein Gründungsmitglied, ach was: der Erfinder des ganzen AC/DC-Sounds, nicht mehr da. Und da, wo Malcolm sonst auf der Bühne stand, vom Publikum aus gesehen links, nahe beim Schlagzeug, wo man mit dem Hintergrund verschmilzt und keine Show machen muss, sondern einfach nur den Motor am Schnurren halten kann, da steht jetzt sein Neffe Stevie Young.

Und der vielleicht finale Irrwitz dieser Band ist es wohl, dass das tatsächlich fast egal ist. Nicht nur musikalisch. Nichts an dieser Musik ist ja wirklich schwer zu spielen. Der AC/DC-Rock ist schließlich eine Art Idealtypus von Rock an sich. Die Essenz. Die Songs sind und bleiben die Verdichtung eines ganzen Genres auf seine einfachsten Bestandteile. Die Reduktion und, ja, schon auch Verkürzung, auf Brachial-Schlagworte: Riff, Pause. Gesanglinie, Pause. Dä dä dä, "Rock or bust". Dä Dä Dä, "For those about to rock". Dä Dä Dä, "Black", Dä Dä Dä, "Hell". Darunter ein durchgeachtelter Bass und genau zwei verschiedene Beats: einer im Vierviertel-, einer im Sechsachteltakt. Wäre diese Musik Politik, sie würde immer knapp am Populismus entlangschrammen.

Das ist so weit vor allem Handwerk - mit einem Schuss Genialität. Konstanz ist ja nichts, das einfach so da ist. Es braucht manische Disziplin, um die Reduktion auch auf der Bühne aufrechtzuerhalten. Besonders angesichts der inzwischen noch auf hundert Meter spürbaren körperlichen Belastung, die die Inszenierung von Exzess für die Band bedeutet. Stumpfe Wiederholung als künstlerisches Prinzip, zumal ja ohne Computer, das ist härtestes, große Kontrolle abverlangendes Tagwerk. Nicht mehr. Aber, Himmel!, auch nicht einen Fingerbreit weniger.

Wäre diese Musik Politik, würde sie knapp am Populismus entlangschrammen

Dass Malcolm Young nun aber auch auf der emotionalen Ebene kaum fehlt, ja, dass die Band es nicht einmal für nötig befindet, ihn auch nur mit einer Silbe zu erwähnen, das ist trotzdem ein besonderer Treppenwitz der Pop-Geschichte: Ausgerechnet diese garantiert metaebenenfreie Band ist tatsächlich zur fast metaphysischen Idee geworden. Zu etwas, das noch größer ist als seine Bestandteile. Zu etwas damit auch, das die Akteure auf der Bühne beinahe zu Aufführungspersonal degradiert.

Und bei dem wird es nun noch mal spannend. Denn auch alle Disziplin kann nicht ganz wegwischen, dass das Personal porös wird. Es ist schon eine kleine Schrecksekunde, als die Gesichter speziell von Angus Young und Brian Johnson (die man der Bedeutung für die Show wegen wohl noch nicht austauschen könnte) auf den Videoleinwänden in HD ausgeleuchtet sind. Nicht, weil sie so alt aussehen, wie sie eben sind. Es ist zehrende, ausmergelnde Kraftanstrengung, die da inzwischen aus verquollenen Augen herausblickt. Kantige Bewegungen. Vor allem Young rennt noch immer riesige Strecken. Aber es wirkt manchmal, als führten die ihn durch tiefen Schlamm. Jedes Bending an der Gitarre, jedes hervorgepresste Gekreisch des Sängers scheint dann noch mehr wie Raubbau am Körper.

Das funktioniert alles noch. Es fehlt nicht am Willen, und wir reden hier von alter, grober Mechanik - Otto-Motor, Dampfmaschine. So etwas. Das schmiert sich nach den ersten Songs und läuft dann immer runder, was tatsächlich noch eher beeindruckt als Mitleid erregt.

Trotzdem wirkt die Inszenierung über den gesamten Abend um mehr als nur Nuancen abgespeckt: Kein Song läuft länger als unbedingt nötig. Extra-Runden und Teile vom früheren Show-Firlefanz sind gestrichen. Riff, Pause. Riff, Gesang. Riff, Gitarrensolo. Riff, Schluss. Vielleicht ist das jetzt die wirklich finale Reduktion.

Vielleicht ist es aber auch der Anfang einer Zeit, in der das Versprechen AC/DC nicht mehr ganz gehalten werden kann. Man wird in der Band-Geschichte jedenfalls weit zurückgehen müssen, um ein Konzert zu finden, bei dem das Publikum derart zurückhaltend war. Dä dä dä, alles gut. Dä Dä Dä, nur wie lange noch?

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: