Abriss: Palast der Republik:Schwierig zu lieben

Nackt durchs Parlamentsgebäude: Einst Symbol für das DDR-Selbstbewusstsein, ist der Berliner Palast der Republik spurlos verschwunden.

M. Holfelder

Bernd Wolfgang kannte das Haus wie kein anderer. Noch nach der Asbestsanierung des wieder zum Rohbau skelettierten Palastes konnte er an jeder Stelle genau sagen, was wo gelegen hatte: Garderobe, Milchbar, Post, Zeitschriftenstand sowie die beiden Abhörräume der Stasi, in zwei Gleitkernen unterhalb der Aufzugschächte. Selbst von einzelnen Zimmern kannte er oft die längst abmontierten Nummern. Ging Wolfgang durch den entkernten Palast, in dem er 22 Dienstjahre verbracht hatte, bog er noch dort um die Ecke, wo längst keine Ecke mehr war. 1975 hat er hier als Hausmeister angefangen - und ist auch Hausmeister geblieben, sieben Jahre lang, nachdem die DDR zu existieren aufgehört und der Palast seine ursprüngliche Funktion verloren hatte.

Abriss: Palast der Republik: "Eine perfide Mischung aus spießiger Unterhaltung, Politbüro und Wir-sind-jetzt-auch-wer-Gefühl": der Palast der Republik.

"Eine perfide Mischung aus spießiger Unterhaltung, Politbüro und Wir-sind-jetzt-auch-wer-Gefühl": der Palast der Republik.

(Foto: Foto: ddp)

Vollends geräumt wurde er erst 1997; da musste dann auch Wolfgang, der letzte DDR-Staatsvertreter im ehemaligen Haus des Volkes, seinen Hut nehmen. 2001 kam dann die endgültige Entscheidung für den Abriss. Fragt man die Menschen in Deutschland zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer nach dem Palast der Republik, begegnet man nicht selten dem Frontdenken des Kalten Krieges: Das war ein Haus der alten SED-Apparatschiks, sagen die einen, und die anderen argwöhnen, der Westen sei auf den sozialistischen Palast für die Massen neidisch gewesen, weil er selbst nichts Vergleichbares zustande gebracht habe. Das Schlagwort heißt Siegerjustiz.

Dabei waren, was die Massenkultur angeht, die Unterschiede gar nicht so groß gewesen. Dem "Blauen Bock" im Westen entsprach im Osten "Ein Kessel Buntes", der gern aus dem Großen Saal des Palastes gesendet wurde. Oft waren es dieselben Künstler, die hüben wie drüben auftraten: Katja Ebstein, Karel Gott, Ivan Rebroff, Loriot. Oder, etwas internationaler: Mikis Theodorakis, Joan Baez, Miriam Makeba, Carlos Santana.

Der Palast galt als repräsentative DDR-Architektur, errichtet, um den eingesperrten Massen ein Gefühl von Luxus und "Bei uns ist es doch gar nicht so schlecht" zu vermitteln. Entsprechend war das Haus auch innerhalb der DDR umstritten. Der Lyriker Durs Grünbein etwa fuhr in den achtziger Jahren als Student fast jeden Tag am Palast vorbei und sagt heute: "Im Grund habe ich Bauten wie diese verabscheut! Sie waren für mich Inbegriff einer muffigen DDR-Kulturgemütlichkeit. Es war gelenkte Kultur, die Normalität vorgaukelte, eine perfide Mischung aus spießiger Unterhaltung, Politbüro und Wir-sind-jetzt-auch-wer-Gefühl."

Tatsächlich ließ Erich Honecker den Palast gerade zu der Zeit errichten, in der die DDR international anerkannt wurde. Im September 1973 waren beide deutsche Staaten in die Vereinten Nationen aufgenommen worden. Das Haus sollte die neue Visitenkarte Ostdeutschlands darstellen. Richtig ist auch: Die Funktionsvielfalt des Palastes war ziemlich einmalig auf der Welt - er diente als Parlamentsgebäude mit Gemäldegalerie, Bowlingbahn, Jugendclub und Restaurantzentrum mit 13 gastronomischen Betrieben. Der große Mehrzwecksaal galt aufgrund seiner Variabilität bis zum Schluss als Wunderwerk der Technik.

Palazzo di Protzo

Wie ein leuchtendes DDR-Traumschiff lag der gläserne Palast vertäut am Ufer der Spree. Der Rest der Republik, außerhalb Berlins, mochte das nicht immer anerkennen, nannte das Gebäude zuweilen den "Ballast der Republik". Schließlich verschlang das teuer eingerichtete Haus Geld, das anderswo fehlte. Der im Jahr der Palasteröffnung aus dem Land gewiesene Liedermacher Wolf Biermann hatte es in seiner "Bibel-Ballade" entsprechend Palazzo di Protzo getauft.

