Santigold im Konzert:Wider das Sexysoul-Diktat

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Wenn Santigold auftritt, kommen die bärtigen Björns und die ungeschminkten Kathrins, die Hiphopper in ihren langen Unterhemden und die ätherischen Clubwesen. Jeder, der die Magie eines Beats und eines dringenden Basslaufs erkennen kann, ist hin und weg.

Max Scharnigg

Vielleicht muss man schon über die Umstände berichten, die das Münchner Santigold-Konzert auf die Bühne des Backstage gebracht haben. Das ist zwar der größte, aber eben doch noch ein Indie-Club der Stadt und nicht ein ausgewachsener Konzertort wie das Zenith oder gar die Olympiahalle. Letztere wären gebucht gewesen, wenn die Dinge in Brooklyn vor vier Jahren anders gelaufen wären für Santi White, 35, gebürtig aus Philadelphia.

Santigold ist in Europa auf Tour (Foto: AP)

Damals hatte ihr Debüt-Album "Santogold" eine Schneise der Begeisterung durch die Clubs, Feuilletons und Musikblogs gezogen, alle beteiligten Produzenten wurden über Nacht berühmt. Ihr Sound in diesen Sommer 2008 war Clubmusik für Leute, die eigentlich keine Clubmusik hörten. Sie brauchte auch nicht unbedingt einen Club als Resonanzraum: Santi White schmolz Elektro, New Wave und ein bisschen Reggae ein und setzte jedem Track mit ihrer dunkelkratzenden Stimme ein Denkmal. Es waren alles Hits.

Danach sah aus, als wäre der Aufstieg in die Lady-Gaga-Liga nur noch Formsache, Black-Music-Könige wie Jay-Z umlagerten die zierliche Frau genauso wie angegrauter Urban-Hochadel von den Beastie Boys oder Fatboy Slim, alle wollten ein paar Takte, eine paar Silben von ihr, die doch gerade so überirdisch pulste. Und die Plattenfirma wollte ein nächstes Album, möglichst schnell, möglichst schaumgeboren.

Aber etwas in dieser Welle des Wohlwollens muss Santi White am Kopf getroffen haben. Sie machte noch ein paar Kollaborationen, änderte ihren Namen nach einem Rechtsstreit von Santogold auf Santigold - und dann war es still in dem bürgerlichen Viertel Brooklyns, in das sie sich mit einem endlos klingelnden Handy zurückgezogen hatte. Writers Block, Burn Out, was immer es war, es dauerte vier Jahre. Vier Jahre, bis ein Nachfolge-Album fertig war, vier Jahre, die jeden Aufstieg das Attribut "kometenhaft" kosten.

Kein Hipster-Ding

Deswegen ist also nur das überhitzte Backstage ausverkauft an diesem Abend, in diesem zweiten Sommer, den Santigold der Welt schenkt. Gekommen sind die bärtigen Björns und ungeschminkten Kathrins, die das friedliche Füllmaterial aller Szene-Viertel der westlichen Welt darstellen. Aber auch Hiphopper in ihren langen Unterhemden und jene ätherischen Clubwesen, die sonst eigentlich erst weit nach Mitternacht auf der Tanzfläche auftauchen. Vielleicht ist das Santigolds größtes Verdienst, dass sie ihre szeneübergreifende Gesinnung auf dem zweiten Werk "Master of my Make-Believe" noch ausbaut.

Kein Hipster-Ding, nichts, wofür man einen Abschluss im Urban Sound haben muss, nicht mal ein Ohr an der Straße ist wichtig, um sie verehren zu können. Jeder, der die Magie eines Beats und eines dringenden Basslaufs erkennen kann, ist gleich hin. Sie selbst steht in der Mitte der kleinen Bühne und sieht aus wie eine Mischung aus Indianerhäuptling und B-Boy. Das Sexysoul-Diktat, nach dem schwarze Frauen bis heute auf der Bühne auch lasziv funktionieren müssen, wenn sie in der Königsklasse spielen wollen, lehnt die kleine Lichtgestalt ab. Zwar hat sie zwei Tänzerinnen neben sich, aber in ironisch fransigen Radlerhosen und mit einer Choreografie, die in ihrer eckigen Ungelenkheit an die Augsburger Puppenkiste erinnert.

Dieses herausfordernde "Aj-Aj-Aj!"

Kritische Ironie, mit der Santigold Themen wie Schönheitswahn, Occupy-Bewegung und junge Hoffnungslosigkeit verarbeitet, gehörte bei ihr von Beginn an dazu. Sie ist nicht so streng wie Kollegin M.I.A. und nicht so radikal wie Peaches, und trifft damit genau das, was heute alle wollen: Feiern, aber mit erhobenen Zeigefinger. Es muss getanzt werden. Die Sängerin holt sich fünfzig Mädchen aus dem Publikum auf die Bühne, schafft so eine zappelnde Matrix fürs nächste Lied, an dessen Ende sie verschwindet, so dass den Tänzerinnen und dem restliche Publikum nichts übrig bleibt, als sich gegenseitig zu beklatschen und zu fotografieren.

"Disparate Youth", so heißt auch ein Song. Geniehaft sind die afrikanischen Einsprengsel der Rhythmusgruppe, die die Hitze sofort verdoppeln, die immer klugen Off-Beats, die auf der Platte noch schärfer herumknallen als beim Konzert. Dann diese gutturalen Laute, die fast jedes Lied akzentuieren, dieses herausfordernde "Aj-Aj-Aj!" mit dem Santi White alle Bewegung im Raum auf sich ziehen kann. Am besten ist ihre Reibeisen-Stimme, wenn sie nicht nur treibt und shoutet, sondern auch Zartheit kennt, wie beim etwa bei "Lights Out", einer Hymne von der ersten Platte. Dann sind Jay-Z und Occupy vergessen und es ist einfach nur noch Musik zum Sommer in der Stadt.

© SZ vom 20.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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