Oscar-Verleihung:Goldregen für die Nostalgie

Warum hat bei der 84. Oscar-Verleihung mit "The Artist" ein Stummfilm die wichtigen Preise abgeräumt? Einmal mehr siegt mit Meryl Streep die meistnominierte Hollywoodschauspielerin aller Zeiten. Und dann war da noch dieser öde Moderator: Wieso nur müssen die wichtigsten Filmpreise der Welt in solch langweiligem Ambiente verliehen werden?

Ruth Schneeberger und Paul Katzenberger

Einen passenden Moderator für die Oscars zu finden, scheint eine ähnlich schwierige Aufgabe zu sein wie die Neubesetzung von Wetten, dass..?.

Mit Anne Hathaway und James Franco 2011 hätte eigentlich frischer Wind in die angegraute Veranstaltung gebracht werden sollen, was gescheitert ist, weil die beiden Hollywoodschauspieler zwar jung, hip und schön, als Moderatoren aber gähnend langweilig waren. In diesem Jahr wollte man bei den altehrwürdigen Academy Awards wieder auf Nummer sicher gehen. Nachdem Eddie Murphy abgesagt hatte, wurde als Entertainer Billy Crystal engagiert - zum neunten Mal bereits. Ihn hat man zwar schon lange nicht mehr auf anderen Bühnen gesehen, aber diese seine Paraderolle würde er meistern. Sollte man meinen.

War aber nicht so. Jedenfalls nicht wirklich. Die 84. Oscar-Verleihung war - einmal mehr - gähnend langweilig. Was vor 80 Jahren und auch vor 40 und sogar vor 20 Jahren noch die Gemüter erhitzte, Filmfans in Wallung versetzte, Schauspieler hat erzittern lassen und das Fernseh- und Kinopublikum in Rage brachte, ist inzwischen, man muss es einmal mehr betonen, zu einer Veranstaltung geworden, die ein Problem hat.

Wenn Billy Crystal, der in zwei Wochen seinen 64. Geburtstag feiert, als Moderator fünf Minuten lang über die Bühne tanzt und singt, dann ist das einfach nicht mehr zeitgemäß. Und es ist ermüdend, weil man das in dieser Form schon so oft gesehen hat.

Tanz-Theater und Nipplegate-Alarm

Da können Cameron Diaz und Jennifer Lopez in ihren hellseidenen Roben noch so hübsch mit ihren Hintern wackeln, Letztere übrigens nahe am Nipplegate-Alarm, Octavia Spencer als beste Nebendarstellerin und Meryl Streep als beste Hauptdarstellerin ein paar echte Tränen vergießen, Natalie Portman, Christian Bale und Tom Cruise als Laudatoren noch so adrett auftreten und der Cirque du Soleil ein flottes Tänzchen aufs Parkett legen - es reißt einen alles nicht mehr so richtig vom Hocker.

Das liegt nicht allein an den Mitwirkenden oder am Moderator, der es nur am Rande schafft, das große Treffen der Altvorderen aufzulockern oder gar zu karikieren, ohne dabei jemandem zu sehr auf die Füße zu treten. Es liegt auch am Konzept, das einfach nicht mehr über vier Stunden trägt.

Inzwischen ist die Kino-, Film-, TV- und Medien-affine Öffentlichkeit viel publikumsaffinere Abläufe gewöhnt. Und den Zuschauer der 84. Oscar-Verleihung beschleicht das Gefühl, dass es hier gar nicht mehr um diejenigen geht, die von draußen zuschauen, sondern fast nur noch um jene, die drin sitzen.

Es kann also gar nicht verwundern, dass diesmal ein Film zum großen Abräumer wurde, weil er genau das thematisiert: den Wandel der Zeit im Filmgeschäft. Ausgerechnet ein Stummfilm, von dem zu Drehbeginn nicht einmal sein Hauptdarsteller geglaubt hätte, dass mit so altmodischem Kram auch nur ein Blumentopf zu gewinnen sei, bringt den Franzosen nicht nur den Oscar für den besten Film ein, sondern auch Auszeichnungen in vier weiteren wichtigen Kategorien, unter anderem den Oscar für Regie (Michel Hazanavicius) und für den besten männlichen Schauspieler: Jean Dujardin stach damit nonchalant mal eben Brad Pitt und George Clooney aus.

Und das nicht nur deshalb, weil er ein bisschen frischer, ein wenig verrückter und trotzdem so wunderbar altmodisch galant lächeln und spielen kann. Sondern vor allem deshalb, weil er mit seiner Rolle als alternder Stummfilmstar, der in die Mühlen des neuen Genres Tonfilm gerät, genau jene Angst vor dem Neuen verkörpert, die auch heute noch in Hollywood zu ebensolch trägen Veranstaltungen wie der 84. Oscar-Verleihung führt. "Die Welt verändert sich so schnell", erklärt Regisseur Hazanavicius. "Man schaut kurz nicht hin und bumm, ist es zu spät, und man ist aus der Mode."

Sensation mit Ansage

Dass The Artist so vielfach ausgezeichnet wurde, ist eine Sensation mit Ansage: Nur wenige Stunden vor der Oscarnacht hatte das Melodram bei den französischen Césars und bei den Independent Spirit Awards ein knappes Dutzend Trophäen abgeräumt - der Triumph in Hollywood war nun die Krönung eines langen Triumphzuges. In Los Angeles holte Regisseur Michel Hazanavicius nun fünf Oscars und lag damit zwar gleichauf mit Martin Scorseses Hugo Cabret, der ebenfalls fünf Mal mit dem Academy Award prämiert wurde. Doch während die 3-D-Kinderbuchverfilmung des Amerikaners vor allem in Nebenkategorien wie "Bester Tonschnitt" oder "Bestes Kostümdesign" punktete, triumphierte The Artist in den Hauptdisziplinen.

Oscar

Die Besten der Besten? Meryl Streep und Jean Dujardin haben beide den Oscar als beste Schauspieler gewonnen.

(Foto: AFP)

Das ist auch insofern ein bemerkenswerter Erfolg, als noch nie zuvor ein französischer Film in der Königskategorie auch nur gelistet wurde, und der letzte Stummfilm, der diese Trophäe erringen konnte, datiert aus dem Jahr 1928 (Wing). The Artist wird also als Ausnahmefilm in die Oscar-Annalen eingehen - unter anderem deshalb, weil er einfach alle Register zieht, die eine Jury wie diese bezaubert. Hazanavicius' Hommage an Hollywoods Stummfilmära ist anrührend, komisch und handwerklich über jeden Zweifel erhaben, doch sie hat kein Thema von besonderer Relevanz. Außer der des Kinos selbst. Das sich nun einmal so liebend gerne um sich selbst dreht.

Erwartbar und konservativ

Insofern wirkt die Entscheidung für einen gestrigen Film wie The Artist erwartbar und konservativ, wie diese Oscar-Nacht überhaupt kaum Überraschungen bot. Meryl Streep wurde ihrer Favoritenrolle als "Beste Hauptdarstellerin" in The Iron Lady ebenso gerecht wie Jean Dujardin als "Bester Hauptdarsteller" in The Artist und Christopher Plummer als "Bester Nebendarsteller" in Beginners. An diesen Entscheidungen gibt es nicht viel zu kritteln. Allerdings wären auch Michelle Williams für ihre Verkörperung der Marilyn Monroe in My Week with Marilyn oder Jonah Hill als nerdiger Assistent von Brad Pitt in Moneyball würdige Oscar-Laureaten gewesen. Dass in diesen Kategorien immer der Favorit gewann, war keineswegs zwingend. Passt aber gut ins althergebrachte Konzept.

Unausweichlich war hingegen die Auszeichnung von Asghar Farhadi für sein Familiendrama Nader und Simin - eine Trennung. Wie schon bei der Berlinale im vergangenen Jahr bestätigte der Iraner seine haushohe Favoritenrolle, dieses Mal in der Kategorie "Bester fremdsprachiger Film". Sein Ausnahmewerk besticht durch die Dichte des Erzählgewebes und erklärt präzise, wie der lebensfeindliche Ayatollah-Staat Iran seine Bürger beschwert. Für den polnischen Wettbewerber In Darkness mit den deutschen Darstellern Benno Fürmann, Maria Schrader und Herbert Knaup war das ein zu großer Brocken - in einem Jahr mit einem schwächeren Konkurrenten hätten sie wohl eine echte Oscar-Chance gehabt.

Ob Wim Wenders bei seinem zweiten Versuch, den Academy Award nach Deutschland zu holen, aus ähnlichen Gründen scheiterte, nämlich dass die Konkurrenz einfach besser war, darf aber bezweifelt werden. Mit seiner Tanzhommage Pina an die Wuppertaler Choreographin Pina Bausch musste er gegen Undefeated antreten: Die Rührstück-Doku aus dem amerikanischen Highschool-Football holte den Oscar möglicherweise vor allem deswegen, weil Brachialproduzent Harvey Weinstein sie gekauft hat, um einen Spielfilm daraus zu machen. Und Weinstein ist für seine Oscar-Kampagnen berüchtigt - bei The Artist fungiert er übrigens als Verleiher.

Die guten alten Oscars in den USA haben also tatsächlich mehr mit der guten alten einst erfolgreichsten Familienshow Europas zu tun, als man auf den ersten Blick meinen sollte: So sehr Wetten, dass..? einen neuen Moderator und ein neues Konzept braucht, so sehr gilt dasselbe mindestens genauso drängend für die Academy Awards.

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