Zum Tod von Amy Winehouse:No, no, no

Das letzte, was ein großer Teil der Weltöffentlichkeit von ihr sah, war das traurige Video eines missglückten Auftritts. Mit ihrem frühen Tod tritt Amy Winehouse dem tragischen "Club 27" legendärer Musikgrößen bei - denn auch wenn sie zuletzt nur noch mit Häme betrachtet wurde: Sie war eine große Sängerin.

Ruth Schneeberger

Lallend, mit ausgemergeltem Körper, vernebeltem Ausdruck und zuweilen grotesker Frisur, die letzten Reste ihrer Stimme ausgrabend und dabei immer wieder torkelnd - so ist Amy Winehouse in den vergangenen Jahren beobachtet, fotografiert, mit Handy-Kameras gefilmt und dafür mit Häme übergossen worden. Als bemitleidenswertes Zirkuspferd taugte die Britin noch in der Manege der medialen Weltöffentlichkeit, seit Jahren berichteten nur mehr Gazetten über ihr öffentliches Scheitern, kaum noch die Musikkritiker über ihre einst so goldene Stimme.

File photo of British singer Winehouse arriving at Westminster Magistrates Court in central London

Sie war eine große Sängerin: Amy Winehouse.

(Foto: REUTERS)

Sie selbst hatte stets zugegeben, dass sie zu viel trinke, zu viel rauche, zu wenig esse - und der Höhepunkt ihres Erfolges war in der Tat eine musikalische Auseinandersetzung mit dem Thema ihres Lebens: "They tried to make me go to rehab, but I say no, no, no ..." (aus der Single "Rehab" vom Album "Back to Black", 2006).

Amy Winehouse war zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt, hatte mit "Frank" drei Jahre zuvor bereits ein beachtenswertes Album kraftvollen Neo-Souls vorgelegt, doch erst mit diesem Kunstgriff zeigte sie, was wirklich in ihr schlummerte: Eine Jahrhundertstimme, ein Ausnahmetalent, eine so kratzbürstige wie einzigartige Künstlerin mit würzig-rauchiger Soulstimme, der die Welt eine Zeit lang zu ihren wackeligen Füßen lag.

Bezeichnenderweise hatte ihr Management ihr schon vor diesem Erfolg nahegelegt, sie solle sich in eine Entziehungskur begeben, um wieder zu sich zu kommen. Doch sie trotzte den guten Ratschlägen, wollte Sex, Drugs, Rock 'n' Roll - und wurde mit just jenem Song, der diesen Trotz dokumentierte, endgültig zum Weltstar.

Antithese zu den Popsternchen

Der Erfolg gab ihr Recht - und er brachte sie zugleich zu Fall. Fünf Grammys, die sie nicht einmal persönlich in Empfang nehmen konnte - die USA hatten ihr die rechtzeitige Einreise verweigert-, und 10 Millionen verkaufter "Back to Black"-Platten waren nur der kommerzielle Teil ihrer Popularität.

Amy Winehouse wurde zum Superstar, ihre Jazz-Pop-Soul-Ska-Musik machte die Retrowelle endgültig salonfähig, und was genauso wichtig war: Als Antithese zu Popsternchen wie Britney Spears ebnete sie den Weg für Musikerinnen, die weniger durch ihre glatte Oberfläche als durch ihre Stimmgewalt überzeugten. In ihrem Song "Fuck me Pumps" brachte sie mit einem beeindruckenden Video ihr Mitleid über junge Mädchen zum Ausdruck, die versuchen, nur durch ihr Äußeres zu bestechen.

Das mittlerweile als ihre musikalische Nachfolgerin geltende Stimmwunder Adele ("Someone like You", "Rolling in the Deep") hätte ohne eine Amy Winehouse vielleicht nie eine Bühne von oben gesehen - und auch das Phänomen Lady Gaga ("Pokerface", "Monster") hätte wohl weniger Chancen gehabt, zum derzeit einflussreichsten Popstar der Welt zu avancieren, wenn es Amy Winehouse nicht gegeben hätte, die zwar immer viel Wert auf ihre Körperlichkeit gelegt hat, aber niemals auf Perfektion.

Die schräge Amy ebnete den Weg für Toleranz dem Äußeren gegenüber zugunsten einer Musik, die sie lebte. So viel Power beeindruckte nicht nur in der Musik-, sondern beeinflusste auch die Modewelt. Winehouses berühmte Beehive-Frisur, ihr überdeutlicher Lidstrich und ihre rotzigen 50er-Jahre-Outfits waren auf den Runways der hipsten und edelsten Designer zu sehen - alle wollten plötzlich ihren Retro-Schick, ihre Singularität, ihre nachlässige Sexiness und ihre Trotzigkeit kopieren. Amy Winehouse hatte etwas, das selten geworden ist für einen so jungen Star: eine Aura nahezu unantastbarer Authentizität. Sie war eine Diva.

Spiel mit dem Feuer

Doch dieser Nimbus war zerbrechlich, Amy Winehouse spielte - was sie wusste - mit dem Feuer. Sie suhlte sich öffentlich in ihrer Rolle und wirkte dabei doch so hilflos. In Liedern wie "Addicted" bekannte sie sich offen zu ihrer Drogensucht. Ihr mittlerweile geschiedener Ehemann Blake Fielder-Civil dürfte ein Teil ihres Drogenproblemes gewesen sein. Doch zu diesem Zeitpunkt hätte sich die Welt eine Amy Winehouse in clean schon gar nicht mehr vorstellen können. Sie war keine Künstlerin, die über ihrem Ruhm zerbrochen wäre. Amy Winehouse hatte schon ein Drogenproblem, bevor die Welt ihren Namen überhaupt kannte. Dazu gesellten sich Magersucht, Selbstverletzungen, eine Lungenkrankheit und psychische Probleme.

Große Kunst und starker Drogenkonsum - das ist seit Jahrhunderten eine tödliche Mischung; Amy Winehouse ist nicht die erste, die daran zerbricht, dass sie beides zu exzessiv lebte, während andere in diesem Alter gerade erst ins Berufsleben starten. Schon Jim Morrison, Janis Joplin, Brian Jones, Jimi Hendrix und Kurt Cobain starben mit zarten 27 Jahren unter, wie es dann immer heißt, "ungeklärten Umständen" respektive in Folge von Drogenproblemen. Amy Winehouse ist der Neuzugang in diesem tragischen Club der viel zu früh Verstorbenen.

Auch wenn seit ihrem zweiten, letzten und zugleich größtem Album fünf Jahre lang nichts Musikalisches mehr von ihr zu hören war und sie sogar das Angebot verpatzt hatte, den James-Bond-Titelsong zu singen: Amy Winehouse wollte wiederkommen, plante ein neues Album nach ihrer Comeback-Tour, wenn sie denn erfolgreich verlaufen wäre. Doch als sie im Juni 2011 in Belgrad weinend von der Bühne torkelte, buhte das Publikum, und die Presse sprach vom "schlechtesten Konzert aller Zeiten".

Das Haus im Londoner Norden, in dem die Tochter jüdischer Eltern - einer Apothekerin und eines Taxifahrers und Jazzmusikers - am Samstagnachmittag leblos aufgefunden wurde, hatte sie gerade erst gekauft und renovieren lassen. Doch es kam wohl, wie Amy Winehouse es schon in einem ihrer ersten Songs aus dem Jahr 2003 besungen hatte. Die Begleitumstände waren "Stronger than me". Und wie hieß es noch in ihrem berühmtesten Lied "Rehab": "Ich trinke doch nur, bis meine Tränen getrocknet sind."

Es waren vielleicht der Tränen zu viele.

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