Scorsese-Ausstellung in Berlin:Konstruktionsplan fürs Kino

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Als Elfjähriger erdachte er sein erstes Storyboard: "Gangs of New York"-Regisseur Martin Scorsese

(Foto: AFP)

Bis heute sind seine Helden genauso beseelt und besessen, getrieben und zerrissen wie er: Das Berliner Museum für Film und Fernsehen widmet Martin Scorsese eine grandiose Ausstellung. Darin werden die Wurzeln des Regisseurs klug zur vielstimmigen Sinfonie eines Lebenswerks choreografiert.

Von Anke Sterneborg

Da ist also dieser kränkliche Junge, der häufig zuhause hockt, in den Fünfziger Jahren in Little Italy, New York. Er verfolgt die Filme, die sich vor seinem Fenster abspielen, flüchtet sich in die Geschichten, die er im Fernsehen sieht. Wie Martin Scorsese aus den Versatzstücken der Wirklichkeit im Laufe der Jahre seine ganz eigene Welt erschuf, kann man jetzt in Berlin in einer wunderbaren Ausstellung im Museum für Film und Fernsehen in der Deutschen Kinemathek erleben. Man kann dort allen Einflüssen auf sein Werk nachspüren, die Erfahrungen in der italienischen Großfamilie, die Rituale der katholischen Kirche und der Mafiagangster - und immer wieder die Musik und das Kino der anderen.

Die große Kunst der Kinematheks-Ausstellungen liegt darin, dass sie dem Betrachter kein festes Korsett schnüren. Bei Scorsese halten sich die Kuratoren Christine Jaspers und Nils Warnecke nicht an eine Lebenschronologie, sie haben zentrale Motive zusammengestellt, aus denen sich das Werk speist - einen Raum mit den Filmausschnitten, aus "Achteinhalb" etwa, auf die sich Szenen von Scorsese beziehen.

Entstanden ist die Idee zu dieser ersten Ausstellung über Scorsese, als der Regisseur im Sommer 2011 einige seiner Skizzen für eine große Storyboard-Ausstellung zur Verfügung stellte. Da bekamen die Kuratoren eine Ahnung von all den Schätzen, die der akribische Sammler aufbewahrt: mit Anmerkungen versehene Drehbücher, skizzenhafte Storyboards, die sich als präzise Konstruktionsanleitungen für die Filme erweisen, ein Kalender, in dem alle gesehenen Filme sorgfältig eingetragen sind.

Leihgaben von Robert De Niro

600 Exponate sind zusammengekommen, Filmausschnitte, auch Leihgaben aus den Sammlungen von Scorseses Kameramann Michael Ballhaus, Paul Schrader und Robert De Niro (der sich vertraglich immer seine Kostüme sichert), ein gelbes Kleid, das Cate Blanchett als Katherine Hepburn in "Aviator" getragen hat und Daniel Day Lewis' Lederhelm aus "Gangs of New York", und alles mit einem Audio-Kommentar von Scorsese und Michael Ballhaus.

Man spürt, wie auch in Scorseses Filmen, das Herzblut, das in allem steckt - wie der Mann und sein Werk sozusagen ineinanderfließen. Schon im ersten Storyboard, in dem er als Elfjähriger in Cinemascope den Sandalenfilm "The Eternal City" erdachte (er hat ihn, in Gedanken, mit Marlon Brando und Alec Guinness besetzt) fällt bei einer der Figuren der schwarze Vollbart auf, den der junge Regisseur ein paar Jahre später tatsächlich selber tragen wird. Bis heute sind seine Helden genauso beseelt und besessen, getrieben und zerrissen wie er, und es ist ein Verdienst dieser Ausstellung, dass sie die Verbindungslinien transparent macht, die Wurzeln und Inspirationsquellen so klug zur vielstimmigen Sinfonie eines Lebenswerks choreografiert, zu einem Lebensfilm.

Bis 12 Mai, Museum für Film und Fernsehen, Berlin, Potsdamer Str. 2., www.deutsche-kinemathek.de

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