Oriana Fallaci gestorben:Leben an vorderster Front

Ein Interview mit der italienischen Journalistin galt als Gratwanderung für den Gesprächspartner. Henry Kissinger hatte darunter am meisten zu leiden. Zuletzt spaltete sie ihre Leserschaft mit radikaler Kritik am Islam.

Christopher Stolzenberg

Oriana Fallaci war keine Freundin der sanften Worte. Das Extreme war ihre Baustelle. Diesen Charakterzug stellte sie zuletzt in hysterischer Weise nach dem Terrorakt vom 11. September 2001 unter Beweis. So erstaunt ihr harsches Urteil über den islamischen Glauben wenig: Die Religion sähe "Hass anstelle von Liebe und Sklaverei anstelle von Freiheit".

Oriana Fallaci gestorben: Oriana Fallaci, die scharfzüngige und intelligente Interviewerin.

Oriana Fallaci, die scharfzüngige und intelligente Interviewerin.

(Foto: Foto: dpa)

Auch an Europa und seinen Migranten ließ sie kein gutes Haar. Der Kontinent werde "immer mehr zu einer Provinz des Islam, einer Kolonie des Islam". Die Immigranten, die sich in Europa niederließen, hätten kein Respekt vor der Justiz und würden dem Westen "ihre Bräuche und ihren Gott aufdrücken", schreibt sie in ihrem letzten Buch "Die Kraft der Vernunft". Vergleichbare Thesen standen in ihrem Buch "Die Wut und der Stolz".

"Das katastrophalste Pressegespräch, das ich jemals hatte"

Doch das Bild von Oriana Fallaci wäre zu reduziert, zöge man nur ihre letzten islamfeindlichen Publikationen nach 2001 in Betracht. Sie bleibt auch als außergewöhnliche Journalistin in Erinnerung, deren Art zu interviewen bewusst darauf zielte, den Partner zu reizen, war jüngst in The New Yorker zu lesen.

"Sie näherte sich ihrem Gegenüber mit einstudierter Agressivität, reicherte die Gespräche mit existenzialistischen Fragen an und bewies eine ausgekochte, wendige Intelligenz", schreibt die amerikanische Wochenzeitschrift und nennt Fallaci "die Agitatorin".

Ein berühmtes Opfer ihrer journalistischen Neugier war Henry Kissinger. In einem Interview brachte Fallaci ihn dazu einzugestehen, dass der Vietnamkrieg "nutzlos" gewesen sei und dass er als Politiker ein "Cowboy" sei, der den "Kutschentreck voranführt, indem er alleine voranreitet. Resigniert urteilte Kissinger hinterher: "Dies war das katastrophalste Pressegespräch, das ich jemals hatte". Weitere ihrer Interviews mit Golda Meir, Willy Brandt und Fidel Castro wurden weltbekannt. Als erste Frau aus dem Westen durfte sie mit Ayatollah Chomeini sprechen.

Leben in Entbehrung

Doch woher kommt der Reiz an der Radikalität? Vielleicht liegt die Antwort dafür in ihrer Jugend. Die in Florenz geborene Fallaci machte bereits mit 16 Jahren Abitur, nachdem sie zwei Klassen übersprungen hatte. Schon früh schloss sie sich dem anti-faschistischen Widerstand in ihrer Heimat Italien an. Während des Zweiten Weltkriegs schmuggelte sie Waffen zu den Partisanen und half Gefangenen bei der Flucht aus italienischen Konzentrationlagern.

Als Journalistin bewegte sie sich weiter an vorderster Front und arbeitete schon mit 16 für L'Italia Centrale als Reporterin. Als sie 1956 vom Ungarischen Volksaufstand berichtete, nahmen sie sowjetische Soldaten fest. Später war sie als Kriegsberichterstaterin in Vietnam, Libanon und im zweiten Golfkrieg für die Londoner Times, den Corriere della Sera, die New York Times oder das Magazin Life.

Dieses harte Leben ging nicht spurlos und ohne Konsequenzen an ihr vorüber. Sie lebte beispielsweise ohne Ehemann und Kinder. Bei einer Recherche über Aufstände in Mexiko trug sie drei Schusswunden davon. Erst kürzlich hatte in der lombardischen Stadt Bergamo ein Prozess wegen "Verunglimpfung der islamischen Religion" gegen sie begonnen, weil sie sich in ihrem Buch "Die Kraft der Vernunft" beleidigend über den Islam geäußert haben soll.

Oriana Fallaci starb in der Nacht zum Freitag im Alter von 77 Jahren im Krankenhaus. Sie war seit längerem an Krebs erkrankt.

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