Abrechnung mit Managern:Verantwortung wäre schon genug

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Wie uns die Gier ruiniert: Ex-Auto-Vorstand Daniel Goeudevert wirft der Managerkaste in seinem neuen Buch Rücksichtslosigkeit vor.

Hans Leyendecker

Dass der "Journalist immer einer ist, der nachher alles vorher gewusst hat", ist eine alte Erkenntnis von Karl Kraus. Seine Beschreibung umfasste nicht nur die vielen Wichtigtuer unter den Schreiberlingen, sondern traf fast den ganzen Berufsstand.

Flaniert durch die Welt der Kultur, der Politik und der Wirtschaft: Der frühere Automobil-Vorstand Daniel Goeudevert. (Foto: Foto: Claus Sautter)

Das Erstaunliche an dem Wirken des früheren Automobil-Vorstands (Citroën, Renault, Ford, VW) Daniel Goeudevert ist der Umstand, dass er als Sachbuchautor, der er auch ist, schon vorher das meiste gewusst und beschrieben hat und dennoch weiterhin als Außenseiter oder Nebenerwerbsphilosoph gilt - ein ewiger Paradiesvogel seiner Zunft.

Sein neues Buch "Das Seerosen-Prinzip - Wie uns die Gier ruiniert" beschreibt den überhitzten Aggregatzustand der Gesellschaft und ist lesenswert, obwohl (oder auch weil) Goeudevert viele Entwicklungen schon vor gut einem Jahrzehnt vorhergesagt hat.

Der Manager - ein Krüppel

Er flaniert durch die Welt der Kultur, der Politik und der Wirtschaft, und bei seinem Spaziergang beschreibt er die Sumpfblüten und auch die prächtig ausschauenden Seerosen, die aber dem Untergrund so viele Nährstoffe entziehen, dass sie ihren eigenen Lebensraum zerstören.

Vor mehr als einem Jahrzehnt hat der 1942 im französischen Reims geborene Goeudevert in seinem bislang bestverkauften Buch, der Biographie "Wie ein Vogel in einem Aquarium", geschrieben: "Der Manager ist menschlich gehandicapt, um nicht zu sagen: ein Krüppel". Das Top-Personal der Wirtschaft lebe in einer Welt, die den Bezug zu anderen Welten verloren habe.

Solche Kritik galt damals noch als überzogen: Wirtschaftsgrößen ließen sich wie Popstars feiern. Heute beklagt Goeudevert die "Selbstherrlichkeit, Rücksichtslosigkeit, Maßlosigkeit" einer "um sich selbst kreisenden Managerelite", die vergessen habe, dass nur der Mensch Mehrwert schaffe.

Markt und Moral

Es gebe eine "Parallelwelt", die mit der "Realität der Mehrheitsgesellschaft" nichts mehr zu tun habe. Das ist inzwischen Allgemeingut. Dass Manager das bis zu Vierhundertfache eines Arbeiters verdienen, schreibt Goeudevert, sei ungerecht.

Mindestlöhne reichten nicht, auch das Thema Höchstlöhne müsse angegangen werden. Wenn in einer entwickelten Marktwirtschaft nicht einmal eine reguläre Beschäftigung die Existenz sichere, stimme etwas mit der Gesellschaft nicht.

"Links ist heute die Weigerung, die Frage nach der Gerechtigkeit einfach dem Markt zu überlassen", hat Erhard Eppler mal gesagt. Dieser Satz könnte von Heiner Geißler, Norbert Blüm stammen - oder von Goeudevert. Die Wechselbeziehungen zwischen Markt und Moral, Ökonomie und Ökologie analysiert der ehemalige Top-Manager in seinem Seerosen-Buch.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, mit welchen Aussagen sich Goeudevert in den achtziger Jahren den Zorn der Automobilbranche zugezogen hat.

Unaufgeregt stellt er fest, dass wir "nicht die Durchsetzung des Ökonomischen, sondern seine Pervertierung erleben". Den Karawanen-Kapitalismus, den Raubtier-Kapitalismus beschreibt er in allen Unformen und bricht doch eine Lanze für den klassischen Kapitalismus, der "viel mehr Menschen genützt als geschadet" habe.

Der Autor streitet für fairen Welthandel, für Finanzmarktregulierungen und Emissionsobergrenzen und predigt, die sogenannte Führungselite müsse sich "nicht zu besseren Menschen veredeln, es reicht, wenn sie ihrer Führungsverantwortung gerecht werden".

"Big cars - big profit?"

Goeudevert ist der Dauer-Provokateur mit Weitblick: "Ich könnte mit einem Tempolimit leben", hatte er als Ford-Vorstandsvorsitzender in den achtziger Jahren erklärt und als "Fehlentwicklung" beklagt, dass neue Modelle immer größer, teurer und schneller würden.

Damals zog er sich den Zorn der Branche zu. Mittlerweile werden seine einst aufrührerischen Gedanken von vielen Automobilmanagern geteilt. "Big cars - big profit?", spottet der Franzose in seinem neuen Buch und stellt den Energie- und Treibstoffmarkt der Zukunft vor, der durch "wachsende Vielfalt gekennzeichnet" sein müsse.

Die Beteiligung des Shell-Konzerns an einer Biokraftstoff-Anlage in Mecklenburg-Vorpommern betrachtet er als Hoffnungssignal. Wird es Motoren geben, die mit verschiedenen Kraftstoffarten zu betreiben sind, oder werden die Menschen mit unterschiedlichen Fahrzeugen karriolen?

Goeudevert betreibt keine Kaffeesatzleserei, sondern preist die Fantasie. Das alles ist starker Tobak von einem, der sogar mal Chancen hatte, Vorstandsvorsitzender bei VW in Wolfsburg zu werden.

Die Klatscher ändern nicht ihr Leben

Schließlich verlor er gegen Ferdinand Piëch. "Wir passten vom Charakter nicht zusammen", hat der Franzose mal über sich und den Milliardär gesagt, und das war noch eine sehr freundliche Aussage.

Warum ist der gelernte Literaturwissenschaftler und ehemalige Top-Manager nicht Berater von Regierungen oder Parteien? Warum bekommt er nach Vorträgen oder Talkshow-Auftritten zwar viel Beifall für seine Ausführungen über Moral und Gier, und die Klatscher ändern nicht ihr Leben, ein bisschen zumindest?

Vielleicht, weil es immer noch viele Management-Darsteller gibt, denen der schöne Schein genügt, lauter Seerosen. Das Buch endet mit einem Sinnspruch von Hannah Arendt, der etwa lautet: Die Zukunft vorauszusehen sei ganz einfach. Man müsse nur Versprechungen machen und sie auch einhalten.

Daniel Goeudevert: Das Seerosen-Prinzip. Wie uns die Gier ruiniert. Dumont, Köln 20088. 260 S., 19,90 Euro.

© SZ vom 23.9.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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