Die Münchner Architekturkritikerin Johanna Schmidt-Grohe, die den Palast wenige Wochen nach seiner Eröffnung in der Süddeutschen Zeitung sehr gelobt hatte, versteht bis heute nicht, warum das Gebäude für den Nachbau des historischen Schlosses in Berlin weichen musste. Historischen Revanchismus mag sie als Motiv nicht ausschließen. Wurde der Palast der Republik also rückgebaut, weil Walter Ulbricht ehedem die von den Amerikanern ausgebombte Berliner Schlossruine sprengen ließ? Johanna Schmidt-Grohe erinnert sich noch an ihre Besuche auf der Palast-Baustelle und an den Stolz der Arbeiter auf ihr Werk - immerhin das erste freitragende Stahlskelett in der DDR, wo sonst ja nur Platte verbaut wurde.

Sitze wie Kübel voll Pflaumenmarmelade

"Am Tag der Palast-Eröffnung war alles festlich erleuchtet", berichtet die Architekturkritikerin, "und das ist etwas, was mich heute noch rasend macht, wenn da immer von Erichs Lampenladen geredet wird. Der Palast war für einen repräsentativen Bau ganz normal beleuchtet, nur in der Ostberliner Funzelstimmung mit den 15-Watt-Laternen wirkte das auffällig. Da war halt plötzlich Licht - und dazu Luxus. Alte Muttchen haben begeistert die Lederpolster probiert. Wobei, die waren Marke DDR, ich hatte immer das Gefühl, man setzt sich in einen Kübel Pflaumenmarmelade. Ein weiterer Knüller waren die Toiletten, weil - das war verspiegelt, das war farbig, in Orange, es gab immer frische Frottiertücher. Das war ein solches Glück!"

Der Architekt Heinz Graffunder hatte ein Grundkonzept von genialer Einfachheit verwirklicht. Die schwierige Bauaufgabe, den Plenarsaal der Volkskammer mit einem Kongress- und Freizeitzentrum für 5000 Besucher zu vereinen, löste Graffunder, indem er beide Bereiche durch eine Halle verband. Dieses rund 40 Meter breite, 80 Meter lange und acht Meter hohe, zweigeschossige Hauptfoyer war der öffentliche Anziehungspunkt des Palastes. Die beiden mit Marmor verkleideten Foyerwände fungierten als Galerie im Palast, als Leistungsschau der DDR-Malerei. Da nicht einfach aktuelle Gemälde ausgestellt, sondern thematische Verknüpfungen geschaffen werden sollten, einigte sich die Partei- und Staatsführung mit den beteiligten Künstlern als Motto auf Wladimir Lenins Frage "Dürfen Kommunisten träumen?". Sie durften.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum nackte Menschen durch den Palast der Republik laufen sollten.

Schwierig zu lieben

Der Palast - das waren Bauhaus-Anklänge und ein bisschen funktionaler Siebziger-Jahre-Bau. Domestizierte Moderne und DDR-Utopie. 8000 Quadratmeter Bronzeglas hüllten das Haus ein, weißer Marmor rahmte es wie eine elegante Vitrine.

Mit dem Beginn des Innenausbaus hatten 1975 die Kontrollen durch die Organe der Staatsführung deutlich zugenommen. Fast wöchentlich ließen sich Genossen durchs Gebäude lotsen und den Baufortschritt erläutern. Bei einer dieser Begehungen wunderte sich das einzige weibliche Mitglied des Politbüros, Inge Lange (seit 1973 Sekretärin des ZK für Frauenfragen), über das kreisrunde, einen Meter tiefe und sechs Meter breite Loch im Boden des nördlichen Gebäudeecks auf der Spreeebene. Auf Nachfrage wurde ihr erklärt, es handle sich dabei um die Aussparung für das Tauchbecken des zukünftigen Saunabereichs. Das ZK-Mitglied war entsetzt und protestierte energisch, es käme ja wohl nicht in Frage, dass drei Stockwerke unter der Volkskammer schwitzende Menschen nackt durch das Parlamentsgebäude liefen und vielleicht sogar ins Freie träten. Wenn das die Medien im Ausland spitzkriegten, würde man zum Gespött der ganzen Welt.

Stern-Sahnetorte in der Milchbar

Die Erregung zog schnell Kreise und der sozialistische Spa-Bereich musste aufgegeben werden. Doch was sollte nun mit der runden Wanne im Boden geschehen? Da hatte ein kluger Mensch eine Eingebung: Warum ersetzte man die Saunalandschaft nicht einfach durch eine Diskothek? Und, eine prima Sache, in die kreisförmige Aussparung könnte man eine Tanzfläche einbauen. Dass diese dann sogar als dreh-, heb- und senkbares Podest verwirklicht und damit zu einer der großen Attraktionen des Palastes wurde, war schließlich der späte Clou der Umwidmung dieses Gebäudeteils.

Der Palast der Republik ist voll solcher Geschichten zwischen menschlichen Gelüsten und sozialistischer Planerfüllung. Noch heute schwärmen ehemalige DDR-Bürger von der Stern-Sahnetorte, die es in der Milchbar des Palastes gab, oder von der teilweise beeindruckenden Einrichtung, die auch in so manchem Science-Fiction-Film durchgegangen wäre. Der große Saal etwa wirkte mit seinen hochgestellten Schwenkparketts und den dreieckigen Deckenelementen wie die futuristische Kulisse von Stanley Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum".

ZWEIFEL als künstlerische Krone

Gekannt haben den Palast in der DDR alle. 70 Millionen Besucher wurden zwischen April 1976 und der Schließung im Jahr 1990 gezählt. Das im Haus verbaute Asbest rieselte bei manchen Konzerten aus dem Schnürboden des Großen Saals - und lieferte der Politik den argumentativen Anfang fürs Ende des Palastes. Dabei hätte es durchaus andere Möglichkeiten gegeben als die Totalsanierung mit anschließendem Abriss.

Unter diesen Umständen erschien die Zwischennutzung des Palastes von 2003 bis 2005 als eine Art spätes Wunder. Der norwegische Künstler Lars Ramberg setzte dem maroden Gebäude das riesige Wort ZWEIFEL als Krone auf die Dachkante. Die letzten Chancen zur Abkehr von den Plänen, an Stelle des Palastes das Preußenschloss wieder aufzubauen, verstrichen ungenutzt. Den Genius loci des DDR-Palastes wollten die Politiker im Bundestag wohl nie ganz erfassen. Tatsächlich hatte das Volk den ursprünglichen Repräsentationsbau seiner Führung während der 14 Jahre seines Betriebs zumindest zu einem sehr widersprüchlichen Ort gemacht. In den achtziger Jahren gaben hier Punkbands illegale Konzerte, und es wurden lange verbotene Theaterstücke aufgeführt wie Heiner Müllers "Quartett".

Nur noch ein großes Loch

Zum 40. Staatsgeburtstag der DDR war der Palast von Demonstranten umstellt; später wurde hier die Wiedervereinigung beschlossen. Dass das Gebäude mehr war als architektonisches Zeichen einer Diktatur, mochte dennoch bald keiner mehr wissen. Der Palast ist gewichen, nicht, weil ihn das Volk nicht wollte, sondern weil seine politischen Vertreter nichts mit ihm zu verbinden wussten.

In der Mitte Berlins zeugt jetzt nur noch ein großes Loch von der Stelle, an der der Palast gestanden hat. Man wird das Loch mit Sand verfüllen, und dann kann Gras über den Ort wachsen - einstweilen. Schon 2013 soll hier der Mehrzweckbau des Humboldt-Forums hinter der Fassade des alten Schlosses stehen: Konsensarchitektur in jeder Hinsicht.

Einige Gebäude sind schwieriger zu lieben als andere

Der Palast war vielleicht nicht schön gewesen, aber doch eines der wichtigsten Symbole jüngerer deutscher Geschichte. Die New York Times hatte noch im Januar 2006 ein Plädoyer für den Erhalt des Palastes der Republik mit den Worten überschrieben: "Einige Gebäude sind schwieriger zu lieben als andere."

Wer also glaubt, für den Palast der Republik habe sich außerhalb der ehemaligen DDR niemand interessiert, der täuscht sich. Die Times jedenfalls findet, "das von vielen Menschen wegen seiner kommunistischen Geschichte gehasste Haus wäre ideal dazu geeignet gewesen, zu zeigen, wie eine Gesellschaft in die Zukunft schauen kann, ohne sich von den sensibelsten Elementen ihrer Vergangenheit zu trennen."

Der ehemalige Hausmeister Bernd Wolfgang bewahrt in diesem Sinne seinen Schlüsselbund für den Palast sorgsam auf. Seit 1997 hat er ihn zwar nicht mehr benutzt, doch die Schlüssel sperren noch - Raum für Raum öffnen sie das Phantomgebäude seiner Erinnerung.

Moritz Holfelder ist Autor des im Chr. Links Verlag erschienenen Buches "Palast der Republik. Aufstieg und Fall eines symbolischen Gebäudes", Berlin 2008

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: