Streit um Buch über Deutschland:Alles Nazis over there

Aus "Ich bin Deutschland" wird "Allein unter Deutschen": Für ein Buchprojekt reiste der jüdische Theatermacher Tuvia Tenenborn monatelang durchs Land. Der New Yorker beschreibt Deutschland als einen düsteren Ort voller Nazis und Antisemiten. Nach dem Zerwürfnis mit Auftraggeber Rowohlt erscheint die Reportage im Herbst beim Verlagsrivalen. Ein einmaliger Vorgang.

Malte Herwig

Es sollte eine lustige Entdeckungsreise werden. Vor zwei Jahren machte sich Tuvia Tenenbom, Sohn eines Rabbiners aus Jerusalem und heute Theatermacher in New York, nach Deutschland auf, um Land und Leute zu inspizieren. Ausgestattet mit Vertrag und Vorschuss des Rowohlt Verlages reiste er mehrere Monate quer durchs Land, mischte sich unter Erste-Mai-Demonstranten in Hamburg, Biertrinker in München, Pilger auf dem Kirchentag und das Publikum bei den Oberammergauer Passionsspielen. Der Jude Tenenbom traf so ziemlich alles, was Deutschland an schrägem Personal zu bieten hat: Autonome, Neonazis, Fußballfans, Juden, Christen und Türken und Kai Diekmann.

Sein Buch "Ich bin Deutschland" hatte Rowohlt für April 2011 als Spitzentitel angekündigt: "Ausgestattet mit einer wunderbaren Beobachtungsgabe und viel schwarzem Humor", heißt es im Verlagsprospekt, "erzählt Tenenbom von seinen Erlebnissen auf deutschen Straßen und enthüllt dabei intelligent und komisch zugleich die Seele des Landes und seiner Bewohner." Doch dieses Buch ist nie erschienen.

Nach monatelangem Hin und Her einigten sich Verlag und Autor mit anwaltlicher Schützenhilfe darauf, den Vertrag aufzulösen. Das Verhältnis war zuletzt so zerrüttet, dass der Verleger Alexander Fest darauf bestand, nur noch schriftlich zu kommunizieren. Zwei Drittel seines Vorschusses durfte Tenenbom behalten und veröffentlichte seinen Text als E-Book auf der amerikanischen Amazon-Webseite. Seitdem tobt vor und hinter den Kulissen der Deutungskampf um das Scheitern des Projekts. Was war geschehen?

Im Vorwort der amerikanischen Ausgabe fährt Tenenbom schwere Geschütze gegen den Rowohlt Verlag und dessen Chef auf. Der Verlag habe darauf bestanden, behauptet Tenenbom, die krassesten Beispiele für deutschen Antisemitismus aus dem Buch zu entfernen und ihn behandelt "wie Herrenmenschen einen kleinen Juden". Man habe ihn als "jüdischen Hysteriker" beschimpft, ständig angelogen und in einer Art und Weise Zensur geübt, "die einem iranischen Verleger unter den Ayatollahs gut zu Gesicht gestanden hätte".

Nach dem Zerwürfnis verlegt Suhrkamp das Buch

Rowohlt-Verleger Alexander Fest ist entsetzt über die Anwürfe: "Wir haben zu keinem Zeitpunkt versucht, irgendeine Zensur auszuüben." Es habe rechtliche und formale Probleme mit dem Manuskript gegeben, und das Lektorat habe dem Autor deshalb Verbesserungs- und Kürzungsvorschläge gemacht. Die Korrespondenz zwischen Autor und Verlag, die der SZ vorliegt, zeigt, dass die Vorschläge des Rowohlt-Lektorats durchaus den Gepflogenheiten der Buchbranche entsprachen. Für die von Tenenbom unterstellten Beschimpfungen gibt es dort keine Anhaltspunkte. Vielmehr geht es um Länge, Struktur und Sprache. Und um rechtliche Probleme.

Tenenbom hatte das Manuskript im September 2010 bei Rowohlt abgeliefert. Die Reaktion sei überaus positiv gewesen, sagt der Autor. Seine Lektorin habe den Text noch besser als erwartet gefunden und ihn mit dem britischen Filmemacher Sasha Baron Cohen verglichen. Cohen mimte jahrelang den naiven Kasachen "Borat" und entlarvte so den unterschwelligen Rassismus seiner nichts ahnenden Gesprächspartner.

