Oscars 2013:Hollywood entdeckt die Wirklichkeit

Oscars - Vorbereitungen

Wer wird in diesem Jahr den Academy Award bekommen? Die Vorbereitungen für die Oscar-Nacht vor dem Dolby Theater in Los Angeles laufen auf Hochtouren. 

(Foto: dpa)

Der rote Teppich ist schon ausgerollt - der Countdown für die Oscar-Nacht am Sonntag läuft. Feierte Hollywood 2012 den Zauber der Vergangenheit, zeichnen sich die Filme 2013 durch mehr gegenwärtige Relevanz aus. Für das Kino ist das ein Gewinn.

Von Paul Katzenberger

Im Februar steht die Filmwelt jedes Jahr gleich zwei Mal Kopf: Immer wenn die Berlinale gerade zu Ende gegangen ist, steht bereits das nächste, weltweit ungleich bedeutendere Großereignis ins Haus - die Oscars. Diese Abfolge ist etwas kurios, denn die Berlinale gilt neben Cannes und Venedig als das politischste der drei Großfestivals, bei den Oscars feiert sich das Kino hingegen vor allem selbst. Statt "Inhalt vor Form", wie bei der Berlinale, gilt am Sunset Strip vor allem "Form vor Inhalt".

Ihrem Ruf wurde die Berlinale in diesem Jahr erneut gerecht - von der Finanzkrise über den nachlassenden gesellschaftlichen Zusammenhalt bis zu vergessenen kriegerischen Konflikten in fernen Ländern griff sie die politisch brisanten Probleme dieser Welt auf.

Ernst und Schwermut statt Traum und Nostalgie

Bei den Oscars hat sich allerdings etwas verändert - bei den Anwärtern für den Academy Award geht es in diesem Jahr um ungewöhnlich viele ernsthafte Themen: Steven Spielbergs "Lincoln", der vordergründig die Abschaffung der Sklaverei, im Kern aber die bis heute relevanten Mechanismen der Demokratie behandelt, tritt mit seinen zwölf Nominierungen in der Kategorie "Bester Film" an gegen "Argo" von Ben Affleck (sieben Nominierungen) und "Zero Dark Thirty" von Kathryn Bigelow (fünf). Er trifft damit auf zwei Filme, die sich mit der wohl größten außenpolitischen Bürde der USA in den vergangenen drei Jahrzehnten befassen: der Herausforderung durch die islamische Welt.

Nicht immer hatten die Oscars diese Schwerblütigkeit - im vergangenen Jahr etwa feierte die Academy vor allem die Vergangenheit und zwar mit verklärtem Blick: Die mit jeweils fünf Oscars ausgezeichneten Hauptgewinner "The Artist" von Michel Hazanavicius und "Hugo Cabret" von Martin Scorsese waren beide in erster Linie elegische Märchen, die in den 1920er und 1930er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielten und zum Träumen einluden. Relevante politische Fragen stellten sie keine. War die Verleihung also ein einziges großes Zugeständnis an die Nostalgie - neben den genannten Filmen entbehrten auch "Midnight in Paris" und Steven Spielbergs Kriegsfilm "Gefährten" nicht einer vergangenheitsorientieren Rührseligkeit - so sind die Themen in diesem Jahr von gesellschaftlicher Relevanz.

Irritationen in Connecticut

Denn schon seit Wochen befeuern die für den Oscar nominierten Filme in den USA große gesellschaftliche Debatten. Bigelows "Zero Dark Thirty" löste eine landesweite Diskussion darüber aus, ob es für das Aufspüren von Osama bin Laden notwendig war, seine ins Netz der CIA gegangenen Hinterleute zu foltern. Bigelow musste sich scharfe Vorwürfe gefallen lassen, sie rechtfertige in ihrem Film die Folter, was die Regisseurin wiederum vehement bestritt. Sie lehne die Folter klipp und klar ab, wolle aber auch nichts beschönigen, sagte sie.

Spielberg sorgte mit "Lincoln" sogar für Unruhe in der amerikanischen Tagespolitik: In dem Drama werde fälschlicherweise dargestellt, wie zwei Abgeordnete des Einzelstaates Connecticut gegen den Verfassungszusatz zur Abschaffung der Sklaverei gestimmt hätten, monierte Joe Courtney, Congress-Abgeordneter in Connecticut. Unterstützung erhielt der Demokrat von der angesehenen Leitartiklerin der New York Times, Maureen Dowd. Sie forderte Spielberg auf, die Szene bis zur Veröffentlichung der DVD zu korrigieren.

Die Kinokassen klingeln

Wenn es in den Feuilletons raschelt, dann sorgt dies für öffentliche Aufmerksamkeit und so ist die Frage "Hast Du schon .... gesehen?" in diesem Jahr sicher häufiger gestellt worden als in manchem anderen Oscar-Jahrgang.

Lag 2012 unter den neun nominierten Filmen in der Kategorie "Bester Film" bis zur Oscar-Nacht lediglich "The Help" über der 100-Millionen-Dollar-Schwelle bei den Erlösen an den amerikanischen Kinokassen, so sind es in diesem Jahr bereits fünf Wettbewerber: "Argo", "Les Miserables" "Lincoln", "Django Unchained" und "Life of Pi" nahmen die Hürde, wobei "Zero Dark Thirty" und "Silver Linings" in Kürze folgen werden.

Für die Frage, wie relevant das Kino für die künstlerische Auseinandersetzung mit essenziellen Menschheitsthemen eigentlich noch ist, ist das eine gute Nachricht.

Mit "Les Miserables" und "Silver Linings" werden zwar ebenfalls wieder Tränendrüse und Gemüt angesprochen, doch gegen eine Beimischung von circa 20 Prozent Rührstoff in die Oscar-Königsdisziplin ist ja auch nichts einzuwenden.

Zwischen Kommerz und Kunst

Dass das Bedeutsame dieses Jahr eindeutig überwiegt, wird die Oscar-Verleihungen 2013 gegenüber dem Vorjahr wahrscheinlich künstlerisch aufwerten - neben dem schon eingetretenen kommerziellen Erfolg. Den künstlerischen Mut, ein so trocken anmutendes Thema aufzugreifen, wie die Politik im US-Kongress des 19. Jahrhunderts, können sich wahrscheinlich nur so etablierte Filmemacher wie '"Lincoln"-Regisseur Steven Spielberg und Darsteller Daniel Day-Lewis leisten. Sie sind so arriviert, dass ihnen ein ernstes Thema als Vorteil ausgelegt wird, während andere damit in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würden - zumal "Lincoln" wirklich Längen aufweist.

Ein so vielseitiger Regisseur wie Ang Lee darf schon mal eine philosophisch-religiös inspirierte Parabel über einen unbekannten Jungen machen, der mit einem Tiger übers Meer schippert ("The Life of Pi"). Im Regelfall lässt sich mit solchen Stoffen kein Vermögen an der Kinokasse erwirtschaften, von einem Oscar ganz zu schweigen.

Bei aller Kritik, die man an Filmen wie "Lincoln", "Argo" und "Zero Dark Thirty" mit ihren holzschnittartigen Protagonisten amerikanischer Couleur haben kann, ist die Oscar-Verleihung 2013 für das Kino ein Hoffnungssignal: In einer Zeit, in der die digitalen Versuchungen einen Kinobesuch vergleichsweise unattraktiv erscheinen lassen, und das amerikanische Fernsehen mit TV-Serien wie "E.R." oder "The Wire" zuletzt viel dichtere und komplexere Geschichten erzählte als das Kino, hat Hollywood mal wieder eigene Themen auf die öffentliche Agenda gesetzt. Wenn sich all die Regisseure, die in diesem Jahr eine Rekordzahl von Sequel-Schrott ("Hangover 3", "Iron Man 3") ins Kino bringen, davon ermutigen lassen würden, ginge vom Oscar 2013 ein positives Signal aus.

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