Abschluss in Cannes:Die Arroganz ist berechtigt

Dass Cannes-Präsident Gilles Jacob sein Festival als das wichtigste der Welt bezeichnet, ist schon klar. Hinterher muss man aber sagen: Der Mann hat recht. Und nun ist auch klar, warum so vehement auf Lars von Triers "Ich bin ein Nazi"-Auftritt reagiert wurde.

Susan Vahabzadeh

Wie muss man sich eine Diskussionsrunde vorstellen, der Robert De Niro vorsitzt - sagt er etwas? Schweigt er alle an? De Niro hat sich den 64. Wettbewerb in Cannes als Jury-Präsident angesehen, und es gab reichlich Gesprächsstoff für Jurysitzungen. Aber De Niro redet nicht viel - das hat er auch bei der Preisverleihung nicht getan, drei Sätze sprach er auf Französisch, verwechselte seine Mitjuroren, die "compagnons", mit Champignons und brach dann lachend ab.

Abschluss in Cannes: Schöne Arroganz: US-Schauspieler Sean Penn und seine irische Kollegin Eve Hewson, mit ihrem Film "This Must Be The Place", auf dem wichtigsten Film-Festival der Welt.

Schöne Arroganz: US-Schauspieler Sean Penn und seine irische Kollegin Eve Hewson, mit ihrem Film "This Must Be The Place", auf dem wichtigsten Film-Festival der Welt. 

(Foto: AFP)

Der 64. Wettbewerb von Cannes, der am Sonntag zu Ende ging, war ein Spektakel der Regie-Stars - und hinterher hat man sich gefragt, ob es nicht an der Zeit ist, die Meisterregisseure neu zu sortieren: Almodóvar, die Brüder Dardenne, Terrence Malick, Nanni Moretti, Aki Kaurismäki und, ja, Lars von Tier, mit seinem besten Film seit Jahren, für den Kirsten Dunst, als coole Depressive im Angesicht der Apokalypse, den Darstellerpreis bekam.

Es waren sogar noch große Namen für die Nebenreihe "Un certain regard" übrig, in der sich Andreas Dresens Krebsdrama "Halt auf freier Strecke" mit "Arirang" von Kim Ki-Duk den Hauptpreis teilt. Und eigentlich haben alle bewiesen, dass sie sich ihren Ruhm mit ihrem Können erarbeitet haben. Als der Cannes-Präsident Gilles Jacob vorab sein Festival als das wichtigste der Welt bezeichnet hat, klang das noch ein wenig arrogant. Hinterher muss man sagen: Die Arroganz kann er sich leisten.

Gewonnen hat schließlich Terrence Malick, der der Verleihung fern blieb, mit "Tree of Life" - eine Kindheitserinnerung an einen strengen Vater, in permanenter Bewegung, schnell geschnitten - wie Fragmente der Erinnerung.

Den Grand Prix teilen sich die Dardenne-Brüder, die schon zwei Palmen haben, für die Geschichte eines Heimkinds, "Le gamin au vélo", mit einem anderen Veteranen, dem türkischen Regisseur Nuri Bilge Ceylan, für "Once Upon A Time In Anatolia" - ein langsamer, schwer zugänglicher Film, an dem man aber gut erkennen kann, wie genau er umsetzt, was er erzählen will. Ein Anti-Krimi, in dem wahrlich der Weg das Ziel ist, ein Arzt und ein Polizist begleiten eine Gruppe von Provinzpolizisten auf der Suche nach einem vergrabenen Leichnam. Eine nächtliche Reise mit einem Mörder, die Männer führen scheinbar nebensächliche Unterhaltungen, während die Kamera in ihren Gesichtern aus der Nähe nach Regung forscht; nur einmal kommt es wirklich zu einem Ausbruch von Emotionen, da rückt Ceylan weit weg in eine Totale.

Auch "Once Upon A Time In Anatolia" hinterlässt einen bleibenden Eindruck, seiner Sperrigkeit zum Trotz. Und solche Momente gab es eben einige in diesem Jahr - Sean Penns Auftritt als stark geschminkter Rockstar, der sehr spät seine Pubertät überwindet in "This Must be the Place" ist viel leichter verdaulich als Ceylans versteinerter Männertrupp, der Schwarzweiß-Stummfilm "The Artist", eine Hommage ans frühe Hollywood - Jean Dujardin bekam für die Rolle als ausgemusterter Stummfilmstar den Darstellerpreis - ist richtig vergnüglich. Aber mutig und eindrucksvoll und etwas Besonderes ist er allemal.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wem die Aufmerksamkeit eigentlich gelten sollte.

Emotionaler Vollwaschgang

Dass sich das Programm in Cannes auf so hohem Niveau abspielt, macht den "Regard"-Preis für Dresen umso ehrenvoller, aus Ermangelung von Konkurrenz hat er ihn nicht gewonnen. Den Preis hat die Jury unter Vorsitz von Emir Kusturica ex aequo vergeben an Dresen und den Koreaner Kim Ki-Duk (Silberner Bär in Berlin 2004 für "Samaria").

In "Arirang" filmt Kim Ki-Duk seine eigene Arbeitsunfähigkeit. Vor drei Jahren hat er sich auf eine entlegene Hütte zurückgezogen mit einer Depression, nach einem Unfall bei Dreharbeiten, bei dem eine Schauspielerin fast ums Leben gekommen wäre - es ist ihr nichts passiert, Unfälle gibt es überall, aber wie gut müsste ein Film sein, fragt Kim Ki-Duk in die kleine Kamera, der das wert ist?

Man kann sich natürlich immer fragen, wie viel Wert es für sich genommen hat, eine Tour de Force zu absolvieren wie Sean Penn in "This Must be the Place", oder ob man wirklich den emotionalen Vollwaschgang durchmachen will, dem ein Film wie "Tree of Life" seine Zuschauer aussetzt. Aber solche Fragen relativieren sich schnell wieder, wenn man sie den drei iranischen Filmemachern stellt, die in Cannes ihre Arbeiten präsentiert haben.

Jafar Panahi und Mohammed Rasoulof sind festgenommen worden, nachdem sie angeblich versucht hatten, einen Film über die Wahlunruhen in Iran 2009 zu machen, im Dezember wurden sie beide zu jeweils sechs Jahren Haft und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt, gegen das Urteil haben sie Berufung eingelegt, der Hausarrest ist aufgehoben, doch die Behörden lassen sie schmoren. Die Antwort der beiden darauf sind zwei Filme, "Au revoir" von Mohammed Rasoulof und "Dies ist kein Film", für den Mojtaba Mirtahmasb den unter Hausarrest stehenden Jafar Panahi gefilmt hat - dem nicht ausdrücklich verboten wurde, zu schauspielern oder Drehbücher vorzulesen, die er vor dem Berufsverbot geschrieben hat.

Rasoulof hatte für "Au revoir" eine Genehmigung, man muss sich aber fragen, ob er sie tatsächlich für genau den Film hatte, den er gemacht hat. Es geht um eine Anwältin, die Berufsverbot bekommen hat, ihr Mann, Journalist bei einer verbotenen Zeitung, versteckt sich auf dem Land. Sie will das Land verlassen - und gibt einem Fluchthelfer fast alles, was sie hat, er hat die Teilnahme an einer Konferenz im Ausland für sie arrangiert, aber dort bleiben könnten sie und ihr Mann nur, sagt man ihr, wenn sie schwanger ist. Ihr Mann will nicht; sie ist zwar schwanger, aber bei der Fruchtwasseruntersuchung wurde ein Downsyndrom beim Kind festgestellt. Nun ist sie ratlos - soll sie abtreiben, soll sie gehen, soll sie dableiben? "Wenn man sich fremd im eigenen Land fühlt", lässt sie einmal ihrem Mann ausrichten, "dann kann man sich besser im Ausland fremd fühlen."

Rasoulof war am Anfang der Woche eine Ausreisegenehmigung in Aussicht gestellt und dann doch nicht erteilt worden, erzählte Mojtaba Mirtahmasb, der mit Panahi "Dies ist kein Film" gemacht hat, auf der Pressekonferenz, als einziger durfte er nach Cannes kommen. Sein Film, erfuhr man dort, hatte keineswegs eine reguläre Reisegenehmigung, er kam im Inneren eines Kuchens nach Frankreich. Wir sind keine politischen Kämpfer, sagte Mirtahmasb, bloß Filmemacher. Er äußerte sich vorsichtig, schließlich stehen die Werke für sich - aber es ist schon klar, dass alle drei sich für einen schwierigen Weg entschieden haben und nicht weichen wollen. Panahi wolle, übermittelte Mirtahmasb, dass von seinem Film geredet wird. Aber es ist schwer einzuschätzen, wer genau über das Schicksal von Panahi entscheiden wird, und ob man die drei nicht vor ihrer eigenen Courage schützen müsste.

In solchen Momenten ist klar, warum die Cannes-Direktion so vehement reagiert hat auf von Triers "Ich bin ein Nazi"-Auftritt: Er soll nicht mit einer Zirkusnummer die Aufmerksamkeit absorbieren, die Leuten zugedacht war, die Kopf und Kragen riskiert haben. Panahi war bei seiner Pressekonferenz dann doch dabei - er hatte sich via Skype zugeschaltet. Aber gesagt hat er kein Wort.

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