Auch Tenenbom war immer wieder in verschiedene Rollen geschlüpft und seinen Gesprächspartnern erschreckende antisemitische Aussagen entlockt.

Ein einmaliger Vorgang in der Verlagswelt

Allerdings hatte er sein Gegenüber offensichtlich nicht in jedem Fall darüber informiert, dass er sie für eine Buchpublikation interviewte. Im liberalen Amerika kein Problem, hierzulande allerdings sind Buchverlage an das komplizierte deutsche Persönlichkeitsrecht gebunden. Und dieses besagt, dass die Veröffentlichung von Zitaten grundsätzlich nur mit Einwilligung des Betroffenen zulässig ist.

Schon vor Abgabe des Manuskripts meldete sich eine Suhrkamp-Mitarbeiterin, die mit einer von Tenenboms Gesprächspartnerinnen befreundet war. Sie informiert Rowohlt, dass die Betroffene keine Einwilligung gegeben habe und notfalls klagen würde. Daraufhin gab Rowohlt ein juristisches Gutachten in Auftrag, das ein knappes Dutzend rechtlich problematischer Passagen auflistet. Tenenbom war zu einigen Streichungen bereit, berief sich aber darauf, in jedem Fall Zeugen für die Aussagen seiner Gesprächspartner zu haben - darunter die eigene Ehefrau.

Autor sieht sich als Opfer von Zensur

Zwei weitere externe Gutachten unterstreichen die Bedenken des Rowohlt-Lektorats. Tenenboms Text sei "unverhältnismäßig verletzend, unseriös", heißt es in dem einen, und schade damit dem eigenen Anliegen, den allgegenwärtigen deutschen Antisemitismus aufzuzeigen. Hier fällt auch der Begriff "jüdischer Hysteriker", obgleich als Kompliment im Sinne eines Woody Allen. Der zweite Gutachter, Martin Bauer vom Hamburger Institut für Sozialforschung, kritisiert die "willkürlich zusammengestellte Sammlung subjektiver Eindrücke", den "gefühlten Antisemitismus" und kommt zu dem Ergebnis, der Autor sei "von vorneherein weder witzig noch erhellend, sondern hämisch und sarkastisch". Unbeschadet dessen, räumt Bauer ein, hegten wissenschaftlichen Erhebungen zufolge rund 22 Prozent aller Deutschen antisemitische Einstellungen.

Im Oktober soll der Reisebericht nun bei Rowohlts Erzrivalen Suhrkamp auf Deutsch erscheinen. Thomas Sparr, Verlagsleiter von Suhrkamp, bezeichnet das Buch als "sehr eigenwillige, zugespitzte Reportage" und versichert: "Natürlich stimmen wir uns mit den Interviewpartnern ab." Den Text der Vorschau hat der Berliner Verlag praktischerweise gleich von den Hamburger Kollegen übernommen. Aber ist es noch das Buch, als das es einst angekündigt war: ein bissig-humoristischer Blick auf die deutsche Seele?

Das Deutschland, das Tenenbom einige Monate lang bereiste, erscheint darin als düsterer Ort voller Nazis und Antisemiten. "Dieses Land hat sich seit Hitlers Herrschaft nicht geändert", glaubt der Autor: "Ich hasse die Deutschen. Hasse sie, ihre großen Masken, ihre endlosen Diskussionen, ihre ständige Predigerei, ihren impliziten oder expliziten Judenhass, ihre Rückgratlosigkeit, ihre exakte Art, ihre exakten Lügen, ihre Starrsinnigkeit, ihren versteckten Rassismus, ihr ständiges Bedürfnis, geliebt und gelobt zu werden, und ihre Selbstgerechtigkeit". Am Ende verlässt er dieses Deutschland, das ihn so sehr aufgeregt hat, mit gemischten Gefühlen. Aus "Ich bin Deutschland" (Rowohlt) wird "Allein unter Deutschen" (Suhrkamp).

Es ist ein einmaliger Vorgang in der deutschen Verlagswelt. Aber vielleicht ist das auch die eigentliche Geschichte: Wie zwei Züge sind amerikanische Freizügigkeit und deutsche Gewissenhaftigkeit aufeinandergeprallt. Und es hat ordentlich gekracht.

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