Abseitiges auf der Frankfurter Buchmesse:Charlotte Roche, Sexszenen-Profi

Charlotte Roche auf Frankfurter Buchmesse

"Was bitte soll das da oben bedeuten?", fragen die Augen von Autorin Charlotte Roche, die auf der Messe ihr Buch "Mädchen für alles" vorstellte.

(Foto: Regina Schmeken)

Abseits der Hochliteratur bietet die Buchmesse Platz für Selbstdarsteller und Peinlichkeiten. Auch lästernde Kritiker kommen zu Wort - auf den berüchtigten Partys.

Von Christian Mayer

Auf der Frankfurter Buchmesse gibt es sehr unterschiedliche Autoren, laute und leise, schöngeistige und schrille, vornehme und verrückte, aber nur eine hat das Format von Charlotte Roche, die all das sein kann, wenn sie will. Jetzt sitzt sie gerade auf dem Blauen Sofa, wo alle mal landen, die nach oben wollen. Sie soll von ihrem neuen Buch "Mädchen für alles" erzählen, der Geschichte einer Mutter und Ehefrau, die eine Affäre mit ihrer Babysitterin beginnt und gegen die seltsamen Rituale ihrer ramponierten Ehe revoltiert. Kann man so eine Geschichte in zwölf Minuten nacherzählen, vor 300 Fans, die ihre Roche-Bände fürs Signieren auf dem Schoß liegen haben?

Gar kein Problem für eine Rampensau wie Roche, die Bekenntnisse sprudeln geradezu aus ihr heraus: "Für mich gehört Sex genauso wie Essen zum Leben dazu - deshalb schäme ich mich auch nie beim Schreiben." Sexszenen, das sei nun mal ihre Kernkompetenz, sagt sie, und dann ruft sie noch in den Saal: "Liebe Autoren, wenn ihr keine Sexszenen schreiben könnt, kommt zu mir!" Allgemeines Gejohle. Weil Roche genauso offen über ihre Wutattacken sprechen kann, die sie zum Schreiben animieren, zählt ihre Buchvorstellung zu den Höhepunkten dieses Tages.

Im Nachbarsaal hat inzwischen Helge Schneider einen Auftritt, auch er zählt zu den Entertainern, die auch ungemütliche Messehallen rocken können. "Orang Utan Klaus" heißt der Band mit seinen dahingeplauderten Alltagsfantasien, das Buch stellt den Versuch dar, die hohe Improvisationskunst von Helge Schneider in eine feste Form zu gießen.

In Thrombose-Strümpfen nach Amerika

Und wie geht es dem Künstler, der gerade seinen 60. Geburtstag gefeiert hat? Der Buchmessen-Smalltalk braucht auch solche Fragen, die Helge Schneider mit eindeutigen Nicht-Antworten kontert: "Ich finde mein Leben gut. War zwar noch nie in Amerika, aber vielleicht komme ich da mal hin - in Thrombosestrümpfen."

Der Radiomoderator auf der Bühne nickt ernsthaft, das Publikum ist hingerissen von dem freundlichen Herrn mit dem gut sitzenden grauen Anzug. Großer Applaus, als Helge Schneider verspricht, nach einer kurzen beruflichen Auszeit keineswegs an die Rente zu denken: "Die Leute brauchen mich ja auch, das ist für sie eine schöne Zerstreuung."

Man kann die Sache auch anders sehen: Die Autoren brauchen die Leute, die Leser; sie sehnen sich nach ungeteilter Aufmerksamkeit und maximaler Zuneigung. Wenn man mal ein, zwei Tage die Podiumsgespräche mit den bekannteren Autoren verfolgt, stellt man fest: Es gibt sehr, sehr viele Bücher, und offenbar sind auch noch alle sehr, sehr gut, die meisten sogar mindestens so gut wie die Klappentext-Prosa.

Wo kann man die Wahrheit über das Frankfurter Treiben erfahren?

Gerüchten zufolge ging es irgendwie um Sex

Bei den Partys und Verlagsfesten, dem Bacchanal der Büchermenschen. Das Rowohlt-Fest in der Schirn ist populärstes Klatsch-Karussell - schneller als bei Twitter verbreiten sich hier Nachrichten aller Art. Etwa die Berichte von Teilnehmerinnen des Kritikerempfangs bei Suhrkamp, auf dem der Philosoph Peter Sloterdijk einen diskussionswürdigen Vortrag gehalten hat. Den Gerüchten zufolge ging es da irgendwie um Sex in der Gegenwart und Sex in der Steinzeit, natürlich auf sehr hohem philosophischen Niveau, aber vielleicht hätte Sloterdijk die Szenen doch besser von Charlotte Roche schreiben lassen sollen. "Immer diese Männer, die über viel jüngere Frauen fantasieren - dieses Mal ist sie gleich zwanzigtausend Jahre jünger", lästert eine Kritikerin.

Etwas weniger eng und heiß ist es beim großen Random-House-Empfang im Bockenheimer Depot, der insofern außergewöhnlich für die Buchmesse ist, weil man hier mehr zu essen bekommt als belegte Brote: Bei den Bertelsmännern kann man in der Thai-Food-Schlange den schöngeistigen Florian Langenscheidt treffen, der dieses Mal mit einem "Handbuch zum Glück" und ganz vielen lebenswichtigen Fragen unterwegs ist.

Am heftigsten ist der Andrang dieses Mal aber beim Fest der Fischer-Verlage im Literaturhaus am Main, bei dem man sich fast so nahe kommt wie im Wiesn-Zelt, wobei die Frankfurter Brezeln nicht Oktoberfest-Niveau erreichen. Bei Fischer sind dieses Jahr wirklich alle, deshalb dauert allein die Abgabe der Mäntel eine knappe Stunde.

Der nächste Morgen ist härter als jede Verlags-Stulle

Der nächste Morgen bei der Buchmesse ist härter als jede Verlagsstulle. Die Jugendbuch-Autorin Kerstin Gier stellt ihr neuestes Buch "Silber" vor, und die Zuschauer sind jung, begeisterungsfähig und unverdorben, fast so wie die Figuren in ihren Büchern. Auch Gier, die zu den leisen Autoren zählt, aber einen Bestseller nach dem anderen schreibt, beherrscht das Wechselspiel mit ihrem Publikum. Mit ihrer Schüchternheit kann sie sofort punkten: "Eigentlich mag ich die Buchmesse gar nicht. Einmal bin ich sogar mal mit dem Rock in der Strumpfhose durch die Hallen gelaufen."

So ein Messeunfall würde Charlotte Roche eher nicht passieren. Bei der sitzt einfach alles, wenn sie mal auf Tour ist.

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