Philip Roth: Die Demütigung:Letzte Vorstellung

Ein Schauspieler kann nicht mehr spielen und klammert sich an eine Lesbe, die keine mehr sein will - das kann ja nur schief gehen: Roth erzählt meisterhaft von einem tödlichen Spiel.

Christopher Schmidt

"Die Sache ist die: Konstantin Gawrilowitsch hat sich erschossen." So lautet der letzte Satz in Anton Tschechows "Die Möwe", einem Theaterstück, das Tschechow trotz des tödliches Endes als Komödie verstanden wissen wollte.

Mit Mitte 20 hat Simon Axler Tschechows in der Kunst und in der Liebe gescheiterten jungen Schriftsteller am Broadway gespielt, und für ihn war die Rolle des zu Tode Verzweifelten die Geburtsstunde seiner Bühnenkarriere, die ihn zu einem der ganz Großen des amerikanischen Theaters machte. Vierzig Jahre ist das jetzt her, und genau so lange hat es gedauert, bis Konstantins Selbstzweifel zu seinen eigenen geworden sind, als hätte er, der stets stark, strahlend und wie unbesiegbar auf der Bühne wirkte, die ganze Zeit über den Virus des Versagens in sich getragen, als wäre seine so ungebrochene Laufbahn nur die Inkubationszeit gewesen, bis die Krankheit zum Tode auch bei ihm ausbricht.

Zuschauer des eigenen Verfalls

Von einem Tag auf den anderen kann Simon Axler nicht mehr spielen. "Er hatte seinen Zauber verloren", heißt der erste Satz in "Die Demütigung", dem neuen Roman von Philip Roth, und die Magie, um die es geht, besteht darin, etwas Vorgestelltes in etwas Wirkliches zu verwandeln, so zu tun, als hielte man eine Teetasse in der Hand, und die Leute glauben zu machen, sie sei wirklich da. Doch seit Axler als Prospero schlimm gescheitert ist und sich als Macbeth regelrecht blamiert hat, wird er sie nicht mehr los, diese schlaue, kleine Stimme, die ihm ins Ohr flüstert: "Es gibt keine Teetasse."

Simon Axler, dieser hünenhafte, vor Energie und Selbstsicherheit strotzende Theatergott, ist am Ende; er will nicht mehr, nicht mehr spielen und nicht mehr leben. Als er nach 26 Tagen die psychiatrische Klinik wieder verlässt, die er aufgesucht hatte, zieht er sich auf seine Farm Upstate New York zurück, und, anstatt eine neue Rolle für sein Leben zu finden, wird er zum Zuschauer seines fortschreitenden Verfalls.

"Du hast dein Talent zeitweilig verlegt, das ist alles", beruhigt ihn sein Agent Jerry, der gekommen ist, um Simon zu einem Comeback zu überreden. Mit Hilfe eines erfahrenen Coachs und in der Paraderolle des James Tyrone aus Eugene O'Neills "Eines langen Tages Reise in die Nacht", soll er zurückfinden zu seinem alten Selbst.

Doch Simon ist längst auf seiner eigenen Reise in die Nacht, denn seine Frau Victoria hatte nicht die Kraft, ihn aufzufangen. Sie floh an die Westküste zu ihrem drogenabhängigen Sohn. Nach dessen Tod wird die Ehe geschieden. Fortan ist das einzige lebende Wesen in Axlers Nähe ein struppiges, beinahe farbloses Opossum, das sich in der Scheune eingenistet hat und dem, wie Axler feststellt, sechs Zweige genügen, um sich häuslich einzurichten in seinem Bau. "So also wird's gemacht, dachte er. Ich habe zu viel. Man braucht nur sechs."

Wie Schauspieler sind Opossums nachtaktive Lebewesen, und sie sind Schmarotzer. Im Buch, das aufgebaut ist wie eine klassische Novelle, wird das Opossum zum hämischen Vorboten, dass Simon Axler seine Nemesis erst noch bevorsteht, dass er noch einmal raus muss auf die Bühne, diesmal auf die des Lebens, und dass ihn dort eine mit allen Wassern gewaschene Schauspielkünstlerin herausfordert.

Denn eines Tages steht Pegeen vor seiner Tür, die Tochter befreundeter Schauspielerkollegen, mit denen Axler zusammen auf der Bühne stand, als Pegeen noch ein kleines Mädchen war. Nun ist sie eine vollbusige Frau von vierzig Jahren, die ihre Weiblichkeit freilich mit burschikosem Outfit und kurzgeschorenem Haar verleugnet und an einem Frauen-College in Vermont unterrichtet. Ihre Beziehung ging in die Brüche, als Pegeens Freundin entdeckte, dass sie in einem falschen Körper lebt, und begann, für eine Geschlechtsumwandlung zu sparen.

Genauso berechnend, wie Pegeen eine Affäre mit der Dekanin benutzte, um den Job am College zu ergattern, wird sie den Schauspieler als Wirtskörper benutzen, um ihr angeknackstes Ego wiederherzustellen. Instinktiv wie das Opossum in der Scheune spürt sie, dass Axlers Abwehrkräfte geschwächt sind.

Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre, und eine Zeit lang lässt Pegeen ihren "Sugardaddy" glauben, er besitze als Mann die magischen Fähigkeiten, die ihm als Schauspieler abhanden gekommen sind, und könne tatsächlich "Lesben umpolen". Ja, Simon versteigt sich in seinem Liebeswahn sogar zu Träumen von einem gemeinsamen Kind und einer Rückkehr auf die Bühne, und zwar in der Rolle des James Tyrone, der das Urbild des amerikanischen pater familias ist.

Bis Pegeen, die Kindfrau, die "ausgekochte Naive", irgendwann den Plastikbeutel mit ihrem Sexspielzeug auf dem Bett ausleert und sich den grünen Gummidildo umschnallt. Die nächste Demütigung steht Axler bevor, als das ungleiche Paar gemeinsam eine angetrunkene Blondine in einer Bar abschleppt.

Doch da ist er ihr bereits zu sehr verfallen, um noch den Verdacht zuzulassen, der ihn einmal bei einem der gemeinsamen Shoppingzüge durch Manhattan befiel. Während er sich vormacht, der Mann zu sein, der Pegeen lediglich half, "die Frau zu sein, die er begehrte, anstatt eine Frau, die andere Frauen begehrten", dämmert ihm, dass seine Rolle als Pygmalion, der sich ein Geschöpf nach seiner Lustphantasie erschafft, eine Illusion ist, weil "in Wirklichkeit sie diejenige war, die ihn vollständig unter Kontrolle hatte, die ihn ergriffen und übernommen hatte." Und dass dies seine letzte Illusion sein könnte, die letzte Falle, die zuschnappt und ihn dazu verurteilt, "mit sechs Zweigen in seinem Loch zu sitzen, allein und ohne Lebenswillen."

Qualvoll erotisch

Was für sie nur ein Experiment ist, ist für ihn Schicksal, und das obwohl er Pegeen durchschaut. Mit erbarmungsloser erzählerischer Konsequenz lässt Philip Roth in "Die Demütigung" seine Grundthemen, Altern und Sterben, Selbsttäuschung und neurotische Männlichkeit, angereichert mit dem Ferment einer qualvollen erotischen Travestie, in der Theater-Metapher zusammenschießen:

Dass wir zwar jede Rolle spielen, aber nicht jede leben können. Dass die Freiheit, die Partner ebenso wechseln zu können wie die sexuelle Orientierung, auf einer Täuschung beruht. Und dass das Leben nicht aus Optionen besteht, sondern aus Prägungen.

Simon Axler, der auf seine verwirrende Biographie "aufgespießt war wie auf einen Pfahl", zeigt exemplarisch, dass man seine entscheidenen Fehler genauso wenig zu vermeiden vermag, wie sich ein Schauspieler "die schlechte Vorstellung vom Abend noch einmal vornehmen und verbessern" kann. Kaum je hat Philip Roth die hämische Macht des Fatums so profund und literarisch meisterhaft vorgeführt wie in "Die Demütigung", einem Roman, der das Leben als grimmige Komödie entlarvt: zutiefst lächerlich und schmerzhaft zugleich.

Am Ende des Buches wird Simon Axler einen letzten Triumph als Schauspieler erringen. Diesmal aber nicht, indem er so tut, als sei etwas nur Vorgestelltes wirklich, sondern indem er so tut, als wäre das Wirkliche nur vorgestellt. Oder, um es mit Tschechow zu sagen: Die Sache ist die, Simon Axler hat sich erschossen.

PHILIP ROTH: Die Demütigung. Roman. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2010. 144 Seiten, 15,90 Euro.

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