"Salome"-Inszenierung in Köln:Erotische Dunstabzugshaube

Katharina Thalbach inszeniert Strauss - und tappt dabei in die Falle zwischen Unschuldsvermutung und Anmut.

Von Jörg Königsdorf

Schon Richard Strauss selbst wurde es zu viel: Angesichts des Ehrgeizes, den die Darstellerinnen seiner "Salome" schon bald nach der Dresdner Uraufführung im Dezember 1905 entfalteten, wies der Komponist verärgert darauf hin, dass der berühmte Schleiertanz der Hebräerprinzessin eher andeutend, in würdigen, gemessenen Bewegungen auszuführen sei und verbat sich den trivial-pornografischen Missbrauch dieser Paradenummer.

Strauss ging es dabei nicht um die Wahrung wilhelminischer Moralmaßstäbe - vielmehr wird er bei seinem Protest die Glaubwürdigkeit seiner Oper im Sinn gehabt haben, wissend, dass die sündige Ausstrahlung seiner Titelheldin in ihrer Unschuld wurzelt. Dass nur diese kindliche Unbewusstheit den verlebten Despoten Herodes so sehr faszinieren kann, dass er für einen Tanz sein halbes Königreich zu opfern bereit ist.

Strauss' Appell blieb, wie gesagt, weitgehend wirkungslos: Bis heute scheitern die meisten "Salome"-Inszenierungen daran, dass sie Unschuldsvermutung und Geheimnis der Hauptfigur preisgeben und den Schleiertanz zum mehr oder minder peinlichen Table-Dance degenerieren lassen. Auch Katharina Thalbach tappt an der Kölner Oper in diese Falle: Ihre Prinzessin demonstriert Kenntnisse, auf die jede Hausfrau neidisch sein kann: Mit allem, was die Vorratskammern hergibt, wird gemanscht und geknetet; reife Nektarinen werden mit den Hinterbacken zerdrückt, zäher Hefeteig landet zum furiosen Finale zwischen Schenkeln und Brüsten.

Hauptsache Bewegung

Zugleich zeigen diese neun Minuten auch, wie Thalbach, die hier immerhin ihre vierte Operninszenierung vorlegt, sich dem Musiktheater nähert: Sie tut es wie schon in ihrem Berliner "Don Giovanni" und ihrer Version von Janáceks "Schlauem Füchslein" mit den Mitteln der Boulevardkomödie. Pittoreske Schtetl-Juden, Scheichs und Turbanträger, langbärtige Jesus-Freaks und befrackte Butler, das ganze Personal wird im offenen Küchenraum des Palastes nach dem Prinzip größtmöglicher Turbulenz durcheinander gewirbelt: Hauptsache Bewegung.

Wenn etwa Herodes (Josef Protschka) seiner Stieftochter versteckte Juwelen verspricht, schießt seine Gattin Herodias (Dalia Schaechter) wie von der Tarantel gestochen los und durchforstet zwecks allgemeiner Erheiterung Backofen und Dunstabzugshaube nach den begehrten Preziosen.

Glaubwürdige Figuren findet man dabei nicht. Selbst eine charismatischere Salome als die sehr schön singende und sorgfältig artikulierende Camilla Nylund wäre vermutlich an der Aufgabe gescheitert, auf der einen Seite die Sexpertin im Scheherazade-Kostüm, auf der anderen die maulige Göre mit Colaflasche zu mimen. Die Anziehungskraft, die der struppige Prophet Jochanaan (laut und ungenau: Bernd Weikl) auf sie ausübt, wird, wie so vieles, nicht einmal andeutungsweise plausibel.

Tu quoque, spectator

Die entscheidende Frage, was diese Oper jenseits ihrer bloßen, längst zum Klischee erstarrten Spieloberfläche bedeuten könnte, stellt Thalbach in keinem Moment. Die aufgeschichteten Sandsäcke auf Momme Röhrbeins Bühne behaupten zwar einen Belagerungszustand, doch eine sinnstiftende Verbindung zwischen Ausnahmezustand und extremer Reaktion findet nicht statt. Die Bühne nimmt die Holztäfelung des Zuschauerraums auf - was wohl bedeutet, dass mit dem fröhlichen Mummenschanz wir selbst gemeint sein sollen, irgendwie.

Dabei hätte Thalbach nur ein wenig zuhören brauchen. Denn Markus Stenz, Kölns neuer Generalmusikdirektor, weiß genau, was er mit Strauss' Musik sagen will. Stenz, der sich vor allem als Dirigent der Opern Hans Werner Henzes international etablierte, sieht bei Strauss schon die Disparatheit der heraufziehenden Moderne, ein Mahlersches Nebeneinander unvereinbarer Welten.

Die orientalisierenden Motive, die Schwärmereien des jungen Hauptmanns Narraboth (Wolfgang Bünten) zeichnet er mit überfeinerter Linearität nach, mischt Decadence und Ennui, lässt die Phrasen schlaff auslaufen - spielt die Begleitmusik einer Gesellschaft, die schon von innerer Fäulnis zersetzt ist und keine Kraft mehr besitzt, sich aus eigenem Antrieb zu erneuern. Ein fragiles Netz, in das die grellen Orchesterakkorde und Klangballungen, die Stenz in ihrer ganzen muskulären, Henzes "Bassariden" vorwegnehmenden Hässlichkeit ausspielen lässt, immer wieder Löcher reißen.

Es ist ein spektakulärer, auf faszinierende Weise lähmender Balanceakt: Am Ende reicht eine einzige, geistesblitzartig auf Salomes "Allein, was tut's" aufsteigende Klarinettenstimme, um dieses labile Gleichgewicht im Moment der Erkenntnis zusammenkrachen zu lassen und in einen glorios leuchtenden Schluss zu führen - in die Morgenröte einer neuen Zeit.

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