Nachruf auf Otfried Preußler:Tod eines Geschichtenerzählers

Otfried Preußler ist tot

Otfried Preußler ist tot. Der Schriftsteller starb am 18.02.2013 im Alter von 89 Jahren in Prien am Chiemsee.

(Foto: dpa)

Für viele waren das kleine Gespenst und Räuber Hotzenplotz der erste Kontakt zur Literatur. Dass Otfried Preußler seine Leser ernst nahm, war wohl das größte Geheimnis seines Erfolgs. Am Montag ist der Kinderbuchautor im Alter von 89 Jahren gestorben.

Von Violetta Simon und Oliver Das Gupta

Er war eigentlich Lehrer, und dennoch - oder gerade deshalb - erkannte er eines schon früh: Kinder wollen keine Lehrstücke. Und so gab der Schriftsteller Otfried Preußler seinem Publikum, was es wirklich wollte: "Geschichten, die der Phantasie Nahrung geben und ihnen auf dem Weg der Poesie helfen, mit mancherlei Ängsten besser fertigzuwerden." Im Interview mit dem SZ-Magazin erklärt er einmal, sein Ziel sei es, dem "natürlichen Optimismus der Kinder Vorschub zu leisten". Es war diese Bereitschaft, Kinder bedingungslos ernst zu nehmen, die Preußlers Werken einen generationenübergreifenden Erfolg bescheren sollte.

Die Wurzeln seines Ideenreichtums finden sich in seiner Kindheit. Im nordböhmischen Reichenberg , dem heutigen Liberec, kommt er 1923 zur Welt. Seine Familie gehört zur sudetendeutschen Minderheit in der neuen Tschechoslowakischen Republik. Geschichten werden viele erzählt bei den Preußlers: Oma Dora erfindet gerne Schwänke und weckt Otfrieds Phantasie. Hier entsteht der Stoff für den Zauberlehrling Krabat, die kleine Hexe, den Räuber Hotzenplotz. Vater Joseph, der behinderte Kinder unterrichtet, führt den Jungen früh in seine Bibliothek, wo er bald allerlei Werke verschlingt, Lyrik von Eichendorff, aber auch die Abenteuer des Karl May.

"Eine herrlich unbeschwerte Zeit" sei seine Jugend gewesen, schreibt Preußler Jahrzehnte später. Nachzulesen ist darüber im Buch "Ich bin ein Geschichtenerzähler", bestehend aus ausdrucksstarken autobiografischen Skizzen. Von der hysterischen Begeisterung vieler Sudetendeutscher für das Nazi-Regime, die damals womöglich auch Familie Preußler teilte, berichtet er ebenso wenig wie von Einverleibung des Sudetenlandes 1938, der Zerschlagung der "Rest-Tschechei" und dem Terror-Regime der Deutschen über Tschechen und Slowaken.

Nach dem Abitur 1942 zieht die Wehrmacht Preußler ein. Zwei Jahre später muss der junge Leutnant nach Rumänien, wo die Rote Armee die deutschen Verbände bald aufreibt. Preußler kommt unverletzt in Gefangenschaft, doch die nächsten fünf Jahre verbringt er hinter Stacheldraht in sowjetischen Lagern, irgendwo am Ural. Das Sterben ist dort Normalität, Folge des brutalen Klimas, der Zwangsarbeit, von Hunger und Seuchen. Preußler schreibt von Willkür, aber auch von Russen, die mit den hungernden Deutschen ihr Essen teilen. Preußler und die anderen rezitieren auswendig gelernte Gedichte, Goethe, Schiller, Eichendorff. Es ist das Einzige, was an die ferne, unerreichbare Heimat erinnert. Damals habe er bei seinen Kameraden sein "erstes Praktikum als Geschichtenerzähler absolviert", meint er später: Gegen das Heimweh, "gegen Verzweiflung und Tod". Einmal rettet ihm eine jüdische Armeeärztin das Leben, ihr Sohn ist im Kampf gegen die Deutschen gefallen.

Otfried Preußler hat, abgesehen von den erwähnten Skizzen, über seine Zeit in Krieg und Gulag nichts veröffentlicht. Er schreibe für Kinder, erklärt er 2008 dem Focus, darum habe er seine aufgeschriebenen Erlebnisse nicht publiziert. "Aber das bekommt vorläufig niemand zu sehen", so Preußler. "Erst wenn ich tot bin."

1949 lassen die Sowjets Preußler frei. Seine alte Heimat gibt es nicht mehr, wie die anderen Sudentendeutschen waren die Preußlers vertrieben worden. Sein "Mädchen" aber hat auf ihn gewartet: Annelies empfängt den Heimkehrer auf dem Rosenheimer Bahnhof. Wenig später heiraten sie, der Chiemgau wird die neue Heimat. Preußler absolviert eine Ausbildung zum Volksschullehrer. Wenn die Kinder unruhig werden, erzählt Preußler Geschichten. Er merkt: Das kommt an. Das kann er. Und "dass sie Geschichten offenbar brauchen". Während seiner Ausbildung jobbt Preußler nebenher als Journalist und schreibt Theater für Laientruppen, fertigt kleine Hörspiele.

Geschichten aus der Kindheit

Er beginnt wieder zu schreiben und setzt dort an, wo er aufgehört hatte: "Ich erzählte die in der Kindheit angesponnenen Geschichten zu Ende." Es waren Erlebnisse und Erinnerungen, nicht selten angereichert durch Elemente aus slawischen Erzählungen oder deutschen Sagen. 1956 entwickelt er eine Geschichte seiner böhmischen Kindheit weiter und schickt das Manuskript an einen Verlag: "Der Kleine Wassermann". Im Folgejahr gewinnt er damit den Deutschen Jugendbuchpreis. "Das kleine Gespenst" (1966) basiert auf einer Erzählung seiner Großmutter, innerhalb kürzester Zeit erntet er damit Erfolg und Anerkennung.

Es folgen "Räuber Hotzenplotz" und "Die kleine Hexe", die zu den meistgespielten Stücken des Kindertheaters und nach wie vor zu den Dauerhits unter den Tonträgern für Kinder zählen. Selbst der Versuch einer christlichen Elterninitiative, das Buch aus dem Kindergarten zu verbannen, weil es die Kinder anfällig für "okkulte Praktiken" machen könne, tut der Beliebtheit der "Kleinen Hexe" keinen Abbruch. Im Gegenteil: Dieser "Glaubensstreit", so kommentiert die Süddeutsche Zeitung 1992, verhilft dem Kinderbuch in der Region zu neuen Verkaufserfolgen. Inzwischen wurden seine Bücher und Hörspiele in fast 60 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als 50 Millionen Mal verkauft.

An seinem Werk "Krabat" (1971), das Preußler als sein "Lebensbuch" bezeichnete, quält er sich zehn Jahre lang ab: Immer wieder lässt er es liegen, will es sogar ganz aufgeben, nimmt die Arbeit schließlich wieder auf. Die Geschichte beruht auf einer sorbischen Sage und erzählt von einem Müllerburschen, der in den Bann schwarzer Magie gerät, aus dem ihn nur Freundschaft und Liebe befreien können. Das Buch wird ein Welterfolg, in 31 Sprachen übersetzt und bringt ihm den Deutschen und den Europäischen Jugendbuchpreis ein. 2008 verfilmt es Markus Kreuzpaintner mit den Schauspielern David Kross, Daniel Brühl und Robert Stadlober. Die Verfilmung vom "Kleinen Gespenst" durch den Münchner Filmproduzenten Jakob Claussen, die im Oktober 2013 in den Kinos startet, wird er nun nicht mehr erleben.

Nicht selten musste sich Preußler von Skeptikern - gerade in den 70er Jahren - anhören, dass man Kindern im 20. Jahrhundert doch keine Geschichten mehr von Hexen, Wassergeistern, von Zauberern, Feen und kleinen Gespenstern erzählen könne, die keinerlei Bezug zur Realität hätten. Solche Bedenken wies Preußler stets zurück: "Darauf kann ich nur antworten, dass ich es nicht nur für richtig, sondern für wichtig halte - für lebenswichtig, um es genau zu sagen. Oder gehört zum vollen Menschsein nicht auch die Fähigkeit zu phantasieren, zu träumen?". Vielmehr finde er es sogar unverantwortlich, "Kinder in den für sie bestimmten Geschichten und Büchern mit Problemen zu konfrontieren, um deren Lösung gefälligst wir, die Erwachsenen, uns zu bemühen haben".

Dabei, so fanden seine Leser, wusste Preußler zwischen Phantasie und Kitsch durchaus zu unterscheiden. In den Medien wurde er gefeiert als ein Autor, der "nicht Kitsch und Klischees" verbreiten wolle, sondern eine Welt zeigen, "in der Hoffnung noch ihren Platz hat". Die Stuttgarter Zeitung brachte es 2003 anlässlich seines 80. Geburtstags auf den Punkt: Otfried Preußler ist "einer, der weiß, was den Kindern guttut, Humor zum Beispiel und eine schöne Sprache". Auf diversen Social-Media-Plattformen zeigen sich Anhänger betroffen über den Tod des Kinderbuchautors. Ein Kölner Fan twittert: "Das kleine Gespenst bekommt einen Freund. Traurig: Otfried #Preußler ist tot".

Preußler hatte ihnen gegeben, was sie wollten, und sie lieben ihn dafür: "Der kleine Wassermann, Der Räuber Hotzenplotz, Das kleine Gespenst und Die kleine Hexe. Danke #otfriedpreussler für eine wunderbare Kindheit", schreibt eine Leserin. Eines ist sicher: Die Kinder dieser Generation werden nicht die letzten sein, die in der Traumwelt des "Kleinen Gespensts" und seiner Freunde versinken werden. Ein junge Leserin namens Julia kündigt per Twitter an: "Wir werden das noch den Kindern unserer Kinder vorlesen. Den guten Otfried Preußler."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: