·:Tumbe Toren

"Die Sprache Deutsch", ausgestellt im Deutschen Historischen Museum in Berlin

"Tief, rätselhaft, dramatisch vortrefflich behandelt" schreibt Goethe 1806 in seiner Besprechung von "Des Knaben Wunderhorn" über "Großmutter Schlangenköchin": 14 Zweizeiler, abwechselnd sprechen Mutter und Kind. Das Kind ist von der Großmutter vergiftet worden und klagt es der verzweifelten Mutter. "Maria, wo soll ich dein Bettlein hin machen? / Maria, mein einziges Kind! // Du sollst mir's auf dem Kirchhof machen./ Ach weh! Frau Mutter, wie weh!" Eduard Mörike hat sich davon eine Abschrift gemacht, auch er war offenbar berührt. Aber was bedeutet dieses Manuskriptblatt nicht literatur-, sondern sprachgeschichtlich? Rätselhaft.

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(Foto: Foto: DHM)

Das Deutsche Historische Museum präsentiert es in seiner Ausstellung "Die Sprache Deutsch". Doch wie so manches hier reicht dieses Stück zwar tief, teilt sich aber nicht mit. Wer wird die Handschrift in der notwendig schwach beleuchteten Vitrine lesen? Und wer sie liest, was erfährt er über das Deutsche im 19. Jahrhundert? Goethe hoffte, die Lieder, "vom Volke . . . gewissermaßen ausgegangen", könnten dahin zurückkehren, in "Leben und Bildung der Nation" übergehen. Haben sie das sprachliche Empfinden im 19. Jahrhundert geprägt? Und wie verhalten sich dazu die Einflüsse von Wissenschaften, Technik, Industrie?

Die Ausstellung ist historisch angelegt und greift weit aus. Sie beginnt mit dem ältesten Buch der deutschen Sprache, dem St. Galler Abrogans, und endet in der Gegenwart mit Jugendsprache, Werbung und Migrantendeutsch, hängt dialektgeographische Karten aus und bietet auch etwas zu den physiologischen Voraussetzungen des Sprechens. Alles aber muss auf 400 Quadratmetern abgemacht sein. Im Zentrum steht die sogenannte Leseinsel, ein kreisförmiges Kabinett, das der Reclam Verlag mit deutscher Literatur ausgestattet hat. In die Außenseite sind Vitrinen zur Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts eingesetzt.

Hier finden sich die Mörike-Handschrift, ein Tucholsky-Typoskript oder eine Kompositionsskizze Wagners zum "Rheingold", "Woge, du Welle!". Ernst Jünger hat in einem Zettelkasten letzte Worte berühmter Persönlichkeiten gesammelt, Theodor Mommsen bekam zum Nobelpreis eine goldene Medaille. Schöne Dinge, doch wer sie nicht gesehen hat, muss sich als Liebhaber der deutschen Sprache keine Vorwürfe machen. Solange nur von Wagners Eigenwilligkeiten als Autor seiner musikdramatischen Texte die Rede ist, bewegen wir uns auf dem Feld der Kunst. Auf das der Sprache kämen wir durch die Frage, wie er weitergewirkt hat. Davon ist im Deutschen Historischen Museum nicht die Rede.

Viel hält sich die Ausstellung darauf zugute, auch Erika Fuchs zu würdigen, die Übersetzerin der Donald-Duck-Geschichten ("Das beste Werkzeug ist ein Tand / in eines tumben Toren Hand"). Auch hier wird eine persönliche sprachschöpferische Leistung gezeigt. Sprache ist aber das, was allen oder doch vielen gemeinsam ist. Wie ist unser Sprachgebrauch durch Erika Fuchs, Loriot oder Wilhelm Busch geprägt? Das wäre zu zeigen, statt das einfallsreiche Individuum zu verehren. Aber da genau liegt das Problem einer solchen Ausstellung. Leicht lässt sich das Individuelle in seinem Glanz zeigen, das Kollektive, das Sprache ausmacht, sehr viel schwerer.

Das gilt auch für das Nachkriegsdeutsch. Entwickelte die DDR einen eigenen Sprachgebrauch? Die Ausstellung präsentiert die Heiterkeitserfolge, den Broiler auf der Speisekarte, die Formeln der Parteisprache. Aber das war Gekräusel an der Oberfläche. In einem anderen Punkt könnte die DDR einen eigenen Ton entwickelt oder einen älteren bewahrt haben, im Dialektgebrauch. Gründe gab es mehrere, einer wird das Selbstbewusstsein der Arbeiter gewesen sein; die Defa-Filme haben daran mitgearbeitet. Das fehlt in der Ausstellung.

Die Anfänge der wissenschaftlichen Germanistik, die Brüder Grimm und ihre Kollegen, sind dafür mit einer Detailfreude hergerichtet, die ein gut vorsortiertes Publikum verlangt. Was Schule und Theater dagegen für die Sprache der Deutschen bedeuten, bleibt dann wieder blass. Solche Disproportionen sind wohl unausweichlich. Die deutsche Sprache in einer kleinen Ausstellung zu zeigen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Warum man es doch probiert hat? Das Goethe-Institut wird im Herbst aus dieser Ausstellung und der stärker gegenwartsorientierten im Bonner Haus der Geschichte (SZ vom 17.12. 2008) eine dritte zusammenstellen, die dann im Ausland auf Tour gehen soll. STEPHAN SPEICHER

Deutsches Historisches Museum, Berlin, bis 3. Mai 2009. Info: www.dhm.de. Das Begleitbuch kostet 25 Euro.

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