"Wenn Giraffen fliegen" von Miroslav Penkov:Zum Abschied einen Zaubertee

Ins große Gedränge der Shootingstars der internationalen Literatur mischt sich ein neuer Name. Miroslav Penkov, mit 18 aus Bulgarien in die USA ausgewandert, mit 30 Professor, das Debüt ein Bestseller. Was ist dran an "Wenn Giraffen fliegen"?

Karl-Markus Gauss

Unter den Shootingstars der internationalen Literatur herrscht großes Gedränge. Schon hat sich wieder einer der Menge zugesellt: der in Bulgarien geborene, in den USA lebende Miroslav Penkov, den der Blessing-Verlag ausdrücklich als neuen Weltstar bewirbt. Hochbegabt ist ein junger Mann zweifellos, der mit achtzehn in die Vereinigten Staaten auswandert und mit dreißig schon Universitätsprofessor ist, notabene nicht für Slawistik, sondern Anglistik. Gleich sein erstes Buch wurde 2011 in den USA zum Bestseller und ist nun von Deutschland bis Vietnam in Dutzenden Sprachen erschienen.

"Wenn Giraffen fliegen" vereint acht Geschichten, die vom Leben zwischen Ost und West, Bulgarien und den USA erzählen; solide gearbeitete Prosa aus der Literaturwerkstatt, die berücksichtigt, dass der Leser ein Geschöpf mit Geist und Gemüt ist, das intellektuell nicht unterfordert, aber auch in seinen Gefühlen angeregt werden will. Penkov beherrscht sein Metier, mit wenigen Strichen schafft er den kolorierten Hintergrund, vor den er seine kauzigen Charaktere agieren lässt. Sympathisch macht diesen Autor, dass er selbst große Sympathie für seine Figuren empfindet, für diese stets am Rande des Scheiterns wandelnden Männer und Frauen, die ihre Obsessionen und Ängste hüten.

In der Titelgeschichte hat ein starrsinniger Großvater seinen herrischen Auftritt, ein alter Kommunist, der den Enkel, der zum Studium nach Amerika geht, mit den Worten verabschiedet: "Du mieses Kapitalistenschwein." Der Großvater hatte in "einem Jahr alles verloren, was ein Mann verlieren konnte: die Frau seines Herzens, Großmutter, und die Liebe seines Lebens, die Partei".

Irgendetwas fehlt ihm in Arkansas

Die Frau ist qualvoll gestorben, die Partei unrühmlich zerfallen. In den traurigen Jahren des kapitalistischen Aufbaus geht Großvater jeden Tag auf den Friedhof und liest der Toten aus Lenins Gesammelten Werken vor, Mitte der Neunzigerjahre ist er schon bei Band 12 angekommen. Der Enkel macht inzwischen in Amerika Karriere, er schließt das Studium in Rekordzeit summa cum laude ab und hätte wohl Anlass, stolz und zufrieden zu sein. Aber irgendetwas fehlt ihm in Arkansas, zuerst meint er, es sei Bulgarien, doch genau genommen ist es nicht das Land, sondern der Großvater, der ihm abgeht und mit dem er regelmäßig telefoniert, damit ihn wenigstens einer als Lakai des Imperialismus beschimpfe.

Penkov entwickelt seine Geschichte geduldig, langsam und kippt sie am Ende überraschend ins Unwirkliche. Über Ebay ersteht der amerikanische Bulgare den einbalsamierten Lenin, um ihn den letzten Kommunisten Bulgariens als Geschenk zustellen zu lassen.

Eher ein Spiel von Missverständnissen und Fehldeutungen

In einer anderen Geschichte macht ein Exilbulgare, der in den USA seine japanische Frau kennengelernt hat, in Sofia Urlaub, damit dem Paar in einer Spezialklinik kostengünstig der Kinderwunsch mittels eines In-vitro-Programms erfüllt werde. Aber dann ist Yuki Sofia zu laut und dreckig, sodass sie ein paar Tage in das Dorf fahren, in dem der Ich-Erzähler aufgewachsen ist. Es ist nicht direkt ein Zusammenprall der Kulturen, der sich hier ereignet, eher ein Spiel von Missverständnissen und Fehldeutungen, das anfangs mehr amüsante als tragische Folgen zeitigt.

Die wackeren Dörfler sind von der kleinen, zierlichen Asiatin fasziniert, die sich wiederum rätselhaft von den Zigeunern angezogen fühlt. Ausgerechnet einen Romaknaben fährt ihr Mann mit dem Leihauto über den Haufen. Als er stirbt, suchen die beiden dessen Eltern auf, um ihre Schuld zu bekennen; sie geraten in der Zigeuner-Siedlung jedoch in eine groteske Trauerveranstaltung, mit der der Autor dem Kitsch der Romafolklore seinen Tribut entrichtet, und Yuki erhält von den Frauen zum Abschied einen Zaubertee, der ihr unverweilt zur ersehnten Schwangerschaft verhilft.

Penkov führt seine Erzählungen am Grat von Witz und Sentimentalität entlang, und meist führt das Geschehen auf eine rührende Wendung zu, einen Moment, in dem leicht, aber spürbar auf die Tränendrüse gedrückt wird. In der Folge von acht kunstfertig gedrechselten Geschichten stellt sich so nach und nach etwas geradezu Behagliches, Gemütvolles ein. Zum Shootingstar mag das reichen, für große Literatur ist es zu wenig.

Miroslav Penkov: Wenn Giraffen fliegen. Roman. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Karl Blessing Verlag, München 2012. 319 Seiten, 19,95 Euro.

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