Smalltalk-Ratgeber:Reden ist Silber, Mitreden Gold

Smalltalk (Symbolbild)

Urbanes Leben funktioniert am besten durch dauerndes Gerede. (Symbolbild)

(Foto: chival / photocase.de)

Ein Spiel, in dem alle gewinnen. So charakterisiert Alexander von Schönburg die Kunst des Smalltalks in seinem gleichnamigen Buch. "Klugscheißerei" ist dabei genauso verboten wie "Moralscheißerei".

Von Jens Bisky

Der Maler Arnold Böcklin, sein Sohn Carlo und der Dichter Gottfried Keller saßen eines Abends schweigend im Wirtshaus beieinander. Viel Zeit verging, bis Carlo ein "Heiß ist's" entfuhr. "Und windstill", fügte nach gut einer Viertelstunde Arnold Böcklin hinzu. Keller ließ weitere stille Minuten verstreichen, erhob sich und ging mit dem Satz: "Unter Schwätzern will ich nicht trinken."

Walter Benjamin erklärte mit dieser Geschichte, was unter "bäurischer Sprachscham" zu verstehen sei. Am Stammtisch ist gut schweigen, im heimeligen Reich des Vertrauten nötigt nichts zur Plauderei. In der Welt der Zugabteile, Fahrstühle und Empfänge aber wirkt Nichtreden rasch bedrohlich und peinigend. Wer schweigt, könnte zur Aggression neigen oder ein Provinztrampel sein. Die friedliche Absicht drückt sich im belanglosen Gespräch aus, das wie nebenbei auch die sozialen Positionen klärt. Urbanes Leben funktioniert am besten durch dauerndes Gerede.

Dennoch wird Smalltalk verachtet. Neben den ehrwürdigen Vorwurf mangelnder Tiefe ist ein zeitgemäßes Misstrauen getreten, das jeder neue Plauder-Ratgeber verstärkt. Je öfter versichert wird, Smalltalk könne die Atmosphäre lockern, Bekanntschaften erleichtern, Aufgeschlossenheit erzeugen, desto sicherer weiß der aufgeklärte Zeitgenosse: Wer locker redet, will mir was andrehen.

Kein Handbuch für angehende Vertreter

Es nimmt für Alexander von Schönburgs Buch über die "Kunst des stilvollen Mitredens" ein, dass es den Smalltalk nicht als Handwerk der Vertreter, Verkäufer und Kundenberater lehrt. Dies ist glücklicherweise kein Ratgeber nach den Regeln des Genres. Dazu sind die pädagogischen Leidenschaften des Autors wohl zu schwach entwickelt. Er plaudert lieber und entfaltet im Smalltalk mit sich selbst das Ideal einer freundlichen, absichtslosen Konversation, eines Spiels, in dem alle gewinnen.

In diesem Spiel entscheidet nicht das Thema, sondern die Angemessenheit der Züge. Frech, elegant, schmeichelnd darf man sein, auch überraschend, aber nie überfallend. Man soll durchaus provozieren, aber niemanden vor den Kopf stoßen. Wenige Maximen gewähren denkbar größte Freiheit. Im Grunde ist alles erlaubt, sofern es nicht langweilt oder das Gespräch erstickt: "Alles was man sagt, muss Raum für Gegenrede bieten".

Smalltalk verträgt als Form der informellen Konversation Fußnoten so wenig wie missionarischen Eifer. "Klugscheißerei" sei, so Schönburg, ebenso zu vermeiden wie "Moralscheißerei". Man dürfe nicht recht haben wollen. Der Leser erinnert sich an Dubslav von Stechlins goldene Regel aus einer Zeit, in der es keinen Smalltalk geben konnte, weil Prominenz noch nicht die Aristokratie ersetzt hatte: "Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig."

Unverfänglich, ohne geisttötend zu wirken

In kurzen Kapiteln führt Alexander von Schönburg vor, wie er Smalltalk betrieben sehen möchte. Er unterscheidet "Pauschalthemen", zu denen man eine Meinung äußern können muss, von "Jokerthemen", die kleine Kontroversen auslösen, das Gespräch also beleben können. Gender, Essen, Fußball, Luxushotels, moderne Kunst und soziale Gerechtigkeit gehören zu den Pauschalthemen; Adel, Franzosen, Homosexualität, Jagd und Gottesteilchen fungieren dagegen als Joker. Wer aber über amerikanische Außenpolitik, das FAZ-Feuilleton, New York oder die Apokalypse schwätzt, der behandelt ein "Chloroformthema" - unverfänglich, ohne geisttötend zu wirken; bestens geeignet, Einhelligkeit herzustellen, Konsens zu bekräftigen.

