Abschluss in Venedig:Niemand bewegt auf einer Fläche nichts

Die Filmfestspiele in Venedig machen eine Krise des Kinos offensichtlich: Überall erkennt man die Angst davor, womöglich nicht gefallen zu können.

SUSAN VAHABZADEH

Es gibt ja gute Gründe dafür, dass weite Teile der Menschheit jedes Jahr in eine Herbstdepression verfallen: Es wird nicht einfach nur kühl, das Sommerende erinnert vor allem schmerzlich daran, dass schon wieder ein Jahr so gut wie vorüber ist und, bestenfalls, alles wie immer war. Meistens war es schlechter, oder es kommt einem zumindest so vor. Im Kino ist auch Herbstdepression, denn wenn die Festivals in Venedig und Toronto vorüber sind, dann ist nicht mehr viel zu erwarten von der Jahresproduktion. Venedig war, aus deutscher Sicht, ausgesprochen erfolgreich - eine Coppa Volpi für Katja Riemann, und der Controcorrente-Regiepreis ging an Michael Schorr für sein Leinwanddebüt "Schultze gets the Blues". Venedig muss eben spiegeln, was da ist an Filmen, hat Mostra-Chef Moritz de Hadeln gesagt, und das haben die beiden Wettbewerbe sicher getan. Aber es spiegelt sich darin eben ein Gefühl von Herbst. Schorr hat sozusagen den Film zur Krise gemacht - es ist ein sehr herbstlicher Blues, von dem er in seiner tragikomischen Story aus der deutschen Provinz erzählt. Ein leidenschaftliches Plädoyer für das Leben vor dem Tod, sozusagen - das einen voller Wehmut und mit einem leichten Frösteln zurücklässt.

Abschluss in Venedig: Stunde der Sieger: weil wir nicht immer nur Katja Riemann oder Salma Hayek abbilden können (da wir sie schon so oft abgebildet haben) zeigen wir diesmal die US-Schauspielerin Naomi Watts, die in dem Film "21 Grams" mitgespielt hat und in Venedig immerhin die "Wella Women"-Trophäe gewinnen konnte.

Stunde der Sieger: weil wir nicht immer nur Katja Riemann oder Salma Hayek abbilden können (da wir sie schon so oft abgebildet haben) zeigen wir diesmal die US-Schauspielerin Naomi Watts, die in dem Film "21 Grams" mitgespielt hat und in Venedig immerhin die "Wella Women"-Trophäe gewinnen konnte.

(Foto: Foto: dpa)

Nun hat sich Venedig, das sieht man am Fall Schorr, mit den besten Absichten selbst ein Wettbewerbsproblem geschaffen: Die zweite Reihe der Filme, fürs junge Kino gedacht, geht zwangsläufig unter in der Flut. Es ist irgendwie nicht zu erklären, warum Filme wie Schorrs "Schultze" und Sofia Coppolas "Lost in Translation", die unbedingt zu den Highlights gehörten, nicht um den Goldenen Löwen mitkonkurrierten. De Hadeln gibt sich viel Mühe, immer wieder herauszustellen, dass Venezia 60 und Controcorrente zwei gleichberechtigte Wettbewerbe seien - das ist aber in der Wahrnehmung von außen gar nicht durchsetzen. Zum einen wird es lange dauern, bis die Reihe Controcorrente, die es erst seit ein paar Jahren gibt, zu einem festen Begriff wird. Man merkt es schon daran, dass sich nicht mal die englischsprachigen Branchenblätter auf eine Übersetzung einigen können - soll das Ding nun "Upstream" oder "Undercurrents" heißen? Zum anderen stellt das Festival mit den zwei Wettbewerben uns vor ein unlösbares Problem: Zwanzig Filme liefen unter dem Banner von Venezia 60 in zehn Tagen, die Knaller außer Konkurrenz nicht mitgerechnet: Woody Allen, Bernardo Bertolucci, die Coens - das will ja dann auch jeder gesehen haben. Schon ist Schluss mit der Gleichberechtigung.

Und überhaupt, Controcorrente: Soll nur dort gegen den Strom geschwommen werden, nicht aber im Wettstreit der Starregisseure? Mit Andrey Zvyagintsevs "Die Rückkehr" hat jedenfalls ein eher altmodisches, symbolträchtiges Familiendrama den Löwen gewonnen. Sean Penn hat den Darstellerpreis, die Coppa Volpi, bekommen für Alejandro González Iñárritus "21 Grams" - wahrhaft nicht seine größte Leistung, da war er in Eastwoods "Mystic River", der in Cannes lief, besser besetzt und besser in Form. Katja Riemann hat sich innerhalb der "Rosenstraße" gut geschlagen. (Siehe Seite 4.)

Das war also das Filmjahr - und irgendwas muss faul sein am Kino von heute, weil es nämlich nicht die geringsten Anzeichen dafür gibt, dass im Verborgenen noch eine filmische Subkultur wuchert, die nur noch keiner entdeckt hat. Der Skandal ist, dass es kein Skandal ist, wenn mit "Die Rückkehr" ein Film gewonnen hat, der kaum dazu taugen wird, eine Generation von Filmemachern zu inspirieren. Unter den 19 Mitbewerbern war kein Film, der unbedingt einen Löwen verdient hätte, kein Filmemacher, der mit die Möglichkeiten des Kinos ausgelotet hätte. Alles verkäuflich, aber nichts, was man unbedingt haben muss.

Ein paar Filme waren richtig großartig - Michael Winterbottoms traurige Zukunftsvision "Code 46" und Takeshi Kitanos Westernhommage "Zatoichi" beispielsweise. Aber Winterbottom hat in diesem Jahr schon bei der Berlinale gewonnen, und Kitano hat ein tolles Stück Kino inszeniert - aber keinen Film, der Spuren hinterlässt im Gemüt. Bruno Dumont war mit "Twentynine Palms" wenigstens richtig verstörend. Marco Bellocchio mag finden, sein "Buongiorno, Notte" hätte gewinnen sollen - es deutet sich an, dass er ein wenig beleidigt ist - aber auch das war kein kontroverser Film. Bewegend wirkt er vor allem für jene, deren Erinnerungen sich reiben können an diesem Psychodrama über die Entführer Aldo Moros. Dass dies eine traurige Geschichte schrecklicher Irrtümer ist, darüber besteht aber heute eigentlich Konsens. Die Tür zur Gegenwart, zum Terrorismus an sich, hat Bellocchio nicht aufgemacht mit seinem Film.

Dies wäre auch schwierig, er hätte sich auf sehr dünnem Eis bewegt - aber vielleicht ist es genau das, was man sich auf den großen Festivals erhofft. Selbst wenn der Wagemut auf einen totalen Irrweg führt, ist das immer noch besser als ein Film, der einen mit einem Achselzucken zurücklässt. Es ist immer leicht zu behaupten, dass früher alles besser war, aber wennn man tatsächlich mal in die Sechziger schaut: In einem Zeitraum von sechs Jahren haben da Resnais mit "Letztes Jahr in Marienbad", Buñuel mit "Belle de jour", Antonioni mit "Rote Wüste" und - das war kontrovers! - Pontecorvos "Die Schlacht um Algier" den Goldenen Löwen gewonnen. Eine solche Dichte an wegweisenden Filmen wird keine Biennale-Jury heute mehr finden.

Es ist vieles richtig gewesen an der Zusammensetzung in Venedig. Es ist mehr politisches Kino dort gelaufen als in Cannes. Wunderbar - wenn sich die großen Festivals auf eine gemeinsame Vorstellung von Kino einigten, garniert mit ein bisschen Glamour und ein wenig intellektueller Spielerei, könnte man Berlin, Cannes und Venedig bald kaum noch unterscheiden. Eine Gleichförmigkeit der Festivals wäre so ziemlich das letzte, was man sich wünschen sollte. Das gleiche gilt fürs Kino an sich: Immer noch lieber schmerzhaft und anstrengend als gar kein Profil. Venedig hat das gespiegelt, was man auch ansonsten im Kino zu sehen bekommt: Filme der Angst, nicht zu gefallen. Und am Ende wird es vielleicht das sein, was keinem mehr gefällt.

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