Wettbewerb der Berlinale 2013:Pfffft statt Peng

Judy Davis und River Phoenix in "Dark Blood"

Judy Davis und der längst verstorbene River Phoenix in dem Film "Dark Blood".

(Foto: dpa)

Im Wettbewerb der Berlinale läuft der spukhafte "Dark Blood" - zwanzig Jahre, nachdem er mit River Phoenix gedreht wurde. Außerdem "Elle s'en va" mit Catherine Deneuve und der neue Film von Hong Sangsoo. Das Festival ist fast vorbei, und immer deutlicher kristallisieren sich Bären-Kandidaten heraus.

Von Martina Knoben, Berlin

Von George Sluizer stammt eines der beängstigendsten Unhappy-Endings der Filmgeschichte. In "Spoorloos", 1988, kann ein Mann nicht aufhören, nach seiner verschwundenen Ehefrau zu suchen, bis ihn nach Jahren ihr Entführer kontaktiert und ihm verspricht, ihn genau das erleben zu lassen, was seiner Frau widerfahren ist. Die Neugier siegt über die Angst - am Ende findet sich der Mann in einem Sarg unter der Erde wieder, lebendig begraben.

An diesen Horror muss man denken, wenn nun Sluizers "Dark Blood" im Wettbewerb der Berlinale (außer Konkurrenz) seine Premiere erlebt, zwanzig Jahre nachdem der Film gedreht wurde. River Phoenix, einer der Hauptdarsteller, war zehn Tage vor Abschluss der Dreharbeiten 1993 gestorben. Das Filmmaterial ging an die Versicherung. Erst jetzt konnte der 80-jährige Sluizer den Film fertigstellen. Selten wird das Spukhafte des Kinos so offenbar wie hier, zumal der Film selbst Horror- und Mysteryelemente mixt, dazu Westernmotive, Zivilisationskritik und ein Ehedrama - eine schön trashige Verbindung.

Fährt ein Bentley durch die Wüste, das klingt ja schon wie ein Witz. In dem Luxusgefährt sind Judy Davis und Jonathan Pryce unterwegs, ein Hollywood-Ehepaar auf Romantiktrip. Mitten im Nichts streikt der Motor, eine klassische Horrorfilm-Panne mit gewöhnlich drastischen Folgen. River Phoenix taucht auf, ein mysteriöser Junge mit dunklen Gedanken und dunkler Haut. Weil er die Frau für sich haben will, zögert er die Weiterfahrt der beiden immer wieder hinaus.

Die Bären-Kandidaten kristallisieren sich heraus

Das Motiv des Eingeschlossenseins hat den Wettbewerb dieser Berlinale durchzogen wie ein roter Faden. In "Dark Blood" wird die Weite der klassischen Westernlandschaft zum Gefängnis. Leider findet der Film zu keinem guten Schluss, entlädt sich die Spannung in einem matten Pfffffft . . . Für die Szenen, die fehlen, weil sie nach dem Tod von River Phoenix nicht mehr gedreht wurden, hat Sluizer jedoch eine überzeugende Lösung gefunden: Er ersetzt sie durch Standfotos, die er im Off kommentiert. Das funktioniert deshalb so gut, weil die Löcher, die so entstehen, das Gespenstische des Ganzen ausmalen.

Deutlich solider geht es in "Elle s'en va" (On my Way) von Emmanuelle Bercot zu, einem einigermaßen charmanten filmischen Leichtgewicht, das sich ganz auf seine Hauptdarstellerin Catherine Deneuve und deren Altersschönheit konzentriert. Deneuve ist Bettie, eine ehemalige Miss Bretagne, die ihr Restaurant und ihre alte Mutter im Stich lässt und - mit Anfang sechzig - aus ihrem Leben ausbricht. Bettie startet eine chaotische Tour de France, ein golden girl in einem goldfarbenen Mercedes, dessen großer Aufbruch dann doch im Familien-Garten endet.

Nun ist die Berlinale fast vorbei, und immer deutlicher kristallisieren sich Bären-Kandidaten heraus. Jafar Panahi ist ein Anwärter, der mit "Pardé" dem rigiden Verbotssystem seiner Heimat einen surrealen Selbst(er)findungstrip abgerungen hat - ihn auszuzeichnen wäre ein politisches Zeichen. "Gloria" und "Child's Pose" wurden viel gelobt; vor allem aber auch Bruno Dumonts "Camille Claudel 1915" und der kasachische Film "Harmony Lessons" hätten eine Bären verdient - wie der viel gescholtene Wettbewerb in der zweiten Hälfte überhaupt noch einmal kräftig angezogen hat.

Auch mit Hong Sangsoo. "Flaggen sind eine coole Erfindung, wir können damit den Wind sehen" - so lautet ein schöner Satz aus "Nobody's Daughter Haewon", einem Film, der selbst so ungreifbar scheint wie die Luft, die durch ihn hindurchweht. Der Koreaner Sangsoo gehört nicht zu den regularsin Berlin. In einem Wettbewerb, der nicht gerade üppig bestückt war mit spektakulären Weltpremieren, zählt sein Film zu denen, die mit größerer Spannung erwartet wurden. Wobei Sangsoo keine große Fangemeinde in Deutschland hat, dazu sind seine Filme zu schwierig.

Auch in "Nobody's Daughter" wird viel geredet, ja geschwätzt, auf der Suche nach Glück, Identität und Liebe. Da hat man sich schnell genau um dieses Glück geredet, im Suff oder im Streit. Als ob die Worte sich selbstständig machten und einen in eine bestimmte Richtung zögen. Oder hat die schöne Haewon (Jung Eunchae), eine Studentin, die eine unbefriedigende Affäre mit ihrem verheirateten Professor hat, alles nur geträumt? Das koreanische Alltagsleben wird realistisch beschrieben in "Nobody's Daughter", und doch wird jeder Gewissheit der Boden entzogen. Es gibt Brüche und Löcher in dieser Geschichte, in denen man sich verlieren kann - Risse, durch die der Wind weht.

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