Smalltalk heißt für von Schönburg, sich Bälle zuspielen, es können Schmetter- oder Federbälle sein oder solche, die wohl jeder halten kann. Alles als Spiel zu betrachten, sich selbst nicht so ernst zu nehmen, nicht recht haben zu müssen, in der Vereinfachung ein probates Mittel des Umgangs mit den Ungereimtheiten des Lebens zu sehen - das sind die Tugenden eines bestimmten Milieus. Nicht ganz oben, aber auch nicht der Not der Existenzsicherung ausgeliefert.

Ein wenig schwitzen Aufsteiger immer

Es sind Tugenden und Umgangsformen, um die Aufsteiger sich bemühen, ohne sie je selbstverständlich zu beherrschen. Ein wenig schwitzen sie immer dabei. Alexander von Schönburg betrachtet diese Welt leider kaum von außen. Früher hätte man dem Milieu das Etikett des gehobenen Etagenadels aufgeklebt, heute, in der Berliner Republik, nennt man sie "Mitte-Menschen".

Dennoch wirkt das Bei-sich-Bleiben in diesem Buch nicht borniert. Das liegt zum einen daran, dass es kein Unter-sich-Bleiben ist, so oft auch von der Familie des Autors - Gloria von Thurn und Taxis! - und selbst den meisten "Mitte-Menschen" unerreichbaren Bekannten wie Henry Kissinger, Paris Hilton, André Kostolany die Rede ist. Vor allem aber hängt es damit zusammen, dass die Welt der absichtslosen Konversation, eines Smalltalks, in dem sich Gesellschaft selbst genießt, im "Selfie-Zeitalter" bedroht erscheint, beinahe schon vergangen.

Zu zahlreich die Experten, leicht zugänglich eine unüberschaubare Fülle des Spezialwissens, zu leicht die Bildung von Gemeinden, communities, die allgemeine Öffentlichkeit auf dem Rückzug - von Schönburg deutet all dies an, sodass sich sein Hohelied auf den glamourösen Smalltalk liest wie eine Verteidigung des städtischen Marktplatzes.

Alles, was man über Adel wissen muss

Großartig gelungen ist etwa das Kapitel "Zigeuner". Es beginnt mit einer Verteidigung des Wortes, führt nach Bukarest in den Sektor 5, "das mit Abstand ärmste und erbärmlichste Stadtviertel Europas", um mit einer Selbstaufklärung über romantische Projektionen zu enden. Über Adel steht in diesem Buch alles, was man allgemein wissen muss, der Rest ist ein Fall für Geschichtsschreibung oder yellow press. Enttäuschend dagegen die Behandlung des FAZ-Feuilletons, der Autor schreibt die Nachrufe auf Frank Schirrmacher fort und geizt mit pikanten Details und prickelnden Behauptungen. Nun gut, es ist ein "Chloroformthema".

Für die Berliner Seiten der FAZ hat Alexander von Schönburg einst gearbeitet, in den entschwundenen Zeiten, als Langeweile und Konsens die größten Bedrohungen zu sein schienen; als ein paar markige Sätze, gesprochen im Hotel Adlon, publiziert in "Tristesse Royale", noch provozieren konnten. Heute ist das popkulturelle Quintett zerstreut und Alexander von Schönburg leitet ein Ressort der Bild-Zeitung.

Dem Gegenüber zuzuhören, sie oder ihn zum größten Vergnügen aufzufordern, über das eigene Ich zu reden, Gesinnungspolizisten und "sarrazinmattussekhafte" Gestalten links liegen zu lassen - all das empfiehlt er Freunden des allgemeinen Gesprächs. In diesem, so das Versprechen des Buches, läutere sich auch das Verhältnis zu sich selbst. Man kommt mit sich ins Reine, wenn man akzeptiert hat, keinen anderen Anspruch zu haben, außer dem, den man durch Liebenswürdigkeit erwirbt.

Die helle Hose zeigte bald peinliche Spuren

"Smalltalk" besticht durch Bonmots - "Steuern sind das Wetter der Besserverdienenden" - und unterhält durch gute Geschichten: Ein Bekannter des Autors suchte Geldgeber für sein Internet-Start-up, am Tag eines wichtigen Treffens litt er unter Durchfall, die helle Hose zeigte bald peinliche Spuren. Er eilte zu Marks & Spencer, kaufte eine Hose, zahlte und rannte zum Bahnhof, um den Zug nach London nicht zu verpassen. Aber er hatte, wie er im Zug feststellte, die falsche Tasche gegriffen: ein Ballettröckchen war drin. Er zog es an, traf am Bahnsteig seine Geschäftspartner und erklärte sich nicht. Ein Megadeal belohnte seine Weigerung, sich zu schämen.

Dass urbane Öffentlichkeit von der Mischung aus Tutu und Selbstbewusstsein lebt, dass sie formsichere, bescheidene Schamlosigkeit voraussetzt, anders gesagt: ein gutes Feuilleton, davon überzeugt dieses unangestrengt unterhaltende Buch.

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