Netz-Depeschen:"Was ist denn so los?"

Was macht das Web so attraktiv? Eine neue Studie erforscht, wonach die meisten User im Internet suchen - besonders nach dem Aufkommen sozialer Netzwerke.

Niklas Hofmann

Als "am wenigsten schockierende Studie aller Zeiten" hat die Boulevardzeitung New York Daily News die jüngste Erhebung des Pew Internet & American Life Project bezeichnet. Das ist zwar ein bisschen böse, aber nicht ganz unberechtigt. Seit mehr als zehn Jahren erhebt das beim Think-Tank Pew Research Center angesiedelte Forschungsprojekt Daten zur Nutzung des Internets unter Amerikanern. In ihrer neuesten Telefonbefragung ergründeten sie, wie viele US-Bürger das Internet ohne konkreten Anlass und nur zum Spaß nutzen.

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Hauptsache Spaß: Die meisten suchen Zerstreuung im Netz.

(Foto: dpa)

Was die Daily News nicht überraschen konnte: Zu jedem gegebenen Zeitpunkt ist purer Zeitvertreib für eine Mehrheit (53 Prozent) der Amerikaner zwischen 18 und 29 Jahren der Grund im Netz zu sein. Für 81 Prozent trifft das zumindest gelegentlich zu. Unter allen Erwachsenen waren es im Jahr 2000 noch 29 Prozent, die das Internet ohne bestimmten Grund nutzten. Im Jahr 2011 liegt diese Zahl bei 58 Prozent.

Rasant angestiegen ist die Zahl derer, die im Netz nur Ablenkung suchen, erst seit der Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Der scharfe Knick nach oben fällt ziemlich genau mit der Etablierung sozialer Netzwerke wie Myspace und der Gründung der Videoplattform YouTube zusammen. Erst seither - und mit der Durchsetzung von Breitbandverbindungen - ist das Internet für einen wirklich bedeutsamen Anteil der Nutzer zu einem Ort geworden, der ihnen "zur Zerstreuung als Ziel" dient, wie die Pew-Forscher titeln.

Der Science-Fiction-Autor William Gibson, dessen Buch "Neuromancer" wir das Wort "Cyberspace" verdanken, hatte diese Zwecklosigkeit des Internets schon zu Zeiten des Einwahlmodems gepriesen. 1996 lobte er in einem Essay in der New York Times das World Wide Web als "Zeitverschwendung" und drückte seine Furcht aus, dass es sich in etwas verwandeln könne. Etwas, "dass deutlich weniger zufällig ist und weniger Spaß macht", das den Reiz des Ungeplanten und Unplanbaren verlöre.

Weniger zufällig ist das Internet seither möglicherweise geworden, Gibsons Idee aber, dass die Menschen ins Internet gehen, so wie sie "in die Stadt" gehen, nur um dort zu sein, nur um zu sehen, "was so los ist" - diese Idee ist, das zeigt die Pew-Studie, aktueller denn je.

Auch der Internet-Theoretiker David Weinberger, derzeit Fellow am Berkman Center der Universität Harvard freut sich in seinem Blog "Joho" über die Ergebnisse. Weinberger vertritt schon seit langem die Auffassung, dass man sich das Netz als einen konkreten Ort vorstellen müsse, den Menschen aufsuchen könnten. "Es ist ein eigenartiger Ort, an dem Nähe durch Interessen bestimmt wird, und kein Raum, in dem Interessen durch Entfernungen getrennt sind", schreibt er nun.

"Es ist ein Ort, an dem Nähe über Entfernung siegt. Es ist ein Ort, nicht bloß ein Raum, denn Räume sind leer, Orte aber sind mit Bedeutung gesättigt: Ein Ort ist ein Raum, der so gestaltet ist, dass er für uns etwas bedeutet. Das Internet ist ein Ort."

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