Pferde-Show: Magnifico:Mein Königreich für ein Horn

Ein geflügeltes Einhorn? Wirklich? Der Kulturjournalist schielt bei André Hellers Zeltspektakel "Magnifico" schon mal auf den Notausgang. Doch wo sonst könnte man so schön lernen, wie Pop heute funktioniert?

Andrian Kreye

Ein geflügeltes Einhorn? Echt? Man ist natürlich versucht, sich erst einmal lustig zu machen über André Hellers Zeltspektakel Magnifico. Und wenn der Wiener Monumentalpoet bei der Weltpremiere in einer kragenlosen Nehru-Jacke die Bühne betritt und in seinem weinerlichen Wienerisch das Publikum bittet, doch "ganz viel positive Energie" zu schicken, schielt man als Kulturjournalist schon mal nach dem Notausgang. Aber dann hätte man gar nicht erst kommen sollen. Und man würde eine exemplarische Gelegenheit verpassen, einen essentiellen Kern der Popkultur zu studieren.

Premiere Magnifico

Das Einhorn wird glücklicherweise nur sehr kurz von einem Prinzessinenwesen durch den Bühnennebel geleitet.

(Foto: dpa)

André Hellers Magnifico gehört in dieses eigenartige Genre großer Unterhaltungsereignisse, das gerade in Deutschland die Straßen mit allgegenwärtigen Großplakaten dominiert. In München ist es derzeit zum Beispiel unmöglich, den riesigen Bildern ebenjenes geflügelten Einhorns über dem glimmenden Magnifico-Schriftzug zu entkommen. Das ist durchaus ein Indiz dafür, dass es sich hier um ein dominierendes Pop-Genre handelt, auch wenn sich die Kulturkritik mit solchen Formen generell schwertut. Was vor allem daran liegt, dass die meisten Kulturkritiker einen angelsächsisch geprägten Popbegriff haben, der sich auf die klar definierten Formen der Musik, des Films und der zeitgenössischen Kunst konzentriert. Die Hallen, Zelte und Stadien füllen aber nicht nur die Rolling Stones und U2, sondern mindestens ebenso verlässlich Shows wie Stomp, Blue Man Group, das Pferdeballett Apassionata und vor allem natürlich die Produktionen des kanadischen Cirque du Soleil.

André Heller hat das Genre 1976 mit dem Circus Roncalli erfunden. Später versuchte er mit Flic Flac, Begnadete Körper und Luna Luna die Deutungshoheit über das Genre zu behalten. Da gab es aber bald schon den Milliardenkonzern des Cirque du Soleil, der Hellers Grundidee, Revuetheater, Zirkus und Kirmes zu einem neuen Popmonumentalismus zu verbinden, weltweit vermarktete. Die neue Messlatte legen nun die Eröffnungsgalas großer Weltsportereignisse. Da war Heller bei der Fußball-WM in Deutschland zwar selbst federführend beteiligt. Unerreichbar bleibt aber erst einmal die Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking vor zweieinhalb Jahren.

Das Einzige, was all diese Shows gemeinsam haben, ist ihre Funktion als Destillat der Popkultur. Wer so eine Show produziert, dem bleibt nichts anderes übrig, als die konsensfähigsten Elemente des Pop zu finden. Magnifico hat zum Beispiel rund 20 Millionen Euro gekostet.

Eigentlich befriedigen diese Shows ja das Bedürfnis eines Massenpublikums nach einem Bühnenerlebnis, ohne sich auf die Musikwelt eines einzelnen Stars oder einen Erzählbogen einlassen zu müssen. Bisher reichte es, die Befreiung aus der musikalischen oder narrativen Klammer mit den bewährten Zirkuseffekten Komik, Akrobatik und Exotik auszugleichen.

Pop funktioniert aber nicht mehr so eindimensional. Pop ist längst ein komplexes Flechtwerk aus Referenzen und Selbstreferenzen. Der Filmemacher Kirby Ferguson illustriert das sehr eindrücklich in einer vierteiligen Internetvideo-Serie mit dem Titel Everything is a remix (www.everythingisaremix.info). Egal ob Hip-Hop, Star Wars oder eben Magnifico, zu den reinen Gefühls- und Effektebenen gehört seit einigen Jahren die Referentialität, also das Sprechen in Zitaten, der Verweis auf Altbekanntes zum Vokabular des Pop.

Dabei soll diese Ebene nicht zur Analyse einladen. In Popwerken andauernd nach den Quellen zu suchen, ist eine déformation professionelle von Kulturjournalisten, Nerds und Zwangsironikern. In Musik und Shows fungieren Referenzen als unterbewusste Anker in der eigenen Vergangenheit. Das ist das Grundmotiv einer Suchmaschinenkultur, in der man lieber zielgerichtet nach Ähnlichkeiten forscht, statt Neues zu entdecken.

Nun bekommt man das bei Heller mit einer gehörigen Portion Bildungswahnsinn serviert. Die eigentliche Klammer des Einhorns spielt in der raschen Folge der dreißig Bilder eigentlich keine Rolle. Lediglich das Pferdemotiv zieht sich als roter Faden durch den Abend. Ansonsten hat Heller den gesamten Kulturkanon eines Konversationslexikons in die Revue gesteckt. Das reicht von Johann-Strauß-Walzern und symphonischen Häppchen von Beethoven, Bach und Mozart über Videos im Stile von Muybridge, Dalí, Picasso und Verner Panton bis zu aktuellen Referenzen an T-Shirts von Ed Hardy, Michel Gondrys Actionfilm Green Hornet, Gwen Stefanis Harajuku Girls und David LaChapelles Glanzlack-Ästhetik.

Die innere weiße Fahne gehisst

Die Anzahl der Pferdenummern hält sich dabei in Grenzen, obwohl Produzent Marcel Avram von Heller ja eigentlich eine Pferdeshow wollte. Zum Glück. Mit Pferdenummern weckt man weniger das Kind im Erwachsenen als den Backfisch, jenes verwirrt-melancholische Wesen kurz vor der ersten Mädchenblüte. So sind die Pferdeballettpassagen für jeden, der nicht buchstäblich oder emotional in einem Blümchenzimmer voller Pferdeposter lebt, durchweg langweilig. Die Leistung zweier Schimmel, zu Walzerklängen sechs Schritte seitwärts zu laufen, relativiert sich, wenn man gerade ein Dutzend chinesische Artisten gesehen hat, die zu Elektrobeats eine atemberaubende Jonglier-Choreographie hingelegt haben. Heller gibt im Programmheft sogar selbst zu, dass ihm die Pferdeakrobatik eigentlich zu begrenzt ist.

Der Kitsch, das Pathos

Im Kern funktioniert Magnifico ähnlich wie Klassikradio oder Teufelsgeiger á la David Garrett - das ist genuiner, kontinentaleuropäischer Pop, in dem die angelsächsischen Importe nur eine Nebenrolle spielen. Sicher gibt es auch bei Heller den Kitsch, das Pathos, die Verhackstückung großer Werke in Schlüsselreizhäppchen. Heller scheut da auch nicht vor Formen zurück, die von den Meinungsführern des Pop längst zu Treppenwitzen degradiert wurden. Da gibt es Breakdancer, Pantomimen, diese albernen Riesenpuppen aus Pappmaché, mit denen sich schon so mancher Protestmarsch diskreditiert hat, und immer wieder viel zu große Gesten.

Doch gerade Pathos ist bei solchen Shows ein wichtiges Element. Zum Glück stammt André Heller aus Wien, da wird das Pathos traditionell vom Dreiverteltakt abgefedert. Bei der Münchner Premiere beunruhigte es zwar etwas, dass nach vergeblichen Versuchen der Breakdancer und der Flamencotruppe, die Menge zum Mitklatschen zu bringen, das Publikum bei den Defiliermärschen in den militärischen Takt einfiel. Doch man sollte in die Mentalitätsunterschiede zwischen Dreiviertel- und Zweivierteltakt-Ländern nicht gleich historische Tiefen hineininterpretieren. Wie gesagt, bei Magnifico geht es nicht um die Interpretation.

Trotzdem muss man diesem kontinentaleuropäischen Pop gerade im Vergleich mit dem kanadischen Cirque du Soleil zugestehen, dass er bei seinem Massenpublikum ein ziemlich hohes Bildungsniveau voraussetzt. Es geht nicht darum, dass jeder die Chiffren in den Bildern von Magnifico entschlüsseln kann. All diese Chiffren sollen auf ein kollektives Unbewusstes wirken, an dem 400 Jahre lang ein gewaltiger Kulturkanon vorübergerauscht ist. Es wäre reiner Dünkel,

den Erfolg eines solchen Phänomens als Indiz für die Verwässerung des Kanons und die Verblödung der Massen zu interpretieren. Klassikradio, David Garrett und "Magnifico" sind die Antipoden zur Mär von Volksverdummung und pöbelhafter Unterschichtenkultur.

Nach über zwei Stunden Sperrfeuer aus Bildern, Akrobaten und Musik stellt sich bei Magnifico allerdings eine Ermattung ein, als würde man einem wie auch immer Berauschten gegenübersitzen, der einen viel zu lange mit selbstverliebten Monologen belästigt. Wenn kurz vor Schluss noch einmal ein Trupp mit großen Pappbauteilen hereintänzelt, die das Pferd aus Picassos Guernica bilden, hat man innerlich schon die weiße Flagge gehisst. Ja, Heller! Noch eine Pferde-Idee von hochkulturellem Wert!

Dann kommt das Einhorn. Gnädig kurz wird es von einem Prinzessinnenwesen durch den Bühnennebel geleitet. Und schon füllt sich die Bühne zum finalen Verbeugen mit sämtlichen Clowns, Artisten und Akrobaten, die sich umarmen, winken, tanzen, wie man es vom Finale der amerikanischen Comedy Show Saturday Night Live kennt. Oder eben nicht